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BERLIN/ Konzerthaus: BEETHOVENS NEUNTE mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), dirigiert von Karina Canellakis

31.12.2019 | Konzert/Liederabende


RSB/ Robert Niemeyer

Berlin/ Konzerthaus: Beethovens Neunte mit dem Rundfunk-
Sinfonieorchester Berlin (RSB), dirigiert von
Karina Canellakis, 30.12.2019

Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9 d-Moll“ op. 125 – für viele Musikfans ist dieses opus magnum ein Muss zum Jahreswechsel. Vielleicht liegt das auch an Friedrich Schillers Ode „An die Freude“, die den krönenden Abschluss bildet. Vermutlich verströmt sie – zusammen mit Beethovens himmelstürmender Musik – wider besseres Wissen die Hoffnung auf eine zukünftig bessere Welt.

Schiller selbst war mit der 1785 fertig gestellten Erstfassung der Ode übrigens nicht zufrieden und steckte das Gedicht sozusagen jahrelang in die Schublade. Erst 1808 hat er es leicht korrigiert. Beethoven wählte sich schließlich die passenden Verse für sein Werk aus. Dieser Text ist im Programmheft dankenswerterweise abgedruckt.

Die Neunte war bekanntlich seine letzte Sinfonie, uraufgeführt am 7. Mai 1824 in Wien im Theater am Kärntnertor im Rahmen eines Konzertes. Aufgrund der überbordenden Begeisterung des Publikums wurde dieses am 23. Mai wiederholt. Nun in der Hofburg!

Dieser Erfolg ist dem Werk dermaßen treu geblieben, dass es nun zu vielen feierlichen oder für wichtig erachteten Anlässen erklingt und gar zur Europa-Hymne geworden ist. Das Autograph, gehütet von der Staatsbibliothek zu Berlin zählt inzwischen zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.

Wie oft wird die Neunte wohl im Beethoven-Jahr 2020 anlässlich seines 250. Geburtstags zu hören sein? Das vor Augen/ Ohren muss ich die schon oft gehörte Sinfonie Ende 2019 eigentlich nicht haben. Mein Hauptgrund für den Gang ins Konzerthaus ist Karina Canellakis, die kürzlich gekürte Erste Gastdirigentin des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB).


Karina Kanellakis. Foto: Ursula Wiegand

Dass ihr der Chef Vladimir Jurowski sogleich Beethovens Neunte zu Silvester anvertraut hat, kommt einem Ritterschlag gleich. Und am Schluss des Konzertes ist wohl allen klar, dass die gebürtige New Yorkerin – seit Herbst 2019 Chefdirigentin beim Niederländischen Radiophilharmonischen Orchester in Amsterdam – dieses Vertrauen verdient hat. In den USA und in Europa ist sie ohnehin gefragt und entsprechend viel unterwegs. Nicht nur als Konzertdirigentin. „Ich dirigiere auch sehr gerne Oper“, sagt sie hinterher.

Gestartet ist sie jedoch als Geigerin und wurde im Zuge ihrer Ausbildung auch Mitglied der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker. Dort hat Simon Rattle ihre darüber hinaus gehenden Begabungen erkannt und sie zum Dirigieren ermutigt. Geschwind eilt nun die junge schlanke Frau, die blonden Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, aufs Podium.

Der 1. Satz – Allegro ma non troppo, un poco maestoso in d-Moll – hat’s schon in sich, und dass sie die Musik im Kopf und im Körper hat, ist sofort zu erkennen. Sie dirigiert voller Energie, setzt mit klarer Gestik zunächst mehr auf Allegro als auf „ma non troppo“.

Die mehrfachen Crescendi, die auch eine Steigerung der Lautstärke zur Folge haben, geben diesem Satz einen harten Charakter und machen ihn keineswegs zum Ohrenschmaus, zumal Beethoven auch noch Hektik in diesen Satz gelegt hat. Der hineinkomponierte, gelegentliche Wechsel zu Dur-Tonarten wird zur Erholung, ebenso das einem Trauermarsch ähnliche „maestoso“.

Der 2. Satz auch in d-Moll, bestehend aus Scherzo und Trio, trägt die Bezeichnung „Molto vivace – Presto“ und wird dementsprechend zu einem rasanten Ritt mit Pauken und Trompeten. Der hat bei der Uraufführung solch eine Begeisterung ausgelöst, dass er sogar wiederholt wurde.

