Berlin/Philharmonie: Simon Rattle dirigiert Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“, halbszenisch, Regie Peter Sellars, 14.10.2017
Simon Rattle und die Vokalhelden des Education-Programms, Foto Monika Rittershaus
Sir Simon Rattle dirigiert jetzt, in seiner letzten Berliner Saison, seine Lieblingsstücke, und dazu gehört auch Leoš Janáček und dessen Oper „Das schlaue Füchslein“. Diese Liebe teilen offenbar viele. Drei Tage lang ist die Berliner Philharmonie ausverkauft. Aber auch wegen Rattle. Die Berliner wissen, was sie an ihm haben.
Wieder einmal sind Rattle und Peter Sellars ein Team. Seine Gestaltung von Bachs Matthäus- und Johannes-Passion wird wohl allen in Erinnerung bleiben. Nun die hier letztmalige Zusammenarbeit bei der halbszenischen Fassung vom schlauen Füchslein. Sellars Bebilderung ist diesmal zurückhaltend, die Personenführung – womit auch die Chöre gemeint sind – jedoch erneut sehr überzeugend.
Diese gewisse Kargheit ist begrüßenswert, und die Fernseher an beiden Seiten mit ihren – pardon – dümmlichen Bildern hätte man sich besser sparen können. Zum Glück hängen sie rechts und links am Rande, so dass sich der Blick auf wimmelnde Kaulquappen (?), im Wind wehende Baumwipfel, Hühner in Massentierhaltung und eine Frau, die in ein gebratenes Hühnerbein beißt, weitgehend vermeiden lässt.
Das ist eine unnütze Zutat, denn Janáčeks Musik lebt!. Seine Naturverbundenheit und Tierliebe hat er jedoch nicht für nachromantisches Schwelgen genutzt. Er bleibt beim Originalen, ist selbst früh am Morgen durch den Wald spaziert und hat alle Laute in sich aufgenommen: das Rauschen der Blätter im Wind, den Glucksen der Quellen, die Rufe und Lebenszeichen der Tiere, wie die von Eule und Eichelhäher, von Frosch, Heuschrecke, Grille und Fliege. Der Dackel – Janáček hatte selbst einen Hund – und die Hennen plus Hahn vom heimischen Hühnerhof fehlen ebenfalls nicht.
All’ das breiten die Berliner Philharmoniker unter Rattles Leitung klangschön und ganz „anschaulich“ aus. Kein sonstiger Bühnenzauber lenkt ab von dieser tief empfundenen „Lieblingsmusik“, für die der Komponist selbst das Libretto verfasste. Als Vorlage diente ihm eine lustigen Tierfabel, eine Fortsetzungsgeschichte von Rudolf Tešnohlídeks in einer Zeitung.
Hinzugefügt hat Janáček, vergröbert vom Bearbeiter Max Brod, die Figur des schönen Zigeunermädchens Terynka, das zwar nie erscheint, aber die Fantasie der Männer beschäftigt. Vor allem die der älteren Herren, die vergeblich nach ihr verlangt haben. Sie geht ihnen nicht aus den Köpfen.
Ist diese Sehnsuchtsfrau nicht das geheime Abbild der 26jährigen Kamila Stösslová, in die sich Janáček, in dessen Ehe es nicht gut lief, als 63-Jähriger verliebte? Mehr als 700 Briefe von ihm an sie wurden später veröffentlicht, von ihr nur Teile aus 49 Briefen. Weit mehr sollen es gewesen sein.
Den letzten Brief an die (verheiratete) Kamila Stösslová schrieb er in seinem Todesjahr, am 28. Juli 1928. Es blieb, so heißt es, ein platonisches Verhältnis, doch die Sehnsucht nach ihr hatte seit 1917 Janáčeks Leben geprägt und ihn andererseits in seinem Schaffen beflügelt. Die besten Opern, auch das sehr lyrische schlaue Füchslein, komponierte er in seinen 10 letzten Lebensjahren.
So gesehen und durch die Einfügung der nur gedanklich anwesenden Terynka zeichnet dieses Werk in etwa Janáčeks Leben und seine Gemütsverfassung nach, greift sein Liebe zu Kamila ebenso auf wie die zur Natur. Regisseur Peter Sellars sieht das offenbar genau so: bis auf den recht jungen Wilderer Háraschta (Hanno Müller-Brachmann mit kernigem Bariton), der schließlich Terynka heiratet, sind alle übrigen Männerrollen mit älteren Sängern besetzt.
