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BERLIN / Komischer Oper: DER ROSENKAVALIER, Wiederaufnahme

Traum-Damentrio beschert einen letzten großen Saisonhöhepunkt

09.06.2019 | Oper


Foto: Monika Rittershaus

BERLIN / Komischer Oper: DER ROSENKAVALIER, Wiederaufnahme, 8.6.2019

Traum-Damentrio beschert einen letzten großen Saisonhöhepunkt


Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Eine in Berlin zu selten gespielte Oper, Strauss‘ Rosenkavalier,  kehrt für nur vier Aufführungen an die Komische Oper zurück. Und kann als einer der sängerisch und szenisch größten Berliner Operntrümpfe der ganzen Saison angesehen werden.

Die Inszenierung von Andreas Homoki stammt aus dem Jahr 2006, zuletzt wurde die Produktion 2013 gespielt. Eine intelligente und überzeigende “klassische” Arbeit mit Puderperücke und Kostümen aus der Zeit des Rokoko. Das Einheitsbühnenbild, ein kahler herabgekommener barocker Raum im ersten Akt, bekommt eine Schieflage im zweiten Akt im Moment, wo die Hochzeit platzt und Faninal Sophie droht, den Ochs auch “als Toten” heiraten zu müssen. Es kündigt sich das Ende der bisherigen Gesellschaftsordnung an. Die Aristokratie wird nach dem Ende des ersten Weltkriegs ihren Platz in der Welt räumen müssen. Im dritten Akt, wo dar Raum ganz und gar auf dem Kopf steht und das Mobiliar des Faninal geplündert wird, gewittert es ganz gehörig oder sind da schon die Kanonen von Verdun zu hören? Der große Walzer in dritten Akt, mit dem Ochs von der Bühne gefegt wird, erinnert aus Sicht Homokis in seiner schrägen Demontage an Gustav Mahler. Das alles geht szenisch unter die Haut, ein besonders Lob gebührt der Abendspielleitung für die souveräne detailreiche Umsetzung der Personenregie.


Besonders drei Stellen der Inszenierung sind von unglaublicher Dichte: Im Augenblick des Auftritts des italienischen Sängers (ganz erstklassig Timothy Richards, der Heerscharen von berühmteren Kollegen vergessen macht) ist auf einmal die Marschallin allein auf der Bühne, der Sänger singt aus dem Dunkel der Türe wie aus einem anderen Universum. Wer sich den Text dieser Arie einmal in deutscher Sprache ansieht, wird erkennen, wie sehr hier die Seele, Sehnsüchte und Ängste der Marschallin gespiegelt werden. Oder im Moment der Begegnung zwischen Sophie und Octavian friert die gesamte Gesellschaft plötzlich ein. Frei nach Hofmannsthals richtiger Analyse: “Mich dünkt, es ist nicht die Umarmung, sondern die Begegnung die eigentliche entscheidende erotische Pantomime. Es ist in keinem Augenblick das Sinnliche so seelenhaft, das Seelenhafte so sinnlich als in der Begegnung. Hier ist alles möglich, alles in Bewegung, alles aufgelöst.” Noch ein Beispiel: Am Ende der Oper singt das neue junge Paar die zweite Strophe ihres hymnischen Zweiergesangs aus dem Off. Zurück bleibt die Marschallin allein, auf dem Boden zerstört heulend. Großartig, wie hier noch einmal die Aufmerksamkeit der eigentlichen Hauptfigur samt ihrem Älterwerden und unfreiwilligen Verzicht gelenkt wird.


Die Premiere dirigierte übrigens ein gewisser Kirill Petrenko, jetzt ist der junge Lette Ainārs Rubiķis dran. Er macht seine Sache grosso modo gut. Jetzt kann natürlich eingewendet werden, dass das Orchester bisweilen zu hart (Potsdam statt Schönbrunn) und in verknappten Phrasen, die nicht “besoffen” ausschwingen dürfen, spielt oder er das Kuddelmuddel der Massenszenen nicht ganz souverän zu gestalten vermag. Dafür überraschen die Streicher mit wunderbar lyrischem Ausdruck und einem zart gewebten Klangteppich gerade in den Passagen, wo es darauf ankommt, d.h. dem Zeit-Monolog der Marschallin, der Rosenüberreichung und im Terzett samt Duett im dritten Akt.


