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BERLIN/ Konzerthaus: Festival YOUNG EURO CLASSIC im 25. Jahr: das Nationaal Jeugdorkest Niederlande spielt Werke von Roukens, Rachmaninov und Stravinsky

16.08.2024 | Konzert/Liederabende

Berlin / Konzerthaus: Festival YOUNG EURO CLASSIC im 25. Jahr: das Nationaal Jeugdorkest Niederlande spielt Werke von Roukens, Rachmaninov und Stravinsky; 15. August 2024

Musikalischer Triumph auf allen Linien

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Foto: Kai Bienert

„Hier spielt die Musik“, strahlt der von den Ovationen völlig überwältigte Dirigent Antony Hermus, Chefdirigent des Belgischen Nationalorchesters in Brüssel und erster Gastdirigent des Jugendorchesters, in den vollen Saal. Wenn die Sommerfestivals klassischer Musik schön langsam ihre Pforten schließen und die Herbstsaison in den Startlöchern scharrt, dann ist im Berliner Konzerthaus die Zeit für das Young Euro Classic Festival gekommen. In diesem Jahr feiert es seine 25. Ausgabe. Die Bilanz bis dato kann sich sehen lassen: 178 Orchester aus 59 Nationen haben seit 2000 teilgenommen, 26.544 junge Talente und Meister auf ihren Instrumenten haben Format gezeigt. In diesem Jahr gibt es noch eine Besonderheit: Im Festivalprogramm “re:play”: Von Brasilien nach Südafrika werden klassische Musiktraditionen außerhalb der europäischen Orchesterkultur erkundet. Seien es das brasilianische Jugendorchester Orquestra Sinfônica Jovem de Goiás mit einem rein südamerikanischen Programm, ein Orchester aus Kasachstan oder das MIAGI Orchestra aus Südafrika, Young Euro Classic erlaubt es, die Strömungen der Orchesterarbeit weltweit kennenzulernen.

Dieses Jahr habe ich mich für das Konzert des Nationaal Jeugdorkest Niederlande (NJO) entschieden und war verblüfft von der technischen Könnerschaft und der hohen Professionalität des niederländischen Klangkörpers. Da wurde ganze Arbeit geleistet. Gegründet wurde das NJO 1957 und erlaubt seither der niederländischen musikalischen Jugend im Alter zwischen 18 bis 26 Jahren ihr spielerisches Niveau und den geforderten Teamgeist im Orchestermiteinander zu erproben, etwa während des Musiksommers Gelderland, der NJO Winter Tour durch die besten Konzertsäle der Niederlande im Januar eines jeden Jahres oder wie in diesem August im Berliner Konzerthaus anlässlich von Young Euro Classic. Leider ist, wie der Website des Orchesters zu entnehmen ist, der Bestand dieses Ausbildungsprojektes gefährdet, weil der Fonds für kulturelle Teilhabe den Nationalen Jugendorchestern der Niederlande (NJON) ab Jänner 2025 die Förderungen streichen will und damit deren Existenz offenbar als nicht prioritär erachtet. Dass das Nationalen Jugendorchester weiterhin leidenschaftlich den Wert der Musik für junge Menschen zelebriert, zeigte das Konzert. Wir wollen ihm für seine Ambitionen und eine hoffentlich blühende Zukunft alles Gute wünschen.

Das gestrige Konzert war künstlerisch denkwürdig. Erstens einmal die Zusammenstellung des Programms. Nach einem etwas wackeligen Festivalhymnenstart war schon die deutsche Erstaufführung von „Night Flight“ des niederländischen Komponisten Joey Roukens ein akustischer Festschmaus. Bei diesem ursprünglich als Pflichtstück für die Finalrunde des ersten Internationalen Dirigierwettbewerbs in Rotterdam geschriebenen Stück gershwint und williamst es zwar, dafür geben die schnellen Rhythmen und ständigen Taktwechsel (mit Vorliebe 7/8-Takte) genügend Futter, um Blech, Holz und Perkussion atmosphärisch ordentlich tuschen zu lassen. Mit diesem gigantisch besetzten Orchesterkino sollen Bilder einer nächtlichen Achterbahnfahrt über einer geschäftigen Metropole evoziert werden. Das Stück, das der Komponist als dunkel und farbenreich mit grotesken und karnevalesken Zügen beschreibt, wurde später zum Scherzo seiner ersten Symphonie mit dem Beinamen „Kaleidoscopic“. Vor allem die rhythmische Schärfe, Präzision und unbändige Energie des NJO-Spiels begeisterten in dem in diesem Fall keineswegs als Aufwärmer fungierenden Konzertauftakt.

