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BERLIN / Konzerthaus: LAHAV SHANI dirigiert die MÜNCHNER PHILHARMONIKER;

16.09.2025 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Konzerthaus: LAHAV SHANI dirigiert die MÜNCHNER PHILHARMONIKER; 15.9.2025

Umjubelter, emotionaler Konzertabend mit Beethoven und Wagner

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Foto: credits Tobias Hase

Die Vorgeschichte zu diesem Sonderkonzert der Berliner Festspiele im Berliner Konzerthaus ist traurig, „tief beschämend“ und empörend zugleich: Da wurde unter einer fadenscheinigen wie schwammigen Begründung (in Richtung nicht ausreichende Distanzierung vom Vorgehen der israelischen Regierung plus die Tatsache, dass Lahav Shani Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist) ein deutsches Spitzenorchester mit seinem designierten jüdischen Chefdirigenten vom „Flanderss Festival Ghent“ wieder ausgeladen. Einschätzungen deutscher Politiker von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Shani am Tag des Berliner Konzerts im Schloss Bellevue empfangen hat, bis zu Bayerns Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer gehen von einer unter jedem Blickwinkel inakzeptablen, eindeutig antisemitischen Vorgangsweise der Festivalleitung in Flandern aus.

Matthias Pees, Intendant der Berliner Festspiele, und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonten in ihren Ansprachen vor dem Konzert das Verbindende und möglicherweise Versöhnende in Kunst und Musik. Freilich, nicht ohne vorher politische Querverweise gezogen zu haben. Weimer benannte explizit den Tag genau vor 90 Jahren, also den 15. September 1935: Da wurden die sog. „Nürnberger Gesetze“ während des Reichsparteitags der NSDAP im Saal des Industrie- und Kulturvereins Nürnberg verabschiedet. Sie bildeten die Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus. Weimers Schlussfolgerung für den besonderen Anlassfall: „Europäische Bühnen dürfen niemals zu Orten werden, an denen Antisemiten den Spielplan diktieren.“

Berlin hat rasch und mit einer unmissverständlichen Botschaft auf den Affront reagiert: Die Münchner Philharmoniker und Lahav Shani wurden auf Initiative der Berliner Festspiele, der Stiftung Berliner Philharmoniker und des Konzerthauses Berlin spontan zu einem „Ersatzkonzert“ für den 15.9. eingeladen. Damit wollen die Gastgeber ein „Zeichen setzen für die verbindende Kraft der Kunst, die Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaften in Europa und gegen Antisemitismus, Diskriminierung und den Boykott in Kunst und Wissenschaft“. Auf dem Programm standen Beethovens Violinkonzert in D-Dur, Op. 61 (Kadenz von Alfred Schnittke) und Richard Wagners Vorspiel zum 1. Aufzug und Isoldens Liebestod aus dessen Oper „Tristan und Isolde“.

Das Konzert fand ohne Pause und unter umfassenden Sicherheitsvorkehrungen statt. Der gesamte Gendarmenmarkt war gesperrt. Die Polizei kontrollierte am Einlass zur Schutzzone Ausweise und Eintrittskarten aller Personen, die zum Konzerthaus wollten. Dann gab es eine Taschen- und Kartenkontrolle sowie zusätzlich eine beachtliche Anzahl an an Security-Leuten im Saal. Die Absicht: Nichts sollte das Publikum gefährden oder den Ablauf des Konzerts im komplett ausverkauften Saal stören. Was dann glücklicherweise auch so eintraf.

