Berlin/ Konzerthaus: das Romanian Sinfonietta Orchestra begeistert beim Festival Young Euro Classic, 19.8.2015
Romanian Sinfonietta Orchestra, Dirigent Horia Andreescu, Foto Kai Bienert
Sind diese Musikerinnen und Musiker wirklich erst 16 bis 20 Jahre, wie im Programm geschrieben steht? Jung sind sie unverkennbar, spielen aber (fast) so versiert wie die „Alten“. Im Jahr 2000 wurde dieses Jugendorchester vom Cellisten und Lehrer Marin Cazacu gegründet, einem Talentesammler, hat er doch auch das Rumänische Nationale Jugendorchester und das Junior-Orchester ins Leben gerufen.
Die Instrumentalisten/innen, die jetzt im Rahmen von Young Euro Classic im ausverkauften Konzerthaus Berlin das Publikum begeistern, wurden in ganz Rumänien für die Romanian Sinfonietta ausgewählt. In diesem 20 Millionen Einwohner Land wird Musik offenbar weiterhin (oder wieder) großgeschrieben. Die Damen, rund die Hälfte der Orchestermitglieder, tragen weiße, traditionell bestickte Blusen, die Herren schwarze Hemden mit roter Fliege zur schwarzen Hose. Gut sieht das aus, und gut spielen sie, selbst die anspruchsvollsten Werke.
Es ist der erste Auftritt des Orchesters außerhalb seiner Heimat, und das gleich in der deutschen Hauptstadt. Falls sie Lampenfieber haben, ist es ihnen nicht anzumerken. Ihr erstaunliches Können besiegt jede mögliche Nervosität.
Sicherlich ist das auch dem erfahrenen Horia Andreescu zu verdanken, Chefdirigent der Philharmonie „George Enescu“. Von renommierten Orchestern im Ausland wird er ebenfalls gerne eingeladen und ist in Berlin kein Unbekannter. Der 68Jährige hat auch an diesem Abend alles im Griff, gibt präzise Einsätze und leitet die Instrumentalisten mit jugendlichem Schwung.
Den Anfang macht die „Rumänische Rhapsodie Nr. 2“ D-Dur op. 11 von George Enescu, komponiert 1901. Als Wunderkind begann er, ging dann als Geiger zunächst nach Wien, war später der Lehrer von Yehudi Menuhin und reifte allmählich zum größten Komponisten Rumäniens. Den dennoch hierzulande weniger Bekannten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, versteht sich von selbst.
„Lento“, langsam, hatte Enescu als Tempo vorgegeben, und so ist dieses Stück als Einstieg bestens geeignet. Jedenfalls trübt kein Ausrutscher das anfängliche Unisono, dem bald Volksliedhaftes folgt. Viel sämige Folklore, alles höchst romantisch. Waldesklänge schmeicheln sich ins Ohr. Die Flöte scheint von einer Hirtin zu erzählen, und nach einer lustigen Dorffest-Polka schwebt schließlich die Flöte über dem allerfeinsten Pianissimo. Prima. Und herzlicher Beifall.
Romanian Sinfonietta Orchestra, Solist Daniel Goiti, Foto Kai Bienert
Das Orchester konzentriere sich auf „Meisterwerke des romantischen und klassischen Repertoires“, ist im Programm zu lesen. Mit Tschaikowskys höchstbekanntem „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1“ b-Moll op. 232 wagt man den Vergleich mit berühmten Klangkörpern. Das gilt auch für den sehr anspruchsvollen Klavierpart, ein Muss für die Besten. Gehört der in Rumänien und Osteuropa stark gefragte Daniel Goiti zu dieser Creme de la Creme?
1874, mit 34 Jahren, hatte sich Tschaikowsky erstmals ans Komponieren eines Solokonzerts gewagt, doch dem Genius gelang auf Anhieb dieser große Wurf. Er selbst sprach von einem „Kampf zweier ebenbürtiger Kräfte“, also zwischen dem Orchester und dem Pianisten. Schon die wuchtigen Anfangsakkorde illustrieren dieses Ringen um die Vorherrschaft, die an diesem Abend jedoch eher zu einem gelungenen Miteinander gerät.
Dirigent und Solist halten engen Kontakt und verwirklichen Tschaikowskys Farbenreichtum gemeinsam, den majestätischem Beginn ebenso wie das fein nuancierte Andantino und das feurige Finale. Goitis Finger hämmern in die Tasten, hüpfen aber auch leicht darüber, bieten Berstendes und Gefühlvolles.
Seine Technik lässt keine Wünsche offen, und die Instrumentalisten halten mit. Dass Horia Andreescu anfangs, so schien es mir, das Tempo zugunsten des Orchesters etwas im Zaum hielt, war durchaus akzeptabel. Und dass manches per saldo eher sportlich gerät, ist ein Vorrecht der Jugend. Nach dem Schlussakkord braust verdienter Applaus durchs Haus.
Mit zwei Zugaben – einem Prelude von Enescu aus der „Suite Nr.1 für Soloklavier“ und „Helle Nächte“ aus Tschaikowskys Klavierzyklus „Die Jahreszeiten“ – zeigt Goiti, dass er auch Zartes delikat gestalten kann und nicht nur als Tastenlöwe brillieren möchte.
Nach der Pause dann Dvořáks „Sinfonie Nr. 8 G-Dur“ op. 88. Auch die ist eine Herausforderung. Doch nun wissen die jungen Musiker: „Wir schaffen das“, die plötzliche Beschleunigung, das „Vogelgezwitscher“, das volumige Singen, das Aufbrausen und die rhythmischen Kontraste. Hut ab vor dem 1. Geiger, der die Musik im schlanken Körper hat, Chapeau für die Bläser, hohes Lob für die Streicher und die zuverlässigen Pauker.
Riesenjubel, stehende Ovationen, die Zuhörer aller Altersgruppen bersten vor Begeisterung. Der Dirigent lässt sich nicht lange bitten und bringt als Rausschmeißer zwei wahre „Gassenhauer“: die Polka „Donner und Blitz“ von Johann Strauss und die Plappermäulchen-Polka von Josef Strauß. Die Musikerinnen und Musiker schwenken beim Spielen ausgelassen ihre Instrumente, explodieren vor Lust und Lebensfreude genau wie das Publikum. Bravo!
Dank Young Euro Classic gibt es in Berlin kein Sommerloch. Den Schlusspunkt des 17tägigen Festivals setzt am 23. August das neu gegründete „Friedensorchester“. Musikern/innen aus Russland, der Ukraine, Armenien und Deutschland wollen – unter der Leitung von Enoch zu Guttenberg – mit Beethovens Neunter Sinfonie für Versöhnung und Miteinander plädieren.
Ursula Wiegand