BERLIN / Konzerthaus OPUS KLASSIK GALA; 13.10. Die Tonträgerbranche zeigt sich vital und präsentiert überwiegend junge Talente
Persönliche Eindrücke des Abends
Konzerthaus, Großer Saal. Copyright: Monique Wüstenhagen
Klar ist die Verleihung der Opus Klassik-Stimmgabeltrophäen als Nachfolgepreis des Echo Klassik, vor allem ein Fest der Verlagsgiganten klassischer Musik Universal, Warner und Sony. Und natürlich ihrer den verschiedenen Publikumsgeschmäcker adaptierten, diversifizierten Strategien und ihrer Geschäftstüchtigkeit. Alles legitim.
Das höchst Erfreuliche dabei ist, dass diesmal – ich war live im Konzerthaus dabei – die jungen Musiker und Musikerinnen den Hauptteil des Interesses ausmachten. Ausrichter des Preises, der herausragende Klassik-Künstler und -Tonträger auszeichnet, ist der Verein zur Förderung der Klassischen Musik e. V., in dem Musiklabels, Veranstalter, Verlage und Personen mit Einflüssen in der klassischen Musik vertreten sind.
Ein ansehnlicher Teil der Preisträger und Preisträgerinnen hat 2024 noch dazu einen Österreich-Bezug. Entweder sie leben da oder sind ganze oder halbe Österreicher.
María Dueñas, Bruce Liu. Copyright: Monique Wüstenhagen
Als da wären die spanische Geigerin María Dueñas, die vor acht Jahren nach Wien zog, um bei Boris Kuschnir zu studieren. Sie war die Einzige, die gleich zwei Preise abräumte: Für das Album mit Beethovens Violinkonzert (Wiener Symphoniker; Manfred Honeck) erhielt sie einen der für die Rubrik „Nachwuchskünstler des Jahres“ vorgesehenen Preise. Zudem war sie Gewinnerin in der Auslosung Welt am Sonntag „Publikumspreis“. Ihr gemeinsamer schwungvoller Auftritt mit dem Pianisten Bruce Liu galt dem Ungarischen Tanz Nr: 1 in g-Moll von Johannes Brahms, in einem Arrangement von Joseph Joachim.
Die in Wien im „Fledermaus“-Haus (Strauss komponierte da seine so komische wie „sittenanrüchige“ Operette) aufgewachsene Anna Prohaska, den Staatsbürgerschaften nach Österreich-Britin, Mitglied des Ensembles der Staatsoper Unter den Linden, ist Sängerin des Jahres. Diese rare Auszeichnung zelebrierte sie ganz in raffiniert durchsichtiges Schwarz gehüllt, mit der ganz und gar großartig gesungenen Arie „L’année en vain chasse l’année“ aus Claude Debussys „L’Enfant prodigue“.
Franziska Fleischanderl. Copyright: Monique Wüstenhagen
Die Linzerin Franziska Fleischanderl wiederum pries eine Rarität. Sie spielte auf einem Salterio – einem barocken Hackbrett – Vivaldi. Die den Preis spiegelnde CD „Vivaldi Saltiero“ ist beim renommierten Alte Musik Label Christophorus Records erschienen. „Einen Klang wie Sternenglanz“ beschied ihr der Deutschlandfunk und wir können nicht umhin, diese Charakterisierung zu teilen. Noch dazu ist die promovierte Dr.in Musikwissenschaftlerin. „Ein sanfter Tröster hochgebor’ner Ohren. Das Salterio im Italien des 18. Jahrhunderts“ ist denn auch der Titel einer zugehörigen Publikation. Innovativ, analytisch und dennoch eine ganz urwüchsige Musikantin!
Für ihr Lebenswerk erhielt die aus Berlin stammende, aber in Wien lebende und vorrangig künstlerisch beheimatete Sopranistin Gundula Janowitz den Opus Klassik. Ihre Interpretationen von Opern Mozarts (Don Giovanni, Cosi fan tutte, Le nozze di Figaro), von Richard Strauss (Capriccio, Arabella, Ariadne auf Naxos; Vier letzte Lieder Ballett) oder in Fidelio an der Wiener Staatsoper halten nicht nur für mich unvergessliche Erinnerungen bereit, sondern sind und bleiben samt den entsprechenden Tonträgern nach wie vor maßstabsetzend. „Von ihr konnten noch die Engerl singen lernen“, soll ein Intendant einst gesagt haben. Genau das meine ich auch! Der Preis wäre aus meiner Sicht Auftrag an die Deutsche Grammophon, das diskografische Erbe der Sängerin neu und umfassend zu editieren.
