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BERLIN/ Konzerthaus: DALINDA – Berliner Operngruppe begeistert mit der Welturaufführung einer lange verschollenen Donizetti-Oper

15.05.2023 | Oper international

BERLIN / Konzerthaus „DALINDA“ – Berliner Operngruppe begeistert mit der Welturaufführung einer lange verschollenen Donizetti-Oper; 14.5.2023

Giftmorde unerwünscht: Donizettis vergeblicher Kampf mit dem neapolitanischen Zensor Francesco Ruffa

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Foto: Dovile Sermokas

Uraufgeführt hätte diese lange verschollene Donizetti-Oper nach einem Libretto von Felice Romani 1838 in Neapel werden sollen. Dazu kam es wegen launischer Behördenentscheide nie. Nach dem Aufbruch Donizettis nach Paris verlor sich der Faden der wahrscheinlich posthum filetierten und stückweise verkauften Noten in den Wirrnissen der Archive. Als der Großteil der einzelnen Teile in Neapel, Bergamo und Paris wieder entdeckt und zusammengefügt waren, machte sich Eleonora di Cintio daran, sie kritisch zu editieren. Cintio, renommierte Musikwissenschaftlerin und Beraterin u.a. von Opera Rara und dem Wexford Festival, war „Dalinda“ schon 2019 gemeinsam mit dem Donizetti Forscher Roger Parker anlässlich der Rekonstruktion der verschiedenen Versionen von „Lucrezia Borgia“ aufgefallen. Dank der Publikation der Casa Ricordi ist das zur Weltpremiere Berlin zugefallene Stück nun wieder allgemein zugänglich.

Wir sehen, die Werkgeschichte ist spannend und nährt sich aus den Abgründen der bourbonisch neapolitanischen Zensur. Nachdem die dafür zuständige Kommission sowohl die in Mailand so erfolgreiche „Lucrezia Borgia“ als auch „Poliuto“ für das Teatro San Carlo abgelehnt hatte, war Donizetti gezwungen, substanzielle Änderungen von „Pia de‘ Tolomei“ vorzuschlagen, um sie als Ersatz für „Poliuto“ Neapel-tauglich zu machen. Da rührten die Zensoren nochmals kräftig in Donizettis Opernküche um, als sie auf einmal nach einer schon bühnenerprobten Oper verlangten. Vier Jahren Frust mit den neapolitanischen Behörden und noch immer keine rundum akzeptierte Oper! Donizetti, den es bereits nach Paris gelüstete, unternahm einen weiteren Versuch, als er „Lucrezia Borgia“ nochmals, ein letztes Mal vom Textbuch über Struktur der Oper bis zu weiten Teilen der Musik des letzten Akts (Tenorarie, den Sternenglanz besingender Chor, Duett Dalinda-Ildemaro, hochdramatisches Finale) umarbeitete. Aus „Lucrezia Borgia“ wurde in langer Folge „La cena della vendetta“, „Elisa Fosco“, „Adelinda“ und schließlich „Dalinda“.

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Foto: Dovile Sermokas

Das inhaltlich immer wieder an einen anderen Ort, in „Dalinda“ in den heutigen Iran verlegte Liebes-Dreiecks-Drama, nun um religiöse und gesellschaftliche Intoleranzen und Gegensätze zwischen Muslimen und Christen gruppiert, wurde nicht zuletzt wegen der Parallelen zu „Lucrezia Borgia“ als unmoralisch eingestuft und wegen „Theaterterrors“ abgelehnt. Der gestrenge Zensor stieß sich letztlich daran, dass die fränkischen Ritter von Acmet zum Friedensfest eingeladen werden, nur um sie bei Tisch mit vergiftetem Wein zu töten… diese „schwärzeste Niedertracht“ aus dem Hause Romani/Donizetti konnte die Zensur nicht akzeptieren. Donizetti reiste unglücklich nach Paris ab. Aus der Traum von einer Oper im San Carlo.

Worum geht es? Dalinda, Tochter des Anführers der kämpferischen Ismailiten ist mit Acmet, dem persischen Fürsten von Alamut verheiratet. Sie aber hat aus einem vorehelichen Techtelmechtel einen unehelichen Sohn, den Christen Ildemaro. Dass Dalinda auch sonst wenig zimperlich ist, erfahren wir alsbald, ließ sie doch Angehörige der Ritter meuchlings umbringen.

