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BERLIN/ Philharmonie: Die Berliner Philharmoniker mit französischer Deutung von Bachs h-Moll-Messe

21.12.2025 | Konzert/Liederabende

Die Berliner Philharmoniker mit französischer Deutung von Bachs h-Moll-Messe, am 20.12.2025.

Wer es bisher nicht glauben wollte, kann jetzt vieles lernen. Alte Musik wird in Berlin schon lange geschätzt. Das zeigte sich schon deutlich beim Barock-Wochenende vom 28.11.- 30.11.2025. Kaum ein Stuhl blieb im Kammermusiksaal leer, und der Beifall war stets riesig.

Danach gleich die große Überraschung: Jordi Savall, 84 Jahre „jung“, jahrelang bejubelt im Pierre Boulez Saal, debütierte kürzlich als Dirigent im großen Saal der Philharmonie, und er bleibt! Seine weiteren Berliner Konzerte reichen bereits in den März 2026.

Darüber hinaus konnten die Berliner und ihre Gäste in diesem Herbst sogar zweimal die großartige h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach erleben, ein UNESCO-Welterbe. Diese Partitur und weitere rund 1.000 Bach-Werke hütet die Staatsbibliothek zu Berlin.

Schon am 9. November 2025 kam der Thomanerchor aus Leipzig mit seinem nun katholischen Thomaskantor Andreas Reitz nach Berlin in den großen Saal der Philharmonie. Der dirigierte diese durchaus anspruchsvolle Messe mit Schwung und selbstverständlich ohne Pause. Doch alle Sänger, auch die kleinen, hielten mit ihren wohlgeschulten Stimmen Stand. Das Publikum war begeistert, und der Beifall prasselte.

Bekanntlich erhielt die Thomaskirche vor einigen Jahren sogar eine zusätzliche Bachorgel, um dessen Werke im Originalklang hören zu können. Das ist eigentlich auch eine Wiedergutmachung für die Missachtung, die Bach trotz aller Arbeit einst von den damaligen Leipzigern erdulden musste.

Nun zeigten erstmals seit 2017 auch die Berliner Philharmoniker wieder Interesse für Bach und besonders für seine h-Moll-Messe, diesem einmaligen Meisterwerk, das in jedem Jahr auch das Bachfest Leipzig abschließt.

So wird nun Wichtiges nachgeholt. Allerdings meinte man hier, den „alten Bach“ ertüchtigen zu müssen, beendete der doch sein Lebenswerk vor allem in den Jahren 1748/49, also kurz vor seinem Tod (1750). Dass er auch altes Material von sich, z.B. Kyrie und Gloria benutzte, wird ihm nachträglich sogar vorgeworfen, obwohl er es schließlich veränderte und so in die h-Moll-Messe einfügte.

Dass er sich vor Jahren mit den frühzeitig geschaffenen Teilen einen Weg ins reichere Dresden bahnen wollte, entspricht wohl kaum den Tatsachen. Nur ein Titel von August dem Starken, war später dafür sein Lohn, doch in Leipzig konnte Bach damit nicht punkten.

Insgesamt schuf Bach, das weiß man inzwischen, ein ungemein vielfältiges Werk, das schon damals in die Zukunft hineinreichte. Nicht wenige Forscher nennen Johann Sebastian Bach das größte Musik-Genie aller Zeiten, das auch in der Gegenwart weiter wirke, was beispielsweise auf Pianisten zutrifft. Und ein Spruch ist besonders bekannt:„Nicht alle Musiker glauben an Gott, aber an Bach glauben sie alle.“

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Raphael Pichon. Foto: Monika Rittershaus

Nun soll also ein junges Genie den alten Bach wieder flott machen, und die Berliner Philharmoniker wählten dafür den 41jährigen. aber schon hoch gelobten Franzosen Raphaël Pichon, einen Bach-Liebhaber und -Kenner. Aufgeboten wurde außerdem der weltweit bekannte RIAS Kammerchor sowie sorgsam ausgewählte Sängerinnen und Sänger, wie Nikola Hillebrand Sopran, Xenia Puskarz Thomas Mezzosopran, Beth Taylor Alt, Emiliano Gonzalez Toro Tenor, Huw Montague Rendall Bariton und Christian Immler Bass.

Dreimal, vom 18. bis zum 20 Dezember 2025, konnten nun die Berliner Philharmoniker und vor allem Raphaël Pichon ihr Können und ihr Bach-Verständnis beweisen. Ihm wird Eleganz, Virtuosität und Können zugeschrieben. In Paris und darüber hinaus ist er, zunächt ein Sänger, bereits ein Star. Ja, gut sieht er ebenfalls aus, und das hilft eigentlich immer.

Ich war im letzten Konzert, also am 20.12. und machte sogleich die bekannte Erfahrung, eine Premiere manchmal lieber zu vermeiden, da sie die Spielenden und Singenden mitunter nervös macht und das Konzert beeinträchtigt.

Wie also haben die Kollegen/innen, die sogleich über die Premiere  berichteten, auf Pichon und sein Debüt reagiert? Teils recht zurückhaltend. Als sportlich wurde das Tempo bezeichnet oder „Die Wahl der Tempi verwunderte sogar das Garderobenpersonal.“ Beim offenbar lauten Kyrie wurde sogar eine tragische Notlage erkannt. Dennoch soll das Publikom starken Beifall gegeben haben.

Am 20.12. schien sich jedoch manches beruhigt zu haben. Der bereits Vielgepriesene wirkte eher bescheiden und schien auch sicher geworden zu sein. Ein Debüt bei den zurecht berühmten Berliner Philharmonikern ist ohnehin keine leichte Sache, und an den RIAS Kammerchor schien sich der flinke Franzose, der vom Sänger zum Dirigenten geworden ist, wohl auch ziemlich gewöhnt zu haben.

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Beth Taylor. Foto: Monika Rittershaus

Bei der Besetzung waren am 20.12. jedoch Verschiebungen zu erkennen, denn oft wird nur die Premiere mit dem allerbesten Personal ausgestattet. Die Kritiker sollen ja jubeln. Es war wohl Beth Taylor, Mezzosopran, die ganz innig das Agnus Dei gesungen hat, der sängerische Höhepunt dieses Abends.

Andererseits waren an diesem 3. Tag die anfänglichen Spannungen weitgehend vorüber. Pichon dirigierte mit dem ganzen Körper, doch jede Bewegung und jeder Fingerzeit war richtig. Die Körpersprache passte, war weder aufdringlich noch lächerlich und zeigte, dass für Pichon jede Bach-Note wichtig ist.

Er wird sich hoffentlich weiter mit Bach beschäftigen, gerade auch mit der h-Moll-Messe, die weit über alles Sonstige hinausreicht. Bach auffrischen, das ist nicht nötig. Diese Messe muss nur mit Können und Begeisterung dirigiert und gespielt werden, und das jedoch ohne Pause!

Die rund 130 Minuten, also gute 2 Stunden, können sogar die ganz jungen Thomaner bewältigen, und das müsste dem Publikum und den Berliner Philharmonikern ebenfalls gelingen.

Übrigens beenden mit diesem gewaltigen Werk die besten Bach-Dirigenten jedes Jahr das Bachfest Leipzig und zwar ohne Snacks und ein Glas Wein zwischendurch wie in Berlin. Mal schnell in der Pause aufs Handy schauen und eine Mail schreiben, erscheint manchen Leuten in der Philharmonie ebenfalls wichtig zu sein. Der große Bach verdient jedoch weit mehr an Achtung und Aufmerksamkeit. 

Ursula Wiegand

 

 

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