Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Musikfest/ Philharmonie: BENVENUTO CELLINI von Hector Berlioz – halbszenisch

02.09.2019 | Oper


Sir John Eliot Gardiner dirigiert Benvenuto Cellini beim Musikfest Berlin 2019. Foto: Adam Janisch.

Musikfest Berlin 2019 Philharmonie: Berlioz-Oper „BENVENUTO CELLINI“ halbszenisch mit Sir John Eliot Gardiner und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique, 31. August 2019

Es war ein Auftakt nach Maß und voller Überraschungen, ein wirklich hochkarätiges Eröffnungskonzert für das bis zum 19. September andauernde Musikfest Berlin 2019.  Doch spätestens seit der von John Eliot Gardiner 2017 nach Berlin gebrachten und weltweit aufgeführten Monteverdi-Trilogie warteten alle Musikfans gespannt darauf, was Gardiner diesmal mitbringen und sich hinter dem Titel verbergen würde.

Die Bezeichnung Konzert war jedoch krasses Understatement. Es ging um „Benvenuto Cellini“, die erste Oper von Hector Berlioz (1803-1869), eine für ihn „schwierige Geburt“, die ein ungeliebtes Kind bleiben sollte. Nach der Uraufführung 1838 in Paris, die auf Unverständnis stieß, geriet sie weitgehend in Vergessenheit.

In Deutschland, wo Berlioz ohnehin mehr geschätzt wurde und wird als in seinem Heimatland, brachte Weimar 1852 eine gestraffte Variante auf Deutsch unter Leitung von Franz Liszt. In Berlin wurde diese Oper 1894 erstmals inszeniert und dann nie wieder. Das Konzerthaus wagte 2003 eine konzertante Aufführung. Das war’s bisher. Warum die Abneigung gegen diese dramatische, ziemlich wahre Geschichte und Berlioz’ Musik?
Den Renaissance-Goldschmied und Bildhauer Cellini, hochbegabt, selbstbewusst, heftig liebend und auch gewaltbereit gab es tatsächlich. Welche technischen und finanziellen Schwierigkeiten, die er vor und  beim Gießen einer großen bronzenen Perseus-Skulptur überwinden musste, hat er 1556 selbst eindringlich geschildert und war im Programmheft zu lesen. Außerdem ist die Musik von Hector Berlioz durchaus packend und farbenreich, wirkte aber seinerzeit wohl zu revolutionär und gefiel dem Pariser Publikum nicht.

Nun setzt sich – und nicht zum ersten Mal – Sir John Eliot Gardiner, ein Berlioz-Kenner, für den Verkannten und von ihm Geschätzten ein, zumal 2019 der 150. Todestag von Berlioz (ansonsten recht leise) begangen wird. In einer von ihm selbst kreierten Fassung brachte er diese erste Berlioz-Oper in der ausverkauften Philharmonie auf die Bühne. Die Aufführung beim Musikfest Berlin ist das einzige Gastspiel in Deutschland im Rahmen von Gardiners Europa-Tournee 2019 zu Ehren von Hector Berlioz.

Als „semi-sérieux“, also halbernst, hat Berlioz seinen Zweiakter bezeichnet, und Kenner meinen, dieser Cellini sei sein eigenes Alter Ego. Auch das Libretto von Léon Wally und Henri-August Barbier, die sich weitgehend an Cellinis Autobiografie orientierten, bietet Komödiantisches und fast Tragisches. Mit zeitgemäßen Kostümen von Sarah Denise Cordery, der Bewegungsregie von Noa Naamat und  dem Lichtdesign von Rick Fisher wird die Oper nun halbszenisch aufgeführt.

Das passt genau, denn Gardiner und sein eingespieltes Team machen keine halben Sachen.  Das von ihm 1989 gegründete Orchestre Révolutionnaire et Romantique, das auf Instrumenten der Berlioz-Zeit spielt, der international tätige Monteverdi Choir sowie hochkarätige Solistinnen und Solisten bieten wohlgelaunt und mit Verve eine großartige und mitreißende Performance.

Die Ouvertüre, die Berlioz erst zwei Jahre nach der Pariser Opernpremiere komponierte, dirigiert Gardiner mit jungendlichem Elan, und das Orchester spielt sie auswendig. Berlioz hat darin, so scheint es, alles zeigen wollen, was er musikalisch konnte, was das Stück aber relativ unruhig wirken lässt. Doch danach ist alles paletti, und Gardiners fast tollkühne Wiedergutmachung für Berlioz gelingt hundertprozentig.

