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BERLIN/ Musikfest/ Philharmonie 2016: ERÖFFNUNG MIT „TUTUGURI“ von Wolfgang Rihm konzertant

04.09.2016 | Konzert/Liederabende

Musikfest Berlin 2016, spektakuläre Eröffnung mit „TUTUGURI“ von Wolfgang Rihm, konzertant in der Philharmonie, 03.09.2016

Rihm, Tutuguri, Daniel Harding mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks c Peter Adamik
Daniel Harding mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Copyright: Peter Adamik

Es ist ein Auftakt nach Maß, anspruchsvoll, überwältigend, anstrengend  und schließlich vehement bejubelt. Das offizielle Eröffnungskonzert des diesjährigen Musikfests Berlin unter der Ägide der Berliner Festspiele überrascht mit „Tutuguri“ von Wolfgang Rihm.

Komponiert hat er es als 28Jähriger, nannte es „Poème dansé nach dem Gedicht „Tutuguri“ aus dem Hörspiel „Pour en finir avec le jugement de dieu“ (auf Deutsch: Schluss mit dem Gottesgericht) von Antonin Artaud für großes Orchester, Schlagzeuger, Chor vom Tonband und Sprecher“, komponiert von 1980-1982.

Artaud (1896-1948), künstlerisch hochbegabt, jedoch seit einer Menengitis-Erkrankung in früher Kindheit lebenslang in psychiatrischer Behandlung und oft mit starken Drogen (Opium) behandelt, entzieht sich als einer am Rande des Wahnsinns – mit Aufenthalten in der Psychiatrie – „normalen“ Maßstäben. Ein exzessiver Revoluzzer, der das „Theater der Grausamkeiten“ nach balinesischem Vorbild erfand, mit seinen Stücken jedoch scheiterte und sich bei einer Mexiko-Reise von den Tarahumara-Indianern in die altmexikanische Kultur und Magie einweihen ließ.

Das Ergebnis ist „Tutuguri“, der Ritus der schwarzen Sonne, ein Text, geprägt von Halluzinationen und super-expressionistischen Bildern jenseits des Rationellen. Diese Fantasien eines Besessenen krächzt und schreit der Sprecher Graham Forbes Valentine, der wankend den Eindruck erweckt, als wäre auch er ein Verrückter.

Für den jungen Wolfgang Rihm war dieses wortwörtlich fantastische Stück offenbar die genau richtige Vorlage, um es mit allen musikalischen Möglichkeiten auszuloten und es ausschweifend zu interpretieren. Es blieb jedoch Rihms einziges Werk dieser Art. Nie wieder wurde das Schlagwerk so zum Mittelpunkt. „Beim Komponieren habe ich die Musik diesem Text angelagert, der Text brachte diese Musik hervor – ein rituelles Bild auseinanderstrebender Energien,“ äußerte Rihm.

Entstanden ist ein noch heutzutage alle Formen sprengendes Ausnahme-Werk, das die Zuhörer immer wieder mit dissonanten, teils ohrenbetäubenden Klangkaskaden und rhythmischen Lärmattacken überwältigt. Pausen und sanftere Passagen erlauben nur ein kurzes Aufatmen, ehe sich die von 6 Solo-Schlagzeugern dominierten Klänge erneut in den Körper bohren. Manches erinnert an ratternde Züge oder an Schüsse, anderes an leicht dahin gluckerndes Wasser. Ein Entrinnen aus diesem Bannkreis ist unmöglich.

Dass dieses überzeugend gelingt, ist dem Dirigenten Daniel Harding zu verdanken. Der wirft sich in die äußerst anspruchsvolle, rhythmisch vertrackte Partitur, der hat alles im Griff nach Antonin Artauds Motto: „Alles muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden“.

Diese Musik tobt tatsächlich, doch Harding schlägt präzise die Taktvarianten und führt das überaus aufmerksame und bewundernswerte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Höchstleistungen bei der Illustrierung der drei ersten Bilder: 1. Bild (Anrufung, das schwarze Loch , 2. Bild (schwarze und rote Tänze – das Pferd), 3. Bild (der Peyotl-Tanz, die letzte Sonne, der schreiende Mann).

Das Schreien und andere Klangeffekte obliegen dem Chor, dessen Laute und Gesangsfetzen nach Rihms Wunsch vom Band eingespielt werden. Dass anders als bei der Uraufführung 1982 an der Deutschen Oper Berlin nun alles konzertant abläuft, ist eigentlich kein Mangel. Der konzentrierte Blick auf Harding und die Instrumentalgruppen erbringt ein Komplett-Erlebnis und ist genug des Guten.

Nach rd. 1 ½ Stunden hat diese – frenetisch bejubelte – Klangorgie ein vorläufiges Ende. Dass nach der Pause und dem vorherigen Ansturm auf die Ohren Sessel leer bleiben, verwundert allerdings nicht.

Rihm, Tutuguri, 2 der Solo-Schlagzeuger in voller Aktion c Peter Adamik
Die Solo-Schlagzeuger in voller Aktion. Copyright: Peter Adamik

Die gegangen sind, haben jedoch ein Highlight verpasst: die Gestaltung des 4. Bildes (Kreuze, das Hufeisen, die sechs Männer, der Siebte) allein durch Harding und die agilen 6 Solo-Schlagzeuger Christian Pilz, Bart Jansen, Markus Steckeler, Ignasi Domènech Ramos, Wolfram Winkel und Jochen Ille (Klangregie Zoro Babel).

Fast wie bei einem hochkarätigen Jazzfest wirkt das zunächst, doch hier darf niemand improvisieren. Alle Finessen, die Rihm komponiert hat, werden haargenau ausgeführt. Es geht um ein Hufeisen, das den blutenden Körper eines nackten Mannes umklammert, vielleicht ein Bild des Rituals, das den Menschen gefangen hält. Mehrmals dröhnt der große Hammer hinunter, formieren sich auch hier die Geräuschattacken. Der grandiose Schluss einer großartigen Darbietung.

Daniel Harding, Wolfgang Rihm c Peter Adamik
Daniel Harding, Wolfgang Rihm. Copyright: Peter Adamik

Zuletzt erneuter Jubel, Bravos, sich verstärkend, als Wolfgang Rihm das Podium betritt. Sein Jugendwerk hat die Zeiten überlebt und setzt – nach dieser außerordentlichen Aufführung – Maßstäbe für das weitere Musikfest-Programm 2016.      

Ursula Wiegand

 

 

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