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BERLIN / Staatsoper Unter den Linden JENUFA; 10. Vorstellungnach der Premiere

21.04.2023 | Oper international

BERLIN / Oper Unter den Linden JENUFA; 10. Vorstellung nach der Premiere; 20.4.2023

Asmik Grigorian und Evelyn Herlitzius vergolden einen von Antonello Manacorda packend dirigierten Musiktheaterabend

jul
Foto: Bernd Uhlig

Es ist eine jener Produktionen, die während der Corona-Pandemie entstanden sind und deren Premiere ohne Publikum stattfinden musste. So hat der italienische Regisseur Damiano Michieletto zu Beginn des Jahres 2021 auf die steril geschmäcklerische Bühne des Paolo Fantin (ein leuchtstoffröhrendes kahles Niemandsland) Jenufa als seelensezierendes Kammerstück rund um zwei Frauen geschaffen, die in Sünde aus Liebe aus der Gesellschaft gefallen sind und sich im bodenlosen Fall aneinander aufrichten. Auf Abstand bedacht, in Kühlhausatmosphäre unter Verzicht auf jegliche mährische Volkstümlichkeit, fällt die eine in mädchenhafter Anmut auf den schwachen, eitlen und selbstmitleidigen Stewa herein und lässt sich von ihm ein uneheliches Kind anhängen, wogegen die andere, die Stiefmutter, zur Verteidigung der Ehre in katholisch bigotter Enge zur tragisch antikischen Figur, zur Kindsmörderin mutiert.

Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian ist seit Mai 2022 nach London und Wien auch in Berlin die wohl beste Jenufa, die man sich derzeit vorstellen kann: In schlichter Schönheit und aus purer Liebe (zu einem Deppen) heraus entwickelt sie behutsam die Mitleid erregende, sanft-verletzliche Figur hin zur verzeihenden Reife. Das ist schon rein darstellerisch ereignishaft. Ihr luxuriös timbrierter, an der Oberfläche kühl leuchtender Sopran explodiert in den lyrischen Höhepunkten der Partitur (Gebet 2. Akt, Schlussduett) in irisierende Regenbogenfarben. Prismen-Stimmensternenglanz vom Feinsten!

Als weibliches Pendant in dieser durch männliche Trunksucht und machohafte Angeberei verrohten ländlichen Gemeinschaft agiert als eine der wenigen von der Premierenbesetzung übrig geblieben Sängerinnen Evelyn Herlitzius als Küsterin. Verlassen und in sich gekehrt, hockt sie vor ihrem kleinen Hausaltar, erinnert sich verbittert an den grauenhaft schwefligen Geruch schnapsgetränkter männlicher Entladungen. Von den vielen faszinierenden Frauengestalten, die diese außergewöhnliche hochdramatische Sängerin und große Tragödin der Opernbühne mit glaubhaft eigenem Leben und Blut erfüllt hat, ist vielleicht die Küsterin die packendste. Wie eine in die Enge getriebene Löwin opfert sie den fünf Monate jungen Stewa – in ein Eisloch getaucht und herzlos ertränkt – ihrer blasphemisch aufgeblasenen Ehrsucht. Als tragischer Fall einer nicht bewältigten ländlichen Lebensgeschichte bündelt Herlitzius als Küsterin die Quintessenz aller Opernstoffe zu einem mythologischen Endspiel. Elektra in Gestalt einer tschechischen Bäuerin. Am Ende sitzt sie wie versteinert unter dem schmelzenden Eisberg im Eisloch, aus dem zuvor das tote Baby in rotes Wolltuch gehüllt geborgen wurde, schuldzerfressen im Wahnsinn weggedriftet. Ein mächtig starkes Theaterbild, das aber im Kern mit dem Stück nicht korrespondiert. Rein stimmlich verfügt Herlitzius über alle metallene Kraft und die nötigen Nuancen, um der von der Tessitura her so schwierig gelegenen hochdramatischen Partie ohne Abstriche gerecht zu werden.

