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BERLIN/ Komische Oper: ZOROASTRE von Jean Philippe Rameau. Premiere

19.06.2017 | Oper

Berlin/ Komische Oper: „ZOROASTRE“ von Jean-Philippe Rameau, Premiere, 18.06.2017

Thomas Walker als Zoroastre, Foto Moniks Rittershaus
Thomas Walker als „Zoroastre“. Copyright: Monika Rittershaus

Man nehme ein kleines Stück Rasen mit Blümchen darauf und Ameisen darin, und schon geht der Streit zwischen zwei Nachbarn los. Der eine in Lotterjeans und Karohemd (Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier) bewohnt einen schäbigen Bungalow, setzt einen Zaun und sich selbst dort in einen Liegestuhl.

Sein wohlhabender Nachbar eilt im korrekten Anzug aus der Bibliothek seines Domizils, entfernt diesen Zaun und pflanzt ein Blümchen, das der andere sofort ausreißt. Der Anzugträger heißt Zoroastre (= Zarathustra) und wohnt im Lichtland Baktrien (ist also eher nicht der historische altiranische Religionsstifter).  Thomas Walker singt ihn mit kräftigem Tenor.

Thomas Dolié (Bariton) lässt als der Bösewicht Abramane Hass und Rachsucht hören. Der will dezidiert Unheil anrichten. Wo sind wir eigentlich? Beim Spätbarock-Komponisten Jean-Philippe Rameau und seiner letzten, zunächst sehr erfolgreichen Oper „Zoroastre“ von 1756, die jedoch bald in Vergessenheit geriet.  

Dankenswerterweise holt die Komische Oper Berlin dieses Werk nun aus der Versenkung.  Schon die schöne, oft spritzige Musik verdient das. Der Barockspezialist Christian Curnyn lässt sie mit dem Orchester des Hauses mit Verve aufleuchten. Nach eigenen Worten stört es ihn nicht, eine sehr moderne Aufführung zu begleiten. Im Jahr 2014 hatte er bereits die von Barrie Kosky inszenierte Oper „Castor & Pullux“ unter seine Fittiche genommen.

Nun also der Sprung ins Heute, gewagt vom 37jährigen Regisseur Tobias Kratzer, der bereits einen Namen fürs Besondere hat. Der macht der relativ langwierigen Handlung mit viel Witz und Fantasie Beine.

Thomas Dolié und Nadja Mchantaf, Foto Monika Rittershaus
Thomas Dolié als „Abramane“ und Nadja Mchantaf als „Érinice“. Copyright: Monika Rittershaus

À propos Beine – die können die beteiligten Sängerinnen echt sehen lassen, und großartig spielen können sie außerdem. Ein Markenzeichen der Komischen Oper. Auf High Heels flitzt Nadja Mchantaf als Érinice zornig auf die Bühne, wühlt im Postkasten, kriecht sogar in die  Abfalltonne, findet dort lauter rote zerknüllte Liebesbriefe und bricht in Tränen aus. Vermutlich hat sie die an Zoroastre geschrieben, doch der will von ihr nichts wissen. Der liebt nur ihre Rivalin, die sanfte Amélite (Katherine Watson), übrigens die Anwärterin auf den Thron von Baktrien.  

Zwei Frauen, zwei Sopranistinnen und ein angehimmelter Mann, das kann nicht gut gehen. Außerdem liebt Abramane heimlich ebenfalls Amélite, doch den aggressiven armen Schlucker beachtet sie nicht. Eher fürchtet sie ihn. Denn Hass und Rachelust hegen die beiden Chancenlosen und verbünden sich mit dem Ziel, ihren Rivalen zu schaden oder sie gar umzubringen.  

Ab und zu bemerken Érinice und Abramane, dass sie sich schon zu sehr in ihre Wut verstrickt haben, wollen raus aus diesem Teufelskreis, doch sie schaffen es nicht. Und so spitzt sich die Situation immer mehr zu. Eigentlich ist es ein ernster Stoff, selbst wenn er für das Liebespaar ein Happy End bringt.  

