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BERLIN/ Konzerthaus: Academy of St Martin in the Fields und Joshua Bell

24.01.2023 | Konzert/Liederabende

Berlin / Konzerthaus, Academy of St Martin in the Fields und Joshua Bell, 23.01.2023

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Joshua Bell im Berliner Konzerthaus. Copyright: Markus Werner

„Suche Karte!“ Das gibt es jetzt wieder in Berlin und auch auf dem Gendarmenmarkt vor dem Konzerthaus. Denn es geht um besondere Gäste: die Academy of St Martin in the Fields mit Joshua Bell, dem Ausnahmegeiger und Chefdirigenten in einer Person.

Neville Marriner, der dieses weltweit bekannte Kammerorchester gründete und fast unglaubliche 57 Jahre leitete, hat 2011 den Stab an einen ebenso weltweit geschätzten, jüngeren Künstler weitergegeben, den gerade genannten Super-Violinisten Joshua Bell. Seither weht in der Academy of St Martin in the Fields ein anderer, mehr ins Moderne gerichteter Wind.

Oft wird Bell als Nachfolger von Niccolò Paganini und wie der als Teufelsgeiger bezeichnet. Doch anders als sein Vorgänger vermeidet er Eitelkeiten und Selbstdarstellung.

Jedenfalls ist der große Saal total ausverkauft, und vermutlich kennen nicht nur die Experten den Test, den ein Journalist der Zeitung Washington Post 2007 in einer U-Bahn-Station in Washington machte.

Der wollte wissen, ob das Publikum den in Konzertsälen gefeierten Stargeiger auch in Straßenkleidung und mit einer Baseballkappe auf dem Kopf erkennen würde. Eine dreiviertel Stunde spielte Joshua dort Klassisches auf seiner Stradivari, und eine versteckte Kamera filmte das Geschehen. Doch von tausend Leuten blieben nur 7 stehen, um ihm zu lauschen, und nur einer hat ihn erkannt. Ob er über dieses Ergebnis erstaunt war oder geschmunzelt hat?

Auch jetzt im Konzerthaus eilt er flotten Schrittes auf die Bühne, verbeugt sich lächelnd und widmet sich sogleich Johann Sebastian Bach und dessen “Chaconne aus der Partita für Violine solo d-Moll“ BWV 1004, für die einst Robert Schumann noch eine Klavierbegleitung ersonnen hatte. Joshua Bell hat sie von Robert Stephenson nun auch für Orchester bearbeiten lassen.

Bachs Chaconne kommt jetzt also volumig daher, was offenbar dem Publikum sehr gefällt. Bells edle Stradivari kann sich aber nur in den Solo-Partien voll entfalten und wird ansonsten vom Orchester nicht selten übertönt. So jedenfalls der Hör-Eindruck im ersten Rang.

Niccolò Paganinis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1D-Dur“ op. 6 hat Robert Schumann einst ebenfalls entzückt und ihm Mut gemacht, sein Jura-Studium aufzugeben und sich ganz der Musik zu widmen. Wer also Paganini nur als Teufelsgeiger kennt und einschätzt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das ist aber auch sehr dem Dirigat von Joshua Bell zu verdanken.

Mit der Linken hält er die Stradivari dicht am Kinn, mit der Rechten dirigiert er lebhaft, wippt auch öfter vom Stuhl hoch, um das Orchester an wichtigen Stellen noch mehr zu animieren. Energisch wird das Allegro im ersten Satz musiziert, und die von Joshua Bell eingefügte Kadenz ist dann die reinste Wonne, so dass einige im Publikum sogleich applaudieren.

Das Adagio Espressivo wird ebenfalls seinem Namen gerecht und genau so das Allegro Molto Vivace im letzten Satz. Joshua Bell steuert höchst gekonnt Triller und Doppelgriffe bei. Per saldo ein unerwartetes und mit starkem Beifall bedachtes Ereignis.

Nach der Pause ist tatsächlich Robert Schumann selbst mit seiner Sinfonie Nr. 2 C-Dur“ op. 61 an der Reihe, und der verleiht nun Joshua Bell als Konzertmeister kräftigen Schwung. Zunächst werden die Melodien schön ausgebreitet, dann packen Bell und das Orchester zu.

Allerdings übertrumpft auch hier, wen wundert’s, das Orchester Josua Bells ebenso elegantes wie kraftvolles Geigenspiel. Vor allem wenn Schumann Pauken und Trompeten einsetzt, haben die Violinen kaum eine Chance, sich bis hinauf in die Ränge das verdiente Gehör zu verschaffen.

Als positiver Gesamteindruck bleibt vor allem eine Reanimation von Robert Schumann, der nach wie vor vielerorts im Abseits steht, an diesem Abend jedoch frisch und schöpferisch wirkt. Auch dafür hat der heutige, aber uneitle „Teufelsgeiger“ Joshua Bell gesorgt. Danach anhaltender Jubel.

Ursula Wiegand

 

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