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BERLIN / Kühlhaus – „INTONATIONS“ Jerusalem Chamber Music Festival in Berlin; 12.-15.6.2025

16.06.2025 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Kühlhaus – „INTONATIONS“ Jerusalem Chamber Music Festival in Berlin; 12.-15.6.2025

Sommerliche Weltklasse: Elena Bashkirova & Friends mit einem abwechslungsreichen Programm rund um das Format Quintett

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Foto: Dr.Ingobert Waltenberger

Die russische Pianistin Elena Bashkirova gründete 2012 als Berliner Pendant zum seit 1998 bestehenden Jerusalem International Chamber Music Festival den Berliner Ableger „Intonations“. Zehn Jahre lang fand das exquisite, auf nationale Vielfalt und unterschiedliche Karrierestadien der Beteiligten setzende Festival im Jüdischen Museum Berlin statt. 2023 übersiedelte es in den dreistöckigen Kubus des 1901 von der Hamburger Gesellschaft für Markthallen und Kühlhäuser errichteten Kühlhauses Berlin. Die Akustik in dem nach oben offenen, fensterlosen Industrieraum mit Galerien und nackten Stahlbetonträgern ist einzigartig, wirkt sie doch wie ein natürlicher Verstärker des Klangs, ohne hallig zu wirken. Außerdem fühlen sich die Temperaturen auch ohne Klimaanlage bei hochsommerlicher Hitze stets moderat an. Das in blau-fluoreszierende Licht getauchte Ambiente trägt dazu bei, sofort abschalten zu können und bremst noch dazu die grassierende Selfie-itis.

Sechs große Konzerte waren es 2025, die das Quintett, sei es nur mit Streichern oder kombiniert mit Klavier oder Bläsern, in den Mittelpunkt stellten. Eine ansehnliche Schar an Musikern kam für ein verlängertes Wochenende zusammen, um diese Kunstform zu feiern, wobei es am 13. und 14. jeweils vor dem Abendprogramm zum ersten Mal noch „Extrastunden“ um 18h gab.

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Martina Gedeck, Elena Bashkirova. Foto: Dr.Ingobert Waltenberger

Ich habe beide besucht und sie alleine wären schon alle Mühe wert gewesen. Mit Richard Strauss‘ „Enoch Arden – Melodram, Op. 38“, aufwühlend lebendig rezitiert von der Schauspielerin Martina Gedeck und instrumental untermalt von der feinfühlig am Klavier kommentierenden Elena Bashkirova, gab es eine Rarität zu erleben (bzw. zu entdecken, allen Interessierten kann die Aufnahme mit Bruno Ganz und Kirill Gerstein empfehlen), die unmittelbar unter die Haut ging

Die teils improvisierte Lied-Lyrik-Performance im Rahmen des Projekts „Liedstadt“ (mit Musik u.a. von Ruth Schönthal, Schubert und Ravel) des für mich besten lyrischen Tenors der Gegenwart, Julian Prégardien, gemeinsam mit der Weimarer Gitarristin Anne Haasch sowie dem Pianisten Daniel Gerzenberg bescherten eine kleine Zeit an musikalisch eindringlicher, in Elegie durchlaufener Wanderschaft nach dem Motto „Lebendig in Erinnerung denken“. Prégardiens edler Tenor flutete sul fiato in schwebenden Piani bei Franz Schuberts nach innen gekehrtem „Nacht und Träume“.

Das Eröffnungskonzert am 12.6. abends startete mit Mozarts „Adagio und Rondo für Glass Harmonica“ KV 617. Elena Bashkirova, die sardische Flötistin Silvia Careddu, die Südspanierin Cristina Gómez Godoy, seit 2013 Solo-Oboistin der Staatskapelle Berlin, der prominente Bratschist  Razvan Popovici, selbst Leiter des Chiemgauer Musikfrühlings in Traunstein, der Kammermusikreihe “Pèlerinages” in München und Intendant des Kammermusikfestivals “SoNoRo” in Bukarest,  und der in Bregenz geborene Deutsche Grammophon Überflieger Kian Soltani (Cello) sorgten für ein alle Lyrismen der Musik in federleichter Eleganz auskostendes Musikerlebnis.