Die dritte im Bunde der von Librettistin Gabriel Preissová so charaktervoll gezeichneten Frauen des Dramas ist die Alte Buryajovka. Hanna Schwarz, legendäres Ensemblemitglied der Bayreuther Festspiele (1975-1998), läuft in der kleinen, aber wichtigen Partie einer mährischen Matriarchin auch stimmlich zu Höchstform auf.

Die beiden Männer um Jenufa fallen wenig mit Sympathie, dafür umso mehr mit Grausamkeit und feigem Egoismus auf. Laca, der aus billiger Eifersucht der schönen jungen Angebeteten einfach das Messer in die Wange rammt und Stewa, ein Dorfstier-Hallodri vor dem Herrn, der sich vor jeder Verantwortung für das gemeinsame Kind drückt und so erst den unnötigen Tod des Sohns besiegelt.

Stephan Rügamer gibt mit hellgrellem Tenor einen brutalen Lackel, einen sein patschertes Leben hinausbrüllenden Untam ab, der erst im Schlussduett zu einigen schönen Piani findet. Rein stimmlich ist er dominanter als der vom Typus eines wehleidigen verzogenen Landburschen zwar ideale, aber in Volumen, Diktion und Prägnanz wenig durchschlagskräftige Stewa des Edgaras Montvidas. Häufig sind die beiden Charaktere ja gerade umgekehrt besetzt.

Aus der übrigen Besetzung ragen die entzückende Regina Koncz als übermütig Rad schlagender Jano, der für einen Altgesell überaus stimmmächtige Stephen Clark, die selbstgerecht sich empörende Karolka der Evelin Nowak sowie Natalia Skrycka als blasierte Frau des Richters heraus.

Am Pult stand nach Rattle und Guggeis der vor allem für Mozart, Schubert, Mendelssohn in Originalklang und für barockes bis klassisches Repertoire bekannte Antonello Manacorda, langjähriger Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam. Manacorda betont bei hoher Transparenz im Klang und beeindruckender Frische in der Herausformung der jeweils aktiven Instrumentengruppen den expressiv kantigen Charakter der Partitur. Da klöppelts und gongts, fiedelts und trompetets gar wundersam. Wenn mich im ersten Akt noch einige (allzu) rasche Tempi, die auch den von der Hinterbühne aus agierenden, sowieso schon wenig beeindruckenden Chor aus der Kadenz brachten, irritiert haben, so konnte Manacorda mit der furios farbspachtelnd, prächtig aufspielenden Staatskapelle Berlin ab dem zweiten Akt der Partitur unerhörte Akzente abgewinnen. Besonders im Duett von Küsterin und Stewa und im dritten Akt stellten sich Effekte von hypnotisierender Wirkung ein. Was ich an diesem Edel-Orchester grundsätzlich so bewundere, ist die stilistische Sicherheit, die ungeheure technische Perfektion (jede Vorstellung ist instrumental schallplattenreif) sowie die so individuelle Klangkultur. Bravo.

Die vordergründig nur auf schmelzendes Eis und optisch glatte Neutralität setzende Inszenierung ist persönlich meine Sache nicht, zumal ich an der harten Stacheldraht-Grenze zum Südmährischen aufgewachsen bin und nicht zuletzt die Eigenheit der Landschaft dort die Menschen prägt. Davon ist in der Inszenierung nichts zu spüren. Auch finde ich, dass dem Regisseur im Gegensatz zur Küsterin zur Figur der Jenufa selbst nichts eingefallen ist. Die charismatische Asmik Grigorian aber – von der es leider keine Pressefotos gibt – profiliert selbst aus diesem Manko eine Stärke.

Am Ende heftiger Jubel für Herlitzius, Grigorian, Schwarz, Rügamer und Manacorda im gar nicht gut besuchten Haus.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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