Kratzer macht nun – aber mit Hintersinn  – was Lustiges daraus, um das Publikum in den folgenden drei Stunden (inkl. Pause) zu unterhalten. Kunterbunt, mit Slapstick und vielen Gags rollt das Stück über die Bühne.

Ein Video von Manuel Braun auf der gesamten Rückwand – fortlaufend live aufgenommen! – zeigt vergrößert die wuselnden schwarzen Ameisen auf dem Rasenstück. Es sind die Choristen der Komischen Oper in Ganzkörper-Outfits inklusive Helm.   

Relativ unbeteiligt wirkt zunächst Zoroastre. Der seufzt zwar nach seiner Geliebten, wird aber erst aus der Lethargie gerissen, als er durch die Freundin Céphie (Katarzyna Wlodarczyk) von ihrer Entführung erfährt. Aber wie sie befreien? Klar, dieser wenig tatkräftige Intellektuelle braucht – wie bei Rameau und seinem Librettisten Louis de Cahusac – einen Coach.

Es kommt ein Guru mit Zottelhaar, der junge Amerikaner Johnathan McCullough (Bariton), und das wird eine der lustigsten Szenen. Also Arme schwenken, viele Liegestützen absolvieren. McCullough kann das perfekt und dazu noch auffallend gut singen.

Zoroastre, kräftiger und mutiger geworden, befreit Amélite, und gleich wird mit viel Wein übermütig Verlobung gefeiert. Zu übermütig, werfen doch die Betrunkenen ihre Essensreste ins offene Fenster von Abramanes Haus. Nein, das ist nicht die feine Art, der fühlt sich zu Recht gedemütigt, da hebt der Regisseur schon mal mahnend den Zeigefinger.

Im zweiten Teil eskaliert die Situation. Tom Erik Lie (als Rache), gekleidet wie ein zerlumpter Pfandflaschensammler, ruft ausdrucksstark zur gnadenlosen Vergeltung auf. Denis Milo (Zopire) und Daniil Chesnokov (Narbanor), die „Lobbyisten“, heizen die Stimmung ebenfalls an.  Jetzt gibt es kein Halten mehr. Es kracht, ballert und qualmt. Feuerschein und Bühnenbeben, alles drin, alles dran. Ganz von Sinnen vor Rachsucht jubelt Érinice, hoch auf einem Haus stehend, über die vermeintliche Vernichtung des lichten Baktrien. Die munteren Ameisen sind bereits tot.

Zoroastre aber greift nach dem Gewehr, erschießt Abramane und erschrickt über seine Tat. Er fühlt nach Abramanes Herz und hat die Hände voller Blut. Als er Amélite liebkost, verteilt es sich auf ihrem Haar. Während sie nun ganz freudig und unbeschwert von Liebe und Hochzeit singt, macht Kratzer deutlich, „Du sollst nicht töten, auch nicht Deine Feinde.“ Nach all’ dem Klamauk ein starker, nachdenklicher Schluss. Zuletzt zeigt das Video zwei Babys, die die beiden Häuser im Spielzeugformat in Händen halten und sie zerlegen. So wird’s weitergehen, lautet trotz der Lacher die ungemütliche Botschaft.

Die aber geht im kräftigen und anhaltenden Schlussbeifall unter. Gewürdigt wird der Einsatz, den alle gezeigt haben, auch der der Chöre, einstudiert von David Cavelius. Mit dem Französisch hat’s bei den Solistinnen und Solisten aus vieler Herren Länder allerdings gehapert, mit den Koloraturen ebenfalls. Die Feinheiten des Barockgesangs sind im kräftigen Einsatz der eigenen Stimme oft untergegangen.

Dennoch waren alle mit solcher Begeisterung bei der Sache, dass auch die Kritikerin ihnen das zu Gute hält. Den stärksten Applaus erhielten zu Recht Nadja Mchantaf  und Thomas Dolié. Auch das Regieteam wurde gefeiert. 

 Ursula Wiegand

Weitere Vorstellungen am 24. und 28. Juni sowie am 6., 8. und 14. Juli

 

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