Das Stück spielt in Rom zur Karnevalszeit um 1532. Doch die schöne Teresa, von Sophia Burgos mit klarem, nuancenreichem Sopran gesungen, darf das muntere Treiben nur durch ihr Zimmerfenster betrachten und ist entsprechend traurig.

Von zwei Männern wird sie begehrt, doch ihr gestrenger Vater Giacomo Balducci, tätig als päpstlicher Schatzmeister, will sie mit dem Künstler Fieramosca – hier der Bariton Lionel Lhote – verheiraten. Mit volumigem Bass versucht Maurizio Muraro der Tochter seinen Willen aufzudrängen.

Die aber liebt den Goldschmied Benvenuto Cellini, einen Mann mit schillernder Vita. Und er sie, was er mit einem Strauß roter Rosen kundtut. Mit seinem angenehm markigen Tenor, mit Temperament und Spielfreude ist Michael Spyres ein Glücksfall in dieser Rolle. Überzeugend Adèle Charvet (Mezzosopran) als Cellinis Gehilfe Ascanio, der sich selbst im Unglück nicht unterkriegen lässt. Die Publikumsgunst gewinnt auch Tareq Nazmi, ein junger Bass, der den kunstbesessenen Papst Clemens VII offenbar absichtlich karikiert. Zwei weitere Gehilfen Cellinis – Francesco und Bernardino – werden von Vincent Delhoume (Tenor) und Ashley Riches (Bassbariton)  gut gesungen. Duncan Meadows, ein Schauspieler, stellt die  schlussendlich doch noch gegossene Perseus-Skulptur dar.

Für die erstgenannten vier Hauptpersonen hat Berlioz einige schöne Arien komponiert, die mit Effet gesungen und sogleich mit Zwischenbeifall belohnt werden. Dennoch ist „Benvenuto Cellini“ größtenteils eine Choroper und wird dank des ungemein fitten und klangschönen Monteverdi Choir zu einem großartigen Erlebnis. Die Damen und Herren singen nicht nur den französischen Text auswendig. Sie swingen und tanzen vor und hinter dem ebenso fabelhaften  Orchestre Révolutionnaire et Romantique oder auch mal durch die Reihen der Instrumentalisten/innen.

Der erste Akt mit dem Karnevalstreiben ist der lustigste, bei dem das Publikum spürbar mitgeht. Die Verkleidung von Cellini und auch Fieramosca als Mönche, womit jeder auf seine Weise die schöne Teresa entführen will, endet mit einem Mord, den der wütende Cellini begeht und in allgemeinem Chaos mit hoch aufschäumender Musik.

Cellini kann fliehen, doch ihm droht der Tod. Verzweifelt wünscht er sich, statt eines Goldschmieds lieber ein Hirte geworden zu sein. Doch der Papst, der unbedingt die noch unfertige Perseus-Statue haben möchte, gewährt ihm Absolution und einen Tag Aufschub. Cellinis Arbeiter, die keinen Lohn bekommen, wollen streiken, auch das schmelzbare Material reicht nicht für die große Figur. In letzter Not wirft Cellini alle seine Meisterwerke in den Schmelzofen, was übrigens der Schilderung des wahren Benvenuto annähernd entspricht.

Das fast Unmögliche gelingt. Wie Phönix aus der Asche steigt bei erneut aufrauschendem Orchesterklang und kraftvollem Chorgesang ein goldener Perseus aus der Asche. Eine Riesenszene, von Gardiner und diesem Ausnahmeteam rasant, aber kontrolliert verwirklicht. Durch seinen Mut hat sich Cellini gerettet, und seine Teresa bekommt er – wie vorab vom Papst versprochen – natürlich auch.


Gefeierte Interpreten nach „Benvenuto Cellini, dirigiert von John Eliot Gardiner. Foto: Adam Janisch

Das triumphale Happy End mündet in großen Jubel für diese faszinierende Aufführung und alle Beteiligten. Der Bläser mit seiner Ophikleide, die Vorform einer Tuba, erhält Sonderbeifall. Berlioz, der in seinem Leben soviel gelitten hat, habe diese Anerkennung des Publikums verdient, fügt Gardiner später zufrieden hinzu. 

Ursula Wiegand

Weiteres zum Programm unter www.berlinerfestspiele.de

 

Diese Seite drucken