In Paul Hindemiths fünfsätziger „Kleiner Kammermusik“, bei der zu Silvia Careddu und Cristina Gómez Godoy der junge litauische Klarinettist Žilvinas Brazauskas, Mor Biron (langjähriger Fagottist bei den Berliner Philharmonikern, unterrichtet an der Barenboim-Said Akademie und ist Mitglied im West-Eastern-Divan Orchestra) und der Barenboim-Said Akademie Absolvent Ben Goldscheider am Horn stießen, bot der spielerisch-übermütige Ansatz des Ensembles für die in eine ironische Sachlichkeit kleidenden barocken Tanzrhythmen mit perkussivem Finale nichts weniger als unbeschwert-vergnügliche Unterhaltung.

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Elena Bashkirova und Kian Soltani. Foto: Dr.Ingobert Waltenberger

Mozarts frühromantisch angehauchtes, opernquirliges Quintett für Klavier und Bläser in Es-Dur, KV 452 (Bashkirova, Gómez-Godoy, Brazauskas, Biron, Goldscheider) glänzte in burschikos empfindsamer Manier.

Die Sopranistin Dorothea Röschmann beeindruckte als Solistin bei ihrem Debüt von Ottorino Respighis Poemetto lirico „Il Tramonto“ op. 101 („Der Sonnenuntergang“) nach Versen von Percy Bysshe Shelley, mit hochdramatischer Attacke, großer Wortdeutlichkeit und vollkommener erzählerischer Verinnerlichung. Bei dieser von einem Streichquartett begleiteten Ballade geht es um ein junges Liebespaar, das gemeinsam den Sonnenuntergang erleben will. Nach dem plötzlichen Tod des Mannes wandelt Isabella verzagt auf einsamen Wegen, ein schicksalsgetrieben weiblicher Gegenpart zu Schuberts Müllerburschen. Nur noch ein Wunsch erfüllt ihr Herz: Auf ihrem Grabstein möge der sehnsuchtsvoll erwartete „Frieden“ eingemeißelt sein. Fedor Rudin, französisch-russischer Geiger, Enkel des russischen Komponisten Edison Denissov, seit 2019 Konzertmeister des Wiener Staatsopernorchesters und der Wiener Philharmoniker, Madeleine Caruzzo, Geigerin bei den Berliner Philharmonikern, Joaquin Riquelma García, spanischer Solobratschist und Mitglied der Berliner Philharmoniker und Kian Soltani (Cello) begleiteten den glühenden vokalen Vortrag aus schillerndem Flimmern in dekadenter fin-de-siècle Atmosphäre.

Den kammermusikalischen Höhepunkt und Abschluss des Eröffnungsabends bildete das Klavierquintett in f-Moll, Op. 34 von Johannes Brahms (Sommer 1864). Diesmal war Fabian Müller, einer der brillantesten deutschen Pianisten der jüngeren Generation und „Berlin Classics“ Star, der Solist. Gemeinsam mit Fedor Rudin (Violine), der Geigerin Kathrin Rabus, bis 2023 – und das 34 Jahre lang – 1. Konzertmeisterin der NDR-Radiophilharmonie, dem temperamentvollen französischen Bratschisten Adrian le Marca und dem in fabelhafter Spiellaune disponierten Kian Soltani (Cello) entzückten sie mit einer Brahms-Sternstunde und rissen das Publikum zu Ovationen hin. Die Musiker demonstrierten in den thematischen Durchführungen eine kinoreife Anschaulichkeit, sinfonisch elektrisierend, wogend im Chiaroscuro-launigen Farbenrausch wie ein regengepeitschtes Getreidefeld im Herbstwind. Die finale Stretta im Sechsachtel-Takt strotzte vor Vitalität und rhythmischer Verve.

Das zweite von mir besuchte Konzert am 14.6. bot eine erhellende programmatische Gegenüberstellung von Antonín Dvoráks Streichquintett Nr. 2 in G-Dur, Op. 77 mit dem spätromantischen Klavierquintett in C-Dur von Béla Bartók. Bedauerlicherweise resultierte aus der spezifischen Zusammensetzung bei Dvorák ein nur sehr eingeschränkt positives Erlebnis. Die Geigerin Diana Tishchenko spielte mit vibratoarmen schneidendem Ton und klang ganz nach Shostakovich-artiger Stahlgewittermanier und nicht nach „Böhmens Hain und Flur“. Jede und jeder der anderen vier (Mohamed Hiber, Violine, Sindy Mohamed Bratsche, Ivan Karizna Cello und Nabil Shehata Kontrabass) zeigten sich zwar in top technischer Form, aber es ergab kein Miteinander, kein gemeinsames Atmen und agogisches Wogen. Und oftmals wurden sie durch den scharfen ersten Geigenton gnadenlos überdeckt. Da hätte doch schon jemand bei den Proben auf die mangelnde klangliche Balance aufmerksam werden müssen. Dabei haben vor allem der immens talentierte Franzose Mohamed Hiber, seit 2019 Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung als auch der ebenfalls französische, aus jeder Pore seines Wesens Musik exhalierende Cellist Ivan Karizna auf seinem edeldunklen Tassini-Cello von 1760, „ex Paul Tortelier“ mit wunderschön modellierten sanglichen Tönen mehr als aufhorchen lassen.

Kalt und warm. Ganz anders gestaltete sich die einfach himmlische, von einem Sternenregen geküsste Wiedergabe von Béla Bartoks Klavierquintett in C-Dur aus 1903/04. Der 23-jährige Bartók hatte das Werk eigentlich für sich selbst als Klaviervirtuosen geschrieben. Dass bei diesem immens anspruchsvollen Werk Brahms und der von ihm praktizierte ungarische Stil (besonders dessen Klavierquintett in f-Moll, op. 34) Pate standen ist evident. Dazu gesellen sich Einflüsse von Liszt, Richard Strauss und César Franck. Bei alldem muss gesagt werden, dass das Ergebnis ein überaus Bekömmliches ist und in keiner Weise den späteren experimentellen Expressionisten erahnen lässt.

Zur trefflichen Ausführung bedarf es fünfer Erzmusikanten in beschwingter Geberlaune. Chromatischer Walzer, Feentanz, Rhapsodisches, am Ende ein rasantes Fugato und eine Stretta geben Gelegenheit, sich bei diesem jugendlich überschwänglichen Stück an den jeweiligen Instrumenten auszutoben, freilich in zusammen erfühltem Rubato, rhythmischer Präzision und romantisch aufgepeitschtem Temperament. Und genau das war an diesem Abend beispielhaft zu erleben. So bitten wir die fantastische bulgarische Pianistin Plamena Mangova, die bewunderungswürdige Mihaela Martin, Primaria des „Michelangelo String Quartet“, mit ihrem sinnlich runden Geigenton, die deutsch-russische zweite Violinistin Alissa Margulis, und wieder Razvan Popovici an der Bratsche und Ivan Karizna (Cello) vor den Vorhang. Was für ein lange nachwirkendes Erlebnis.

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Foto: Dr.Ingobert Waltenberger

Das Konzept, überwiegend die besten der besten der Klassikwelt mit aufstrebenden, aber schon bewiesen exzellierenden Instrumentalisten in einem Festival nach einem programmatischen Ansatz zu mischen, mag zwar nicht neu sein, erhält aber durch den spezifischen Berliner Genius loci, dem etwa der Auftritt von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker zu verdanken ist, einen ganz besonderen Charakter. Und natürlich ist auch der künstlerischen Leitung der charismatischen Pianistin Elena Bashkirova zu danken, die wie Daniel Barenboim beim West-Eastern Divan Orchestra ganz auf nationale Durchmischung und damit ein weiteres Mal auf ein Zeichen des möglichen Miteinander setzt. Die dringliche Aktualität dieses Anliegens ist unübersehbar.

Fotos mit Elena Bashkirova und Kian Soltani, Elena Bashkirova und Martina Gedeck sowie Ensembles: Ingo Waltenberger

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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