Sängerisch wird der Abend zum umjubelten Triumph des Ensembles der Komischen Oper: Karoline Gumos ist ein Octavian, wie er im Bilderbuch steht. Von der Figur her jung, fesch burschikos, in aller pubertären Unsicherheit noch ein wenig unsicher und ungelenk, also sympathisch grün hinter den Ohren. Seine siebzehn Jahr’ im Stück nimmt man der Gumos wirklich ab. Da ist dieser Quinquin eher ein Ebenbild des schwärmerischen Cherubino d’amore auf der Bühne als ein Haudrauf-Revoluzzer. Ihr ebenfalls ganz junger höhenlastiger, schön timbrierter ebenmäßig fließender Mezzo hat viel Samt und fantastisch gedeckte Höhen. Was für eine Entdeckung! Die große Liebe des Octavian im ersten Akt gilt der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg. Sie wird vom ehemaligen Ensemblemitglied Johanni van Oostrum gesungen. Die südafrikanische Sängerin, die letztes Jahr in Graz für ihr Rollendebüt als Salome gefeiert wurde, beeindruckt mit einem echt jugendlich dramatischen Sopran voller Saft und Kraft. Mit Jubelton, aber auch melancholischeren Farben zeichnet van Oostrum das musikalische Porträt einer in Liebesdingen gedemütigten Frau. Glaubhaft bekommt sowohl ihre zärtliche Verspieltheit im ersten Akt (wie bewegend gerät doch das Gerangel um das Kipferl beim Frühstück mit Octavian) als auch die ordnende Autorität im dritten Akt gestaltende Stimme. Gerade weil sie noch eine sehr junge Frau ist, kann sie als Figur in ihrem elementaren Liebesschmerz ungemein überzeugen.


Vera-Lotte Böcker
darf als erstklassige Sophie ihren glockenhellen, technisch souveränen lyrischen Sopran bis in die stratosphärischen Höhen hinauf leuchten und blühen lassen. Vergleiche mit wem auch immer braucht sie nicht zu scheuen. Als Gestalt wirkt sie angenehm eigenständiger und selbstbewusster als in anderen Inszenierungen. Wahrscheinlich ist die die Marschallin von morgen, ihre Erfahrungen in Liebesdingen muss sie noch machen.


Jens Larsen (Ochs). Foto: Monika Rittershaus

Jens Larsen, der schon bei der Premiere mit von der Partie war, ist ein routinierter, mit allen Wassern gewaschener Baron Ochs von Lerchenau. Grob, hart und sich in seiner standesdünkelhaften Anmaßung und Herablassung Recht glaubend, singt er mit seinem nach wie vor mächtigen Bass durchaus – rau – beeindruckend. Auch er als Pendant zur Marschallin will bis zum Schluss nicht glauben, das er weder als Verführer noch als Aristokrat noch eine Nummer zieht.


Scharf gezeichnete Charakterstudien in stimmlicher Höchstform liefern Mirka Wagner als Leitmetzerin, Tom Erik Lee als Herr von Faninal sowie Adrian Strooper als Wirt (wenn er das geniale Meidlinger L des legendären Karl Terkal bei der Ansage des Baron von Lerchenau hinbekäme, dann wäre er perfekt). Weniger präsent als gewohnt sind Christoph Späth als Valzacchi und Michaela Selinger als Annina. Christian Tschelebiew macht als Polizeikommissar ein gute Figur. Intensiv gearbeitet wurde sichtlich auch mit den Chorsolisten, dem Kinderchor und der Komparserie.


Trotz Pfingstferien war das Haus voll, einige Touristen haben in den beiden Pausen der viereinviertel Stunden langen (für mich und andere kurzen) Aufführung das Feld geräumt. Der Jubel am Ende war groß, herzlich und auf die drei Protagonisten und das Orchester konzentriert. Ein große Opernabend. Zu sehen noch am 10., 18. und 23. Juni.


Dr. Ingobert Waltenberger

 

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