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BERLIN/ Musikfest/ Philharmonie: „L’INCORONAZIONE DI POPPEA“ von Claudio Monteverdi, halbszenisch. Die Krönung dieser Trilogie.

08.09.2017 | Oper

Musikfest Berlin/ Philharmonie, „L’INCORONAZIONE DI POPPEA“ von Claudio Monteverdi, halbszenisch. Die Krönung dieser Trilogie. 05.09.2017

John Eliot Gardiner, Foto  Sim Canetty Clarke
John Eliot Gardiner, copyright Sim Canetty Clarke 

Ein Jahr später als der „Ulisse“ ist Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ 1643 in Venedig uraufgeführt worden. Es ist Monteverdis letzte Oper, und sie wurde beim Musikfest 2017 auch zur Krönung der Monteverdi-Trilogie, mit der Sir John Eliot Gardiner – gemeinsam mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists – die Berliner und ihre Gäste überaus begeisterte.

Monteverdi Choir, Copyright Carolina Redondo
Monteverdi Choir, Ausschnitt, Copyright Carolina Redondo

Gardiner hat es geahnt. „Poppea wird immer ein Publikumsliebling sein, denn diese Geschichte ist schlüpfrig und prickelnd,“ meinte er vorab. Mit dieser Oper bringt Monteverdi ein Jahr vor seinem Tod „Sex & Crime“ auf die Bühne und schildert mit aller Musik-Raffinesse die Karriere von Neros Mätresse Poppea zu seiner Ehefrau und Kaiserin von Rom.

Eine historisch wahre Geschichte, und bei der Verfolgung ihrer Ziele gehen beide über Leichen. Der Philosoph Seneca, Neros Erzieher und warnender Berater, wird ebenso zum Tode verurteilt wie indirekt Neros ungeliebte Gattin Ottavia, die ihm keine Kinder gebar.

Dabei macht sich Nero, eigentlich ein kunstsinniger und bestens gebildeter Mensch, nicht die eigenen Hände schmutzig. Seneca muss Selbstmord begehen, ein damals nicht unübliches Urteil. Ottavia wird aus Rom verbannt und allein auf einem Boot dem Tod preisgegeben. So Monteverdis Version bzw. die seines Librettisten Gian Francesco Busenello.

Die Göttin der Tugend (Virtù) ist damit quasi abgeschafft und beklagt sich darüber bitter (Anna Dennis). Doch die Göttin der Liebe (Amor in weiblicher Gestalt) steht in Gestalt von Silvia Frigato auf Seiten der schönen Poppea.

Mit dem Soldaten Ottone beginnt die Handlung. Aus dem Krieg zurückgekehrt, entdeckt er die von ihm heiß geliebte Poppea in den Armen von Kaiser Nero (Nerone). Wie klagt er – der Countertenor Carlo Vistoli – Mitleid erheischend über ihre Untreue, hat er sie doch so angebetet und umworben.

Doch die will keinen gut aussehenden Softie aus den niederen Rängen, die will Kaiserin werden, wie sie ihm später knallhart entgegnet. Als er sie aber im Auftrag der vom Hof verbannten Kaiserin töten soll, bringt er es nicht übers Herz. Er liebt sie – von Amor besiegt – trotz aller Enttäuschung nach wie vor und riskiert mit dieser Weigerung sein eigenes Leben. 

Ebenfalls großartig Marianna Pizzolato als Ottavia, wie sie ihrer Trauer über den treulosen Nero Ausdruck verleiht. Und wie ändert sich ihr klangreicher Mezzo, als sie von Ottone energisch die Ermordung von Poppea fordert, um so Nero zurück zu gewinnen.

Doch verglichen mit dieser jungen verführerischen Rivalin hat Ottavia (auch optisch) schlechte Karten. Poppea weiß ihre körperlichen Vorzüge gezielt einzusetzen und zieht so Nero voll in ihren Bann. Schließlich funkeln ihre von ihm abgewendeten Augen  triumphierend, als Nero ihr die Verbannung von Ottavia kund tut.