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Boris Giltburg. Foto: Kai Bienert

Wenn es eines Beweises bedürfte, dass die Zusammenarbeit des Orchesternachwuchses mit erfahrenen Dirigenten und Starsolisten Sinn macht, so könnte die Wiedergabe des Vierten Klavierkonzertes von Sergej Rachmaninov in g-Moll, Op. 40 mit dem Pianisten Boris Giltburg als schönster Treffer gelten. Das aus meiner Wahrnehmung modernste und vielleicht interessanteste, weil zerissenste aller Klavierkonzerte des in die USA emigrierten und dort nach einem beruflichen Anker suchenden Komponisten, war in einer exemplarisch poetischen Lesart zu hören.

1926 zeigte sich der spätromantische Stil durch neue musikalische Strömungen als ganz schön durcheinandergewirbelt. Der anfängliche Misserfolg zwang Rachmaninov zu mehreren Revisionen und Reinstrumentierungen, deren finale aus dem Jahr 1941 der Symphonie eine schlanke, fokussiert-muskulöse Struktur verlieh, wie dies Boris Giltburg in seinem Aufsatz zu der Schallplattenproduktion für Naxos mit dem Brüsseler Philharmonikern unter Vassily Sinaisky beschrieb. Und genau dieser Komponist auf der Suche, der den Pianisten scheinbar improvisieren ließ, gewann im fantastisch freien Spiel von Giltburg Gestalt. Die Läufe ließ Giltburg stupend perlen, aber agierte nicht mit Vorzeigebravour, sondern introvertierter, fragender. Obwohl die Balance zwischen dem Riesenorchester und Klavier nicht nur bei diesem Werk stets eine immense Herausforderung für alle Beteiligten darstellt, war dem Orchester unter der musikantisch animierten Leitung von Antony Hermus das Hinhören und gegenseitig Beseelende anzumerken. Ich bin überzeugt, dass Giltburg viele der jungen Musikerinnen und Musiker mit seinem so differenzierten, himmlisch leichtgängigen, auratischen Spiel inspiriert hat, über Fragen des Ausdrucks, der Interaktion zwischen Klavier und Instrumenten (Englischhorn) nachzudenken.

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Foto: Kai Bienert

Das Konzert war eines der besten, die ich je im Rahmen von Young Euro Classic gehört habe. Als Dank für den endlos tosenden Applaus beschenkte Boris Giltburg, den ich pianistisch auf eine Stufe mit seinem Landsmann Daniil Trifonov stelle, das Publikum noch mit zwei märchen- bis koboldhaften Préludes von Rachmaninov, demjenigen Nr 5 in G-Dur, Op 32 und ebenfalls Nr 5 in g-Moll Op 23.

Nach der Pause gab es den großen Showcase mit Igor Stravinskis Suite zur Ballettmusik „Petruschka“ aus dem Jahr 1947. Das Stück bietet ein großartiges Vehikel, um allen Instrumentengruppen mit vielen spannend kombinierten Soli Raum zu geben und die Stimmung im Publikum anzuheizen. Zu dem instrumentalen Feuerwerk der im Innersten traurigen Jahrmarktstory um einen Zauberer und drei Puppen (zwei Rivalen bemühen sich um die schöne Ballerina mit tödlichem Ausgang für den armen Petruschka) ersann Peter Leung eine witzige wie einfallsreiche „Orchesterchoreografie“, die mit bunten Tüchern, Bändern und Luftballons das Gewusel eines Volksfestes suggerierte. Auch die als Zugabe servierte maximal fetzige Kostprobe aus Dmitri Shostakovich‘ musikalischer Komödie „Moskau Tcherjomuschki“ war mit dem gleichen humoristischen Körperbewegungsulk garniert.

Am Ende gab es den wie so oft emotional so berührenden Ausklang der begeisterten niederländischen und sonstigen Fangemeinde (da waren wohl viele „Bros“, Freundinnen, Papas, Mamas, Onkeln und Tanten angereist). Die aufgeputschte Stimmung glich dem in einem Fußballstadion nach dem Sieg der heimischen Mannschaft. Was lernen wir daraus? Wenn es überhaupt möglich sein sollte, nachhaltig ein neues Publikum in die Konzertsäle zu locken, dann lasst die Jungen ran.

Fotos: Kai Bienert

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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