Bleiben wir bei den Jungen. Auf der E-Gitarre begeisterte der polnische Virtuose Marcin, der in der Kategorie „Videoclip“ reüssierte. Lass die Haare wehen. Im wahrsten Sinn des Wortes fegte dieses Temperamentsbündel mit einem Eigenarrangement von Georges Bizets „Habanera on One Guitar“ über die Bühne. Der Saal tobte zu Recht.
Anna Lapwood. Copyright: Monique Wüstenhagen
Genau so unbeschwert, voller Elan und Muisk im Blut präsentierte sich die britische „Nachtproberin“ Anna Lapwood an der Orgel. Mit ihrem Album „Lena“ errang sie den Preis für die Kategorie solistische Einspielung Instrument (die andern beiden sind der Pianist Bertrand Chamayou und die Geigerin Hillary Hahn). Nach Philipp Glass Auszug aus „Mad Rush“ und der „Interstellar Suite“ von Hans Zimmer ließ mit sie mit dem Schluss der dritten Symphonie („Orgelsinfonie“) des Camille Saint-Saens auf der prächtigen Konzerthaus-Orgel den Saal erbeben. Eine Lichtshow tat das ihrige zu der unglaublichen Wirkung im Saal. In ihrer Danksagung würdigte die humorvolle und sympathische Künstlerin ihren anwesenden Bruder, dem sie einst nacheiferte und ohne den sie ihren Lebensweg so nicht gemacht hätte.
Als Nachwuchskünstlerin ebenfalls geehrt wurde die russische Cellistin Anastasia Kobekina, die auf einem instrument von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahre 1740 in Ausschnitten aus Nino Rotas „Canto della Buranella“ und Antonio Vivaldis Cellokonzert in d-Moll RV 405 einen runden warmen Ton und eine begeisternde Virtuosität unter Beweis stellte.
Wichtig und für das Konzerthaus Berlin von großer Bedeutung ist der ihm verliehene Preis für „Innovatives Konzert“, das unter dem Titel „Die Orchestergesellschaft – Wie funktioniert ein Orchester“ überzeugte. Das Konzerthaus Berlin ist auf einem guten Weg und lockt durch neue genresprengende Formate neues Publikum in Scharen an. Das Projekt selbst läuft so ab: „Zuerst musiziert das Konzerthausorchester das Stück, um das es geht. Im moderierten Gespräch danach demonstrieren Musiker*innen, worauf es eigentlich ankommt. Unter Anleitung einer Musikpädagogin verwandelt sich das Publikum in ein Workshop-Orchester und tastet sich an die wichtigsten Fähigkeiten heran. Im großen Finale agieren das echte Orchester und das Workshop-Orchester schließlich gemeinsam.“
Unter den ausgezeichneten Nachwuchstalenten war weiters der beim Gelblabel unter Vertrag stehende Pianist Bruce Liu zu finden. Die für ihn als Adoleszent existenzielle Frage „Entweder Schwimmen oder Klavierspielen“, beantwortete er rational klug so: „Als Schwimmer hätte ich die Karriere fast schon hinter mir, als Pianist beginnt sie erst so richtig.“ Sein Album „Waves“ überzeugte nicht nur mich vorbehaltlos. Als Kostprobe daraus spielte Bruce Liu das Charakterstück „Les Sauvages“ von Jean-Philippe Rameau. Der Beweis, dass französische Barockmusik nicht nur mit einem Cembalo, sondern auch auch auf einem modernen Flügel bestens funktioniert. Seit seinem Sieg beim 18. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb im Oktober 2021 zählt dieser so angenehm unprätentiös und ruhig wirkende Künstler sowieso zur pianistischen Weltspitze. Einen weiteren davon hat ebenfalls die Deutsche Grammophon unter Vertrag. In Abwesenheit wurde Vikingur Ólafsson in der Kategorie Bestseller für sein Album Goldberg Variationen gefeiert. Also mit Bach kann man auch Geschäft machen, wenn Qualität und Marketing stimmen.
Zu den bekanntesten arrivierten Stars, die an dem Abend im Konzerthaus auftraten, zählten der chinesische Pianist Lang Lang als Instrumentalist des Jahres und dessen deutsch-südkoreanische Frau und Pianistin Gina Alice Redlinger mit dem quirligen ‚Aquarium‘ und dem Finale aus Camille Saint-Saens „Der Karneval der Tiere“. Als Co-Verleiher war Axel Milberg engagiert, der gemeinsam mit der charmanten und hochprofessionellen Moderation von Désirée Nosbusch die mattmetallene Stimmgabel überreichte.
Begleitet wurden Lang Lang und Gina Alice ebenso wie der französische Cellist Gautier Capucon, der (unnötigerweise) in derselben Kategorie für sein die Olympischen Spiele 2024 in Paris akustisch bewerben wollendes Kommerzalbum „Destination Paris“ ausgezeichnet wurde, vom fabulösen Konzerthausorchester unter der musikalischen Leitung des jungen Chefdirigenten der Münchner Symphoniker Kevin John Edusei. Was dieser unter der künstlerischen Leitung von Joana Mallwitz an Qualität enorm gewachsene Klangkörper zu leisten imstande ist, war an diesem Abend auch an der „Ouvertüre“ mit Erich Wolfgang Korngolds „Captain Blood – Main Theme“ und noch intensiver an Anne Clynes „Masquerade“ zu erleben. Das Stück der jungen britischen Komponistin ist inspiriert von den Promenadenkonzerten, die im 18. Jahrhundert in den Londoner Lustgärten stattfanden.
Es gab auch einen Opus Klassik School, bei dem 400 Schüler und Schülerinnen entschieden, ihn an die koreanische Sopranistin Hera Hyesang Park (Luke Howard „While you live“) für ihr Album „Breathe“ (DGG) zu vergeben. Der Preis für Nachwuchsförderung (Kinder- und Jugendarbeit) ging verdient an die Hanke Brothers. Die vier Sindelfinger Brüder, musikalische Aktivisten für die nächste Generation, treten in der spannenden Besetzung Blockflöte, Viola, Klavier und Tuba auf.
Da ich nach dem nachmittäglichen Konzert ab 16h live noch ein wenig in die zeitversetzte TV-Übertragung ab 20h15 im ZDF geschaut habe, kristallisierte sich folgender eklatanter Unterschied in der Wahrnehmung heraus: Im Konzerthaus konnte ich einem klassischen, dezent moderierten Musikereignis in Ruhe und Konzentration lauschen. Bei der TV-Übertragung haben mich sofort die vielen Schnitte gestört, die bild- und tempofixiert der Musik so viel von ihrer Wirkung nehmen.
Die Tonträgerpreise sind vergeben, hoffentlich schaffen sie auch diesmal neue Zugänge für ein neues Publikum. Oder wie dies der Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo vor dem Konzert meinte: Am wichtigsten an der Sache ist es, klassische Musik in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Dann wäre auch so manches selbstreferentielle Schwimmen in der eigenen Sauce einer Branche, die es geschäftlich mit der Klassik nicht leicht hat, wieder vergessen.
Über den OPUS KLASSIK:
Der OPUS KLASSIK ist der Preis für klassische Musik in Deutschland. Eine unabhängige Jury wählt in verschiedenen Kategorien die Preisträger*innen aus. Der Preis wird in zwei hochkarätigen Veranstaltungen verliehen. Über die Preisverleihungen hinaus versteht sich der OPUS KLASSIK als kultureller Vermittler der klassischen Musik und nimmt seine bildungsstiftende Rolle in Form von Schulkooperationen wahr. Der OPUS KLASSIK feierte seine Premiere 2018 im Konzerthaus Berlin. Ausrichter ist der Verein zur Förderung der Klassischen Musik e.V., in dem Label, Veranstalter, Verlage und Personen der Klassik-Welt vertreten sind. Unterstützt wird die Auszeichnung von der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL).
Über die Jury des OPUS KLASSIK
Die Jury des OPUS KLASSIK setzt sich aus Vertreter*innen der Musik- und Medienbranche zusammen. Über die Preisvergabe entscheiden die beiden Jurysprecher Dr. Kerstin Schüssler-Bach (Composer Manager Boosey & Hawkes) und Michael Becker (Intendant Tonhalle Düsseldorf) sowie Michael Brüggemann (Vice President Sony Classical Germany), Elmar Krekeler (Journalist), Tobias Feilen (Redaktionsleiter Musik und Theater ZDF), Günter Hänssler (Hänssler Classics), Stephanie Haase (Director Classics Warner Music), Kleopatra Sofroniou (General Manager Classics Deutsche Grammophon) und Raliza Nikolov (Moderatorin).
Dr. Ingobert Waltenberger