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BERLIN/ Komische Oper: SEMELE von G.F.Händel. Premiere

Oratorium von Georg Friedrich Händel oder „nie sollst du mich befragen..“

14.05.2018 | Oper


Nicole Chevalier als Semele mit dem Chor, Foto Monika Rittershaus

Berlin/ Komische Oper: „SEMELE“, Oratorium von Georg Friedrich Händel oder „nie sollst du mich befragen..“, Premiere, 12.05.2018

Junghänel und Händel – da kann eigentlich nichts schiefgehen. Temperamentvoll startet der Barockspezialist – die halblangen weißen Haare fliegen – mit dem Orchester der Komischen Oper, und das spielt, als stünde Alte Musik ständig auf dem Programm.

Händel beginnt das auf Englisch gesungene Oratorium „Semele“ – seinen Abschied von der Opera seria – in der Schicksalstonart c-Moll. Das gibt zu denken und ist Regisseur Barrie Kosky sofort aufgefallen. Daher inszeniert er „Semele“ nicht, wie es in seiner australischen Heimat üblich ist, als Komödie, sondern als einfühlsames Liebes- und Familiendrama mit einigen Jux- und Sexeinlagen. Vieles hat er sich einfallen lassen, und so werden die rd. 3 ½ Stunden, die mehr Oper als Oratorium sind, keine Sekunde langweilig.

Um was es inhaltlich geht, steht sogleich in großen Lettern auf dem Vorhang. Als der sich öffnet, fällt der Blick in einen von einem Brand geschwärzten Saal mit angesengten Möbeln, einem lädiertem Spiegel und einem noch rauchenden schwarzen Steinhaufen, an Stelle des eigentlichen Aschehaufens. (Bühnenbild: Natacha Le Guen den Kerneizon). Dem entsteigt Semele und rennt verzweifelt gegen geschlossene Türen. 

Was ist hier passiert? Vieles ist passiert und Entscheidendes vor gut zwei Monaten. Das hat Kosky dem Publikum schon vor Beginn der Aufführung geschildert. Eigentlich sollte Laura Scozzi das Stück inszenieren, doch eine Woche nach Beginn der Proben erkrankte sie und musste in ihre Heimat zurückkehren. Ad hoc einen adäquaten Ersatz zu finden, war unmöglich. Also sprang er – trotz zwischenzeitlicher Japan-Reise mit der „Zauberflöte“ – selbst ein. Für Kosky gehört so was zum Job. 

In 2015 hatte er bereits das Händel-Oratorium „Saul“ für das Glyndebourne Festival inszeniert und war dafür von Presse und Publikum gefeiert worden. Aber „Semele“ kannte er „nicht wirklich“, räumt er ein. Also „schnappte ich mir den Klavierauszug, hörte zwei Aufnahmen durch und schaute mir eine Inszenierung auf YouTube an.“ Am nächsten Tag traf er die Bühnen- und Kostümbildnerinnen und „um 18 Uhr ging es auf die erste Probe“, so schildert es Kosky ausführlicher in einem im Programmheft abgedruckten Interview.

„Alles hat geklappt, alles war in Butter“, sagt er nun, präsentiert dem Publikum aber sogleich die nächste Hiobsbotschaft: ein Virus hätte Nicole Chevalier, die Sängerin der Titelpartie, erwischt. Am Morgen des Premierentags wäre die Stimme weg gewesen. Doch im Laufe des Tages, nach viel Tee und Medizin, sei die Stimme wiedergekommen. Sie würde nun doch singen und bitte um Nachsicht, sagt Kosky.

Um den Abend nicht zu gefährden, hatte er jedoch nach einer Einspringerin herumtelefoniert und mit Heidi Stober, die zur Zeit viel an der Deutschen Oper Berlin singt, eine versierte Ersatzsängerin für diese Rolle gefunden. Nötig wird es erstaunlicherweise nicht. Die ganze Zeit sitzt sie beim Orchester und darf zuhören.  

Was Erfahrung und gute Technik leisten können, beweist nun Nicole Chevalier. Sie singt etwas leiser als sonst, setzt die hohen Töne vorsichtig an, doch keiner entgleitet ihr. Dieses zarte Singen mit nur wenigen kräftigen Spitzentönen ist auf besondere Weise berührend.  

Ansonsten tollt sie wie eine total Gesunde über die Bühne, und Ihr Vater Cadmus, König von Theben – von Philipp Meierhöfer gut gesungen und gespielt hat Mühe, ihr das Hochzeitskleid überzuwerfen, um sie mit dem Prinzen Athamas zu verheiraten. Doch dieser Mann interessiert Semele überhaupt nicht. Sie ist in den Gott Jupiter verliebt.  

Intensiv bettelt der Countertenor Eric Jurenas als Athamas um Semeles Zuneigung und  übertreibt dabei absichtlich. Geschmeidig bringt er seine Koloraturen, doch beim Volumen bleiben Wünsche offen. Seine Stimme klingt mitunter leiser als die der angeschlagenen Nicole Chevalier, und das – wie sich nach der Pause  herausstellt – nicht nur aus Rücksichtnahme.

