Die Schönheit des Singens – Teil I
Berlin/ Pergamonmuseum „UTOPIA & RUMI“, Konzert vor dem Ischtar-Tor“, 22.10.2022
In Korporation mit dem Vorderasiatischen Museum
Konzert des Callias Ensembles vor dem Ischtar Tor. Foto: Nils Rainer Schultze
Ein Konzert im Berliner Pergamonmuseum und außerdem vor dem grandiosen Ischtar-Tor – dieses seltene Ereignis hat viele Musikfans an diesem Oktoberabend auf die Museumsinsel geführt. Auch der Konzert-Titel „UTOPIA & RUMI“ war wohl ein Anreiz, auch für die Autorin.
Doch was bedeutet eigentlich der griechische Begriff Utopia? Einerseits ein Nirgendwo, andererseits einen Wunschtraum. Den hegen viele und in diversen Varianten. Manche wünschen sich beispielsweise ein Land, in dem alle glücklich sind. Auch Filme, Bands, Länder und Firmen nutzen den Namen Utopia und wecken Hoffnungen, die sich nicht immer realisieren.
Doch bei diesem Konzert, dem Dialog mit Rumi, wird Utopia wahr. Gesungene und gesprochene Worte werden zu einer Einheit und erfüllen die Erwartungen. Doch wer war Rumi? Ein islamischen Mystiker (1207-1273) und einer der bedeutendsten persischen Dichter des Mittelalters. Ein berühmter Gelehrter war er ebenfalls und gilt außerdem als Gründer des Ordens der tanzenden Derwische in Konya. Inzwischen ist es eine türkische Stadt und die tanzenden Derwische sind eine Touristenattraktion, Dennoch fasziniert es, wie Sie sich unaufhörlich um sich selbst drehen und mit solch einem Tempo, das sie womöglich nach Utopia und näher zu Gott bringt, was Rumi sein Leben lang anstrebte.
„Utopia und der Dialog mit Rumi“ wurde dem zahlreich erschienenen Publikum nun auf andere Art nahe gebracht. In dem stark abgedunkelten Saal war das kolossale blaugrundige Ischtar-Tor, das einst Babylon ungemein schmückte, mehr zu ahnen als zu sehen. Auf diese Weise wurde jedoch eine geheimnisvolle Atmosphäre für weitere und deutlich ältere geschichtliche Ereignisse geschaffen: für die Seidenstraße. Seit der Bronzezeit verband sie die Menschen in Ost und West, auch über politische Grenzen hinweg. Denn mit den Karawanen, die Handelsgüter aller Art transportierten, reisten auch Religionen, Ideen, Musik und Dichtung in andere Länder.
Seidenstrasse in Usbekistan. Kisilkum Wueste. Reste einer Karawanserei. Foto: Ursula Wiegand
Zu den Ausgangspunkten der Seidenstraße gehörte auch das pompöse Ischtar-Tor in Babylon, das in Berlins Vorderasiatischem Museum in jahrelanger Arbeit rekonstruiert wurde. Vor ihm also feierte das Callias Ensemble den persischen Dichter Rumi mit Chormusik von Arvo Pärt, Morten Lauridsen, John Tavener, Pyotr Tchaikovsky und Josef Rheinberger.
Dieses Callias Ensemble, ein Chor von jeweils acht Damen und Herren, dirigiert von Jan Moritz Onken (Gründer von The Silk Road Symphony Orchestra), wurde die eigentliche Sensation dieses besonderen Abends. Die Sängerinnen und Sänger standen einander gegenüber, doch keine Note verrutschte. Alles stimmte genau überein. Das Ergebnis war A Cappella Gesang vom Reinsten und Feinsten. Die fabelhafte Akustik in dem hohen Saal kam den Interpreten zusätzlich zugute.
Eingestreut wurden zweizeilige Verse vom Dichter Rumi, gesprochen auf Persisch von Elnaz Sadooghi. Diese Verse, abgedruckt im Original sowie in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819, gefielen auch den Ohren. Alle endeten mit dem Wort (auf Deutsch) „Eines“. Hatte Rumi damit das Göttliche gemeint? Dieses Schlusswort klang stets wie ein leicht hochgezogenes Amen. – Insgesamt waren es 75 wunderbare Minuten ohne störenden Zwischenapplaus. Erst zuletzt gab es starken und verdienten Beifall. Ursula Wiegand