Gerald Finley als Förster, Lucy Crowe als Füchslein, Foto Monika Rittershaus
Die Hauptrolle hat der Bass-Bariton Gerald Finley als Förster inne. Fabelhaft charakterisiert seine warme Stimme alle Gefühlsschwankungen dieses Mannes. Sir Willard White singt mit kräftigem Bass den Pfarrer und den Dachs, der Tenor Burkhard Ulrich den später sturzbetrunkenen Schulmeister sowie den Hahn und die Mücke. Ihnen gegenüber die junge Lucy Crowe mit geschmeidigen Bewegungen und Glitzersopran. Gesungen wird richtigerweise auf Tschechisch, denn Janáček komponierte nach der Sprachmelodie. (Mit deutschen Übertiteln).
Die erste Szene macht es deutlich: Zwischen dem Förster (Janáček?) und dem Füchslein ergibt sich sofort ein Liebesverhältnis. Sie streicheln einander, liegen auf einem Holzpodest sich innig umarmend. Es ist die zweite Ebene dieser simplen Tierfabel, die in drei Tableaus gegliedert ist.
Weiter geht es dann ganz realistisch. Der Förster ergreift das Füchslein und trägt es nach Hause, wovon seine (von ihm nicht mehr geliebte) Frau – Paulina Malefane, Sopran – gar nicht angetan ist. Sie wird eifersüchtig angesichts der Zuneigung, die das Tier von ihrem Mann erfährt. Den frechen Dackel (Anna Lapkovskaja, Mezzosopran) beißt es aber sofort weg.
Nach Schlägen (!) und weiteren männlichen Erziehungsversuchen flüchtet das ungebärdige Füchslein – als eine Vertreterin der sich Gehör schaffenden damaligen Feministinnen – aus der Bevormundung in Försterei in die Freiheit, ist aber mit seiner menschlichen Erziehung im wilden Wald zunächst recht hilflos.
Doch jung zu jung gehört zusammen, und so verliebt sich ein Fuchs sofort in die Hübsche. Wie von Janáček gewünscht, ist diese Rolle hier mit einer Sopranistin besetzt, mit der großartigen Angela Denoke. Das ausgedehnte Werben dieses Fuchses und die Schüchternheit des sonst so emanzipierten Füchsleins werden zu einem gesanglichen Höhepunkt dieser Oper.
Und nun wird gefeiert und die Bühne rappelvoll. Alle sind da, Vocalconsort Berlin, einstudiert von David Cavelius (die auch die gackernden Hühner spritzig gesungen haben), und insbesondere die Vokalhelden-Kinderchöre des Education-Programms, darunter auch Jonas, ein Sohn Rattles. Hell singend und munter tanzend bejubeln sie das Liebespaar Fuchs-Füchslein, das dann mit diesem Gefolge artig zum Traualtar schreitet.
Die andere, sehr reale Ebene ist das Kartenspiel plus Besäufnis von Förster, Pfarrer und Lehrer. Auch Terynka kommt zur Sprache. Am Morgen danach streift der Förster wieder durch den Wald und begegnet dem Wilderer, muss ihn aber mangels Beute laufen lassen. Der jedoch erschießt bald danach das leichtsinnig herum springende Füchslein, inzwischen Mutter einer großen Schar kleiner Füchse. Ein Schock für den Förster, der es geliebt hat.
Und dann ist wieder Mai, der Monat, in dem die Natur und die Liebe erwachen. Der Förster erinnert sich plötzlich an den glücklichen Tag nach seiner Hochzeit, als er und seine Frau liebestoll durch den Wald streiften. Großartig singt das Gerald Finley, gerahmt von den Klängen der Berliner Philharmoniker. Auf einmal tanzt ein junges Füchslein vor ihm, „seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten“. Das gibt ihm Hoffnung und inneren Frieden. Der Wald lehrt ihn, dass in der Natur dem Sterben stets neues Leben folgt. Noch einmal lässt Rattle das Orchester aufwallen. – Der Beifall danach erreicht fast ähnliche Phonstärken.
Ursula Wiegand