Franken und Sarazenen versammeln sich zur dreitägigen Friedensparty, Dalinda erkennt ihren Sohn, der glaubt, Sohn eines Fischers in Tripolis zu sein. Als die fränkischen Ritter Dalinda den Schleier herunterreißen, um sie der Verwandten-Morde anzuprangern, sinnt Acmet auf Rache gegen die Ungläubigen. Alle sollen durch Gift sterben, auch und gerade Ildemaro, den er für den Lover seiner Frau hält. Nach wiederholtem Giftcocktailaussschank und Gegengiftnahme outet sich Dalinda endlich als Mama des Ritters. Zu spät: Ildemaro stirbt und Dalinda rast gegen die Bestie Acmet. Das Bekenntnis der Wahrheit wird ihr jedoch selber den Tod bringen.

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Foto: Dovile Sermokas

Die experimentierfreudige wie musikalisch fitte Berliner Operngruppe ergriff 185 Jahre nach der Entstehung die Gelegenheit, „Dalinda“ einem breiteren Publikum vorzustellen. Ein Kraftakt, der Respekt verdient. Die Weltpremiere wurde dank dreier großartiger Sängerpersönlichkeiten, einem hochmotivierten jungen Orchester (was für eine grandiose Hörnergruppe) und einem engagierten Dirigenten, der die Leidenschaften temporeich hochkochen ließ, ein großer Erfolg. Felix Krieger gründete die Berliner Operngruppe 2010, 2023 markiert das 10-jährige Jubiläum der Kooperation mit dem Berliner Konzerthaus. Besonders das Orchester, das sich aus freien Musikern und Musikstudierenden rekrutiert, war einer der Erfolgsgaranten des Abends durch das klangschöne wie temperamentvolle, ganz auf fetzige Italianità getrimmte Spiel.

Natürlich jst „Dalinda“ wie „Lucrezia Borgia“ ein dankbares Vehikel für charismatische Belkanto-Primadonnen. Nach der kurzfristigen Absage von Nicole Chevalier hat die seit 2015 in Italien lebende Lidia Fridman die dramatische Titel-Koloraturrolle übernommen. Beim Donizetti-Festival in Bergamo war die mit „Salome“ und „Lady Macbeth“ bereits im Spintofach angekommene Fridman 2019 die Sylvia de Linares in der Uraufführung von „L’ange de Nisida“ in der Regie von Francesco Micheli und der Leitung von Jean-Luc Tingaud. Berlin kennt sie seit Jänner dieses Jahres als Donna Elvira in Mozarts „Don Giovanni“ (Deutsche Oper). Die anspruchsvolle Titelrolle der Dalinda geriet dank einer überlegenen Gesangtechnik, einem endlich wieder einmal unverwechselbaren (metallisch fundierten) Timbre, beeindruckenden Spitzentönen wie glutvollen Verzierungen zu einem persönlichen Triumpf.

Ihr Sohn Ildemar war mit dem höhensicheren wie durchschlagskräftigen Tenor Luciano Ganci exzellent besetzt. Der gelernte Bauingenieur und ehemalige Chorist in der Päpstlich Sixtinischen Kapelle ist ein waschechter Spinto, dem lyrische Kantilenen ebenso liegen wie dramatische Strettas und heldische Spitzentöne. Als sein Gegenspieler Acmet bewies Paolo Bordogna mit seinem hohen und samtig schimmernden Bariton, dass er weit mehr kann als Tutto Buffo. Ilemaros bester Freund, Ugo d’Asti fand im sauber geführten, doch kleinkalibrigen Mezzo der Yajie Zhang eine kultivierte, wenngleich nicht mitreißende Interpretin.

Die übrigen Rollen waren mit David Ostrek (Corboga), Andrés Moreno García (Elmelik), Kangyoon Shine Lee Tenor (Garniero), Fermin Basterra (Guglielmo), Egor Sergeev (Ridolfo) sowie Kento Uchiyama (Ubaldo) rollendeckend besetzt. Der Chor der Berliner Operngruppe (Choreinstudierung Steffen Schubert) versah hinreichend professionell, wenngleich rhythmisch nicht immer punktgenau sein Amt.

Die szenische Einrichtung (Giulia Randazzo) hätte man sich besser erspart, zu banal und unnötig lärmend (umgefallene Flaschen) geriet die Chose. Dazu fielen Teile des Publikums durch Störgeräusche wie Fallenlassen von Handys bisweilen unangenehm auf.

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Foto: Dovile Sermokas

Fazit: Der heftig bejubelte Abend war wieder einmal der Beweis dafür, dass mitreißende Opernabende von großen charaktervollen Stimmen und einem passionierten, wie alle Beteiligten freudvoll animierenden künstlerischen Leiter getragen werden. Wir freuen uns schon jetzt auf eine hoffentlich baldige CD-Veröffentlichung.

P.S.: Zeit, sich zum Vergleich auch wieder einmal Donizettis „Lucrezia Borgia“ anzuhören. Ich empfehle die Aufnahme mit Caballé, Verrett, Alfredo Kraus. Himmlischer Belcanto aus den frühen 70-er Jahren.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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