Das muss die sportliche Karina Canellakis, die mitunter auf dem Podium herumspringt, nicht tun. Jedenfalls hat sie alles im Griff und macht keineswegs eine Show, auch wenn ihre Arme, quasi alle heranholend, auch mal im Kreis fliegen. Dass dennoch die Instrumentengruppen mitunter verschwimmen und manches nicht mehr klar durchhörbar ist, liegt an der als schwierig bekannten Akustik im 1984 wieder erbauten Konzerthaus und ist weder Karina Canellakis noch dem RSB anzulasten.

Dass der schöne Große Saal laut Wikipedia „akustisch zu den besten symphonischen Konzertsälen der Welt“ gehört und die wichtige „Nachhallzeit …mit 2,0 Sekunden bei mittleren Frequenzen mit Publikum“ liegt, ist nicht glaubhaft. Nicht ohne Grund wurde in den letzten Jahren immer wieder versucht, die Akustik generell zu verbessern, was nicht überzeugend und nicht auf allen Plätzen funktioniert hat.

Gut funktioniert jedoch der Übergang zum 3. Satz, dem sehnlich erwarteten Adagio molto e cantabile in B-Dur, das später ins Andante moderato übergeht. Hier kommen die Bläser, beginnend mit einem Fagott, nacheinander ins Spiel, bis sich die Streicher dazugesellen. In feinen Steigerungen bringt das RSB diese Passagen, doch vollkommene Ruhe erlaubt der total taube Beethoven den Lauschenden selbst hier nicht. Fanfarenstöße unterbrechen die melodiöse Idylle und bereiten auf den langen, temporeichen 4. Satz vor, der mit dem ursprünglichen d-Moll beginnt.

Nun also Power pur, und Beethoven zeigt erneut seine Krallen in oft harschen Tempi. Nach dem bereits vom Orchester präsentierten Aufleuchten der Ode „An die Freude“ kommt zumindest für die Sängerinnen und Sänger die Stunde der Wahrheit. Denn was das Quartett – und sei es noch so hochkarätig besetzt – zu singen hat, wird zu keiner Einheit. Stets fallen mir dazu die Worte von Nikolaus Harnoncourt ein, der nach seinem allerletzten Konzert in Berlin sagte: „Beethoven hat in seine Werke das Scheitern mit hineinkomponiert.“

Schon die beiden jungen Sängerinnen – Henriette Sontag und Caroline Unger – die bei der Uraufführung die Sopran- bzw. Altpartie sangen – baten Beethoven vorab, die Höhen zu reduzieren, damit sie nicht gegen die Männer anschreien müssten. Wegen der Kunst, wie er betonte, hat er das abgelehnt, sie müssten halt üben. Vermutlich haben sie das getan und bei der Uraufführung ihre Stimmen nicht wie befürchtet ruiniert.

Und jetzt? Der Bass – Liang Li, recht knarzig – beginnt, die anderen folgen. Der Sopran von Iwona Sobotka und der Alt von Virginie Verrez schwingen sich empor und übertönen die Herren. Nobel singt der bekannte Tenor Stefan Vinke seinen Part. Doch wie befürchtet, gemeinsam wird aus dieser Fuge kein überzeugendes Ganzes.

Erst der fabelhafte, erhöht stehende Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Benjamin Goodson, bringt den erhofften Glanz in den Großen Saal. Diese gut trainierten Damen schaffen es auch, lange auf dem hohen G auszuhalten, eine Zumutung Beethovens. Vielleicht ist es seiner Taubheit (oder seiner Selbsteinschätzung) geschuldet, dass er außerdem Prestissimo verordnet und das ganze Schlaginstrumente-Arsenal aufbieten lässt. Das Fazit: „Seid umschlungen, Millionen; diesen Kuss der ganzen Welt! Bruder! Über’m Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“.

Kräftiger und lang anhaltender Beifall gilt nun allen Beteiligten, die Beethovens Neunte gemeistert haben. Karina Canellakis bedankt sich mit Handzeichen bei den Instrumentalisten/innen und strahlt. Sicherlich auch noch bei der heutigen Wiederholung. Eine großartige Leistung.

Dirigiert also eine Frau zaghafter oder zögerlicher als ein Mann? Karina Canellakis keineswegs, hat sie sich doch dieses anspruchsvolle Werk überzeugend zu Eigen gemacht. Am 5. April ist sie erneut im Konzerthaus als Dirigentin zu erleben, zusammen mit Nicola Benedetti, Violine, und dem RSB. Zu hören sind dann Pionierarbeiten von Strawinsky, Szymanowski, Webern und Skrjabin.

Ursula Wiegand
 

 

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