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BERLIN/ Komische Oper: PETRUSCHKA / L’ENFANT ET LES SORTILÈGES

05.02.2017 | Oper

Berlin/ Komische Oper: PETRUSCHKA / L’ENFANT SORTILÈGES, 04.02.2017

 „Never change a winning team,“ mag sich Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin wohl gesagt haben, als er erneut die britische Theatertruppe „1927“einlud, die mit ihrer Animation von Mozarts „Zauberflöte“ dem Haus einen nie erwarteten Erfolg bescherte.

Seit deren Premiere im November 2012 wurde die so zauberhaft stummfilmmäßig animierte Oper  mehr als 240 mal aufgeführt, in Berlin und weltweit, sei es auf Gastspielen des Hauses oder in Lizenzproduktionen. Etwa 325 000 Zuschauerinnen und Zuschauer haben diese Zauberflöte gesehen. Im Berliner Haus sind die Vorstellungen nach wie vor ausverkauft. So etwas gab es hier noch nie.

Nun kommt eine neue Variante, doch Mozart gehört nicht mehr dazu. Es ist diesmal überhaupt keine Oper. Vielmehr werden zwei sehr unterschiedliche Stücke miteinander verknüpft: Die Ballettmusik zu „PETRUSCHKA“ von Igor Strawinsky, uraufgeführt 1911, bezeichnet als Burlesque in vier Szenen, und „L’ENFANT SORTILÈGES“ von Maurice Ravel, genannt Fantaisie lyrique in zwei Teilen, von 1925.

Gelingt den Zauberkünstlern von „1927“ auch diesmal etwas Außerordentliches, dem erfindungsreichen Dreierteam, bestehend aus Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt, dem Meister der Animation?

Auch diesmal steht der Stummfilm Pate, insbesondere beim Stück Petruschka, das auf einem russischen Jahrmarkt von anno dazumal spielt. Da sind sie, die bunten Buden, die Anreißer, Muskelmänner, Zauberer, die das Publikum mit großen Augen bestaunt. Das ist auch das Riesenrad, da dreht sich ein Karussell mit bemalten Pferdchen und vