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BERLIN/ Konzerthaus: TEODOR CURRENTZIS UND PATRICIA KOPATCHINSKAJA fegen den Staub von den Partituren

14.03.2017 | Konzert/Liederabende

Berlin/Konzerthaus: Teodor Currentzis und Patricia Kopatchinskaja fegen den Staub von den Partituren, 13.03.2017

Teodor Currentzis (c) Anton Zavyalov
Teodor Currentzis. Copyright: Anton Zavjyalov

 Nanu, soviel Bekanntes – zweimal Mozart und Beethovens „Eroica“ – das war die erste Reaktion beim Blick aufs Programm. Wenn sich jedoch Teodor Currentzis und Patricia Kopatchinskaja solch vielfach gehörten und oft dargebotenen Werken widmen, pusten sie den Staub des Gewohnten von den Partituren.

Ist das nur eine Masche, um aufzufallen und sich im internationalen Konzertbetrieb durchzusetzen? Nein, es ist beider Temperament und ihre immense Musikalität, die Altbekanntes plötzlich ganz frisch klingen lässt.

Diese Herangehensweise passt zur „Sinfonie Nr. 25 g-Moll“, KV 183, die der 17-jährige Mozart – nach seinen Eindrücken in Wiens Musikwelt – im Herbst 1773 in Salzburg zu Papier brachte. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – ein deutlich erweitertes Spektrum kennzeichnet diese Sinfonie gegenüber ihren Vorgängerinnen. Sie weist schon den Weg zu Mozarts erfolgreichen Opern.

Mit dem von ihm 2004 gegründeten Orchester MusicAeterna rückt Currentzis dem jungen Wolfgang Amadeus zu Leibe, spitzt zu und betont, eine perfekte Choreografie bietend, die Stimmungsschwankungen. Seine Instrumentalisten spricht er bei fast jedem Ton eindringlich an, als wollte er sie (unnötigerweise) wachrütteln. Jedes Detail soll so werden, wie es Mozart gemeint haben könnte: Mal jungendlich keck und knackig, zumeist stark rhythmisch und kurz darauf von wehmutsvoller Zartheit.

Patricia Kopatchinskaja, Foto Marco Borggreve
Patricia Kopatchinskaja. Copyright: Marco Borggreve

 

Currentzis lässt Mozart lebendig werden, und zusammen mit der Barfußgeigerin Patricia Kopatchinskaja, „Artist in Residence“ des Konzerthauses Berlin, gelingt das bei Mozarts „Konzert für Violine und Orchester D-Dur“ KV 218 noch lustvoller und überzeugender.

Ihr Barfußspiel ist kein Publicity Trick. Die mit der Musik Hüpfende braucht den vibrierenden Boden unter ihren Füßen. Wohlklang will sie nicht unbedingt bieten, und wenn sie es tut, könnten Eisberge schmelzen.

Doch lieber bürstet sie dieses spieltechnisch anspruchsvolle Mozart-Stück gegen den Strich. Um Ausdruck und ums Wachmachen geht es ihr. Genau wie Currentzis. Ihr Miteinander- Musizieren wird zum Paartanz zweier unbeirrbarer Individualisten. Im Andante Cantabile selig dahin zu dämmern, ist den Zuhörern nicht erlaubt.

Dass Frau Kopatchinskaja bei ihren Soli manche Passagen verzerrt und die Geige gelegentlich grinsend quieken lässt, als trete jemand einer Katze auf den Schwanz, ist den meisten Besuchern offensichtlich bekannt und wird mit Auflachen quittiert. Andererseits geigt sie sich in superfeine, kaum noch wahrnehmbare Töne empor. Dann hört selbst Currentzis nur noch zu, ehe er mit den wackeren Seinen wieder heftig Fahrt aufnimmt.

 Doch das alles war nur ein Vorspiel zu Beethovens „Eroica“. Jetzt springt Currentzis seine Musikerinnen und Musiker förmlich an, treibt sie beim Allegro con Brio in aberwitzige Tempobereiche, zeigt uns Beethoven, den Brausekopf, der erst später auf den Klassikthron gehoben und zum Säulenheiligen stilisiert wurde. Weg mit dem Andachtsstaub von 200 Jahren. In die letzte Geigenreihe hat sich unauffällig Patricia Kopatchinskaja eingereiht. Die macht mit Verve mit und nicht nur Dienst nach Vorschrift.

Doch dann der unerwartete Umschwung beim Marcia Funebre. Der wird mehr als ein ergreifender Trauermarsch. Zerrissen wirkt er, als würde der Schleier wohlfeilen Mitleids weggezogen. Nun meint man, die Schmerzen der sterbenden Soldaten in den Feldzügen Napoleons zu vernehmen, dem Beethoven diese Sinfonie ursprünglich widmen wollte. Ihre ganz leisen, von Pausen unterbrochenen letzten Seufzer gehen unter die Haut.

Danach aber reitet der Grieche, der seine neue Heimat Perm im Ural auf die Musiklandkarte katapultiert hat, erneut Attacke, federnd und fordernd bei den irrwitzigen Tempi. Nur die drei Waldhornbläser zeigen trotz einer Tempoverlangsamung Nerven, während der erste Geiger voll in seinem Element ist.

Hat Currentzis das Publikum im ausverkauften Konzerthaus geschockt? Nein, das jubelt, das feiert den Wachmacher Currentzis und diesen auferweckten Beethoven mit lang anhaltendem Jubel und „Standing Ovations.“     

Ursula Wiegand

 

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