In dieser anspruchsvollen Rolle brilliert gesanglich und schauspielerisch Hana Blažíková, zuvor in L’Orfeo die La Musica und zarte Euridice. Sie erweist sich als Frau, die genau weiß, was sie will, ohne ihre eigentlichen Ambitionen erkennen zu lassen. Wie bei L’Orfeo lässt sie sich wg. einer Bronchitis ansagen, doch erneut ist keine Beeinträchtigung zu hören. Einmal ein leises Hüsteln, doch besonders im zweiten Teil schillert ihr gelenkiger Sopran in allen Farbfacetten und zeigt keinerlei Ermüdung. Wie muss ihre Stimme erst klingen, wenn sie voll gesund ist? Besser geht doch fast gar nicht.

Den Nerone singt und spielt ausdrucksstark der Countertenor Kangmin Justin Kim. Das Changieren zwischen dem Verliebten einerseits und dem grausam auftrumpfenden Kaiser andererseits gelingt ihm bestens und mit stets voll präsenter Stimme in dieser viel Höhe erfordernden Partie. Dass er, total sex-besessen, auch Interesse für Männer hat, klingt nicht nur musikalisch bei einer Szene an.

Fabelhaft und offenbar in jede Rolle passend Gianluca Buratto, der Mann mit dem gewaltigen Bass, hier nun als Seneca. Voller Würde trägt er die schon erwähnte Verurteilung zum Selbstmord, mit weiser Heiterkeit schreitet er – gefolgt von seinen klagenden Schülern – zum Bade, um sich im heißen Wasser die Pulsadern zu öffnen. Sein Leben solcherart zu verströmen sieht er als angemessenen Tod.  

Dann ist da auch noch Drusilla, bestens Anna Denis, die lustige Melanto in Ulisse. Schon immer liebte sie Ottone, hatte aber gegenüber Poppea keine Chance. Jetzt aber tröstet der sich schnell mit ihr und borgt sich sogar ihre Kleider aus, um beim Mord an Poppea nicht erkannt zu werden. Als er ergriffen wird, bezeichnet sich Drusilla opferbereit als Mörderin. Doch Ottone bekennt Farbe, und aus dem Weichling wird nun ein Mann. Nero schickt beide zusammen in die Verbannung, und die ahnungslose Drusilla ist glücklich darüber.  

Ansonsten tauscht Lucille Richardot die Partie der Penelope (im Ulisse) mit der von Arnalta und Venere. Furio Zanasi, zuvor der fabelhafte Odysseus, kann sich etwas schonen und singt den Soldato I . Gemeinsam mit dem Soldato II lästert er über die Sitten am Hofe. Robert Burt, der superbe Vielfraß in  „Ulisse“, steuert auch hier etwas von seiner Komik bei.

Für den Famigliari ist Gareth Treseder zuständig, für den Lucano Zachary Wilder. Die Damigella landet bei Francesca Boncompagni. Für Mercurio und Littore ist John Taylor Ward verantwortlich, für den Nutrice Michał Czerniawski. Sie alle erweisen sich als enorm wandlungsfähige Sängerinnen und Sänger.

Nun zurück zu Nero und Poppeas Krönung. Sind die beiden, nun am Ziel ihrer grausam erreichten Wünsche, doch ein echtes Liebespaar? Zumindest die Leidenschaft füreinander klingt echt, hat ihnen Monteverdi doch die innigsten Melodien in die Kehlen gelegt. Mit „Pur ti miro“ (dich nur sehen) drücken sie ihr Glück aus, einem Liebesduett, das als eines der schönsten überhaupt gilt. Hier der Text auf Deutsch:

Ich betrachte dich,
ich besitze dich,
ich ergreife dich,
ich umschlinge dich.
Nie mehr Schmerz,
nie mehr Tod,
o mein Leben, mein Schatz.

Ich bin dein,
dein bin ich,
meine Sehnsucht, sag mir’s, sag.
Du bist mein Idol,
du allein.
Fürwahr, meine Liebe,
mein Herz, mein Leben, fürwahr. 

Hana Blažíková und Kangmin Justin Kim singen das echt ergreifend, eher innig-leise als vollmundig jubelnd, und lassen so alle voran gegangenen Untaten – Ende gut, alles gut – beinahe vergessen. Der Jubel danach ist laut, lang anhaltend und fast wie beim Pop-Konzert. Wie jung sind doch diese drei erhaltenen Montiverdi-Opern geblieben, wenn sie so wie geschehen dargeboten werden! 

Ursula Wiegand  

 

 

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