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BERLIN/Philharmonie: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO) mit Brahms und Schostakowitsch

06.11.2023 | Konzert/Liederabende

Berlin/ Philharmonie: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO) mit Brahms und Schostakowitsch, 05.11.2023

Zweimal romantisch, einmal ein Kampf ums Überleben – dieses gut austarierte Programm spielte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) mit Verve unter der Leitung des jungen russischen Dirigenten Maxim Emelyanychev.

Seit 2019 ist er Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra, außerdem viel unterwegs und auch in Berlin bereits bekannt. Der große Saal der Berliner Philharmonie ist fast voll besetzt. War er vielleicht das Zugpferd fürs Publikum oder ist es noch mehr die fabelhafte norwegische Geigenvirtuosin Vilde Frang?

Vermutlich sind es beide, wobei Emelyanychev offenbar ein Faible für die Romantik hat. Liebevoll dirigiert er die „Ouvertüre C-Dur“ von Fanny Hensel, der hochbegabten Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Als Pianistin, Dirigentin und Konzertorganisatorin bewies sie ihr Können und erhielt von den Kritikern hohes Lob.
Angeblich waren Fanny und Felix ein Herz und eine Seele. Doch ihrem Wunsch, sich für das Drucken ihrer Werke einzusetzen, folgte der Bruder nicht. Fürchtete er ihre Konkurrenz? Jetzt setzt sich das DSO (in kleinerer Besetzung) mit dem spürbar begeisterten Maxim Emelyanychev posthum für Fanny ein, und welch eine Klangfülle verbreitet sich in dem großen Saal!
Gleich danach ist erstmal Schluss mit aller Romantik. Jetzt ist Dmitri Schostakowitsch an der Reihe, der Gehetzte, der zu Stalins Zeiten oft um sein Leben fürchten musste. Der im Anzug schlief und jahrelang immer einen gepackten Koffer neben dem Bett hatte, um so vor der Polizei schnell flüchten zu können. Er war jedoch klug genug, sein „Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll“ op. 99 (op. 77) jahrelang zu verstecken.

Emigrieren wollte er offenbar nicht und passte sich deshalb wohl oder übel an den gewünschten, nach wie vor konservativen Musikstil an. Die Orden, die er erhielt, haben ihn vermutlich nicht gefreut. Diese Unterwürfigkeit hat man ihm in den freien Ländern lange vorgeworfen.

Doch wie er sich selbst deswegen vermutlich verachtet hat, ahnt wohl niemand. Seine 10. Symphonie, komponiert nach Stalins Tod, offenbart seinen zuvor unterdrückten Zorn. Weiteres offenbart nun dieses lange versteckte Violinkonzert Nr. 1 a-Moll: Seinen Weg in die Moderne, sein immenses Können und seine Angst. Oft sind es Schreie eines Gehetzten.

Vilde Frang, die weltbekannte norwegische Geigerin, wirft sich nun zusammen mit dem DSO in diese finstere Seelen-Grube. Dass dieses Konzert mit einem Nocturne beginnt, also der Finsternis, offenbart schon alles. Das folgende Scherzo wirkt wie eine Karikatur, und auch die Passacaglia mit dem anschließenden Andante beschert keine Ruhe. Alles zusammen mündet schließlich in einen wilden Teufelstanz.

Diese Verzweiflung und diese Angst muss nun die Violine ausdrücken. Sie wird zum Boten, ist fast pausenlos im Einsatz. Kraft und Durchhaltevermögen sind erforderlich, und schon der Stargeiger David Oistrach hatte Schostakowitsch um einige Sekunden Pause gebeten.

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Vilde Vrang. Foto: Marco Borggreve

Doch die schlanke Norwegerin Vilde Frang wirft sich in diese Schlacht und greift alles auf, was den Komponisten gequält, geängstigt und in Wut gebracht hat. Die dafür nötige Kondition hat sie und das Verständnis für Schostakowitschs gefährliche Situation ebenfalls.

Gerade ihretwegen sind wohl auch viele gekommen. Maxim Emelyanychev, der die anspruchsvolle Partitur dirigiert, ist derweil etwas in den Hintergrund gerückt. Der Beifall nach diesem großartigen Konzert ist jedoch gewaltig. Alle haben das musikalisch so eindrücklich Geschilderte verstanden, einige sind wohl auch durchgeschüttelt und dennoch begeistert.

Nach der Pause dann die „Erlösung“ durch Johannes Brahms und seiner „Symphonie Nr. 2 D-Dur“ op. 73. Jetzt ist Emelyanychev voll in seinem Element, widmet sich jedem Takt, springt hin und her und hat alles im Griff.

Am liebsten würden wohl einige Brahms-Fans nun ebenfalls hüpfen und manche Melodien gleich mitsingen. Den Schub für soviel Schaffenslust erhielt Brahms am Wörther See. Vorher hatte sich Brahms mit dem Komponieren von Symphonien schwer getan, da er sozusagen immer den Riesen Beethoven hinter sich marschieren hörte.
Doch in dieser schönen Umgebung wurde er locker. Relativ schnell war dieses überwiegend freudvolle Meisterwerk fertig. Der letzte Satz „Allegro con spirito“ beweist sein Triumphgefühl. Schon die Instrumentalisten hatten sich bei den Proben positiv geäußert.

Noch immer hat auch das Publikum die Chance zum Jubeln und tut es diesmal lautstark.    

Ursula Wiegand   

 

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