Doch wo die Liebe hinfällt… Ino, Semeles Schwester, liebt heimlich Athamas und jammert zunächst ausgiebig über ihr Schicksal. Die schlanke, hochgewachsene Katarina Bradić macht das mit sattem, wohlklingendem Mezzo. Dann ein schreckliches Donnergrollen, das das Publikum zusammenzucken lässt und Jupiter ankündigt.  

Angeblich in Adlergestalt entführt er, so wird von Augenzeugen berichtet, die liebreizende Semele genau an ihrem Hochzeitstag. Hier verschwindet sie allerdings im Kamin, und vergeblich zerrt Athamas am ihrem langen weißen Schleier, um sie zurückzuholen. Ein gelungener Gag.

Die Hochzeitsgesellschaft – der stimmgewaltige  Chor, einstudiert von David Cavelius – äußert sein Entsetzen und ergreift an entscheidenden Stellen immer wieder das Wort. Die Chorszenen lagen Händel, der dieses Oratorium in nur vier Wochen komponiert haben soll,  besonders am Herzen.

Wie nun Ino Mitleid vortäuschend den verzweifelten Bräutigam für sich zu gewinnen versucht, ist Raffinesse pur. Auch singt sie später unverkleidet die angeblich kostümierte Jupiter-Gattin Juno. Überall hängt Ino Spiegel auf, in der sich die eitle Semele von allen Seiten bewundern kann. Ino ist es auch, die Semele im Namen Junos dazu verführt, von Jupiter noch mehr als körperliche Liebe zu fordern.

Die wütende Juno, die ihren „Göttergatten“ wiederhaben will, singt Ezgi Kutlu mit vor Zorn blitzenden Augen und kraftvoll akzentuierendem Mezzo. Beim Publikum kommt sie damit sofort an.

Das amüsiert sich auch zu Recht über Junos frech herumturnende Vertraute, die quicklebendige Nora Friedrichs, die auch lesbische Gefühle für Juno hegt. Wie die beiden nun den Schlafgott Somnus erfolgreich munter machen, wird dank Evan Hughes, ausgeborgt von dem Semper Oper, zu einer echt heißen Szene. Um diesen superfitten Beau mit seinem knackigen Bass-Bariton sind die Dresdner zu beneiden.


 Allan Clayton als Jupiter, Nicole Chevalier als Semele, Foto Monika Rittershaus

Und der Jupiter? Der hat eine schöne Stimme. Der Brite Allan Clayton singt die Partie mit warmem, klangreichem Tenor, manchmal etwas zu leise. Die Oratorientradition seiner Heimat auch bei der Textverständlichkeit ist ihm anzumerken.  Kein Wunder, dass sich Semele in einen Gott mit solch einer Stimme verliebt hat, kann ihn bald um den Finger wickeln bzw. ihm frech die Schuhe ausziehen, so dass er fortan in lächerlich pinkfarbenen Socken umherläuft. Doch nach dem fast kindlichen Glück, will sie – durch Juno bzw. ihre Schwester aufgestachelt – von Jupiter noch mehr. Um das zu erreichen, gibt sie sich plötzlich sehr abweisend und trotzt ihm so das Versprechen ab, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.   

Nicole Chevalier, die ihrer Stimme nach der Pause bereits mehr zugetraut hatte, dreht nun in Liebesekstase voll auf und streift alle Vorsicht ab. Ihr Sopran glitzert und glänzt, kraftvoll kommen die Höhen. Die Koloraturen sitzen zumeist wie maßgeschneidert. Eine Wahnsinnige will den Geliebten nicht nur in Menschengestalt erleben, sondern in all’ seiner göttlichen Pracht, will eins mit ihm und unsterblich werden, koste es, was es wolle. Ein minutenlanges irrsinniges Verlangen mit allen Schattierungen füllt prall den Saal, eine großartige gesangliche und darstellerische Leistung, gefolgt von tosendem Applaus.

Jupiters Bitte, diesen Wunsch zurückzunehmen, stößt bei ihr auf taube Ohren und hat furchtbare Folgen. Nach Donnerkrachen wankt Semele, vom Blitz getroffen, tödlich verbrannt und jammervoll anzusehen, auf die Bühne. Verzweifelt beklagt sie ihren dummen Ehrgeiz. Diese Szene erinnert an den Anfang, der eigentlich schon das Ende war. „Nie sollst du mich befragen“, nie sollst du so etwas von mir fordern – das kostet Glück und Leben. In ihrem Liebes- oder Größenwahn ist Semele zu weit gegangen. Sie steigt zurück in den Stein-Aschehaufen und füllt eine Urne mit dieser eigenen Asche.

Kosky hat Ovids „Metamorphosen“ gelesen, nach denen aus ihrer Asche Dionysius, der Gott der Ekstase, geboren wird. Den kann ich im Halbdunkel nicht entdecken, stattdessen eine triumphierende Juno und die Hochzeit von Ino mit Athamas. Der hat Semele längst vergessen und heiratet unter dem Jubel der Untertanen (des Chors) die Schwester.  

Anschließend Bravi, Getrampel, Gekiekse und lang anhaltender Applaus für alle, am deutlichsten für Nicole Chevalier. Die hat durchgehalten und zuletzt alles gegeben, scheint noch im Geschehen verhaftet zu sein, ist überwältigt von soviel Anerkennung und hat Glücktränen in den Augen.    

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 18. und 26. Mai, 3. und 15. Juni sowie am 10. Juli

 

 

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