Tatsächlich gestaltete sich der musikalische Teil abseits der geschilderten Begleitumstände als ein einzigartiges und durchwegs hoch erfreuliches Erlebnis. Dirigent Shani betrat – die angespannte Atmosphäre berücksichtigend – mit bewundernswerter Gelassenheit und einem Lächeln auf dem Gesicht den Saal. Der ruhige, sympathische Künstler und Daniel Barenboim-Schüler (sein Mentor und Lehrer befand sich im Saal) erfreute mit einer großartig ausbalancierten, klassischen Lesart von Beethovens Konzert für Violine und Orchester in D-Dur aus dem Jahr 1806 (rev. 1807). Shani, ein begnadeter Klangästhet ohne jegliche Showattitüde, dirigiert ohne Stab. Seine geschmeidige Art, die rechte Hand als subtiles Ausdrucksmittel einzusetzen, zielte auf den lyrisch-liedhaften Charakter im ersten Satz Als tief romantisch empfunden mit flexibel gedrechselten Temporückungen und einer majestätisch märchenhaften Erzählweise könnte man Shanis Art, dieses virtuose Violinkonzert mit Leben zu erfüllen, beschreiben. Eine Besonderheit ist die Wahl der Kadenz von Alfred Schnittke aus den 1970ern. Der britische Musikjournalist Norman Lebrecht beschrieb sie als eine „tour d’Horizon der großen Konzerte, mit Zitaten von Bach, Beethoven, Brahms, Mozart, Ysaÿe, Schönberg, Berg und Schnittke selbst.“ Und wirklich kontrastiert sie das Jetzt perfekt und reflektiert dazu ganz wunderbar die unterschiedlichen musikalischen Charaktere von Shani und der georgischen Geigerin Lisa Batiashvili. Die wiederum ist eine ganz große Klasse für sich und gibt den Solopart mit mattseidener Eleganz, zarter Beredsamkeit und unendlicher klanglicher Delikatesse.

Das Larghetto nahm Shani mit breiten Tempi, ließ die Streicher in himmlischer Poesie aufblühen, während die Solistin in mystisch-gläsernen Kantilenen dazu ihr bewegendes Solo sang. Im verspielten, 6/8 Takt des dritten Satzes ging es mozartisch beschwingt und leichtfüßig zu. Shani begnügte sich mit sparsamen Bewegungen aus der Schulter als Taktmacher und den Fluss der Musik verstetigender Animator. Batiashvili glänzte im Tänzerischen der Musik mit federnder Bravour.

Als Zugabe begleitete Lahav Shani (der auch das Instrument des Kontrabasses beherrscht) auf dem leider nicht sehr klangvollen Klavier Lisa Batiashvili zu Fritz Kreislers Altwiener Tanzweise „Liebesleid“. (Anm.: Dieser Fritz Kreisler ist es auch, von dem die älteste Einspielung des Beethovenschen „Violinkonzertes“ stammt, und zwar aus dem Jahr 1924 mit dem Staatsopernorchester Berlin unter Leo Blech.)

Ohne Pause ging es weiter mit Instrumentalem aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Hier möchte ich vor allem betonen, wie gut und wichtig es ist, dass wieder einmal die Münchner Philharmoniker ins Blitzlicht der Aufmerksamkeit rücken. Mit welch berückender Qualität golden leuchtender Streicher und charaktervoller Holzbläser dieser süddeutsche Spitzenklangkörper doch aufwarten kann. Das u.a. von Größen wie Sergiu Celibidache, James Levine, Christian Thielemann oder Lorin Maazel geleitete Orchester verfügt über eine in Jahrzehnten entwickelte, exquisite Klangkultur, die es besonders für die großen Werke der deutschen Romantik prädestiniert erscheinen lassen. Das zeigte sich an diesem Abend in schönster und ergreifendster Weise mit dem Vorspiel zum ersten Aufzug und Isoldens Liebestod. Lahav Shani bewies auch hier sein untrügliches Gespür für die unfassliche Wandlung der Harmonien, gleitende Übergänge, das stete Spannen von Bögen sowie das Rauschhafte der Musik selbst, sodass der Hörer nicht wusste, ob er einer legendären Geschichte lauscht oder selbst Teil dieser Geschichte wird.

Lang anhaltende Ovationen des dankbaren Publikums krönten in Würde dieses unvergessliche Konzert.

Ansonsten gilt: Die Tournee geht weiter. Das Pariser Konzert von Shani mit den Münchner Philharmonikern im Théâtre des Champs-Élysées wird wie geplant am 16. September stattfinden, ebenso die Konzerte am 17. in der Philharmonie Luxembourg sowie die beiden Auftritte im Wiener Musikverein am 20. und 21. September.

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/av7/video-berlin-dirigent-israel-lahav-shani.html

Hinweis: Das Konzert wurde von rbb Fernsehen aufgenommen und live, vom Deutschlandfunk und BR-Klassik zeitversetzt gesendet. Die ARD sendet das Konzert am 17.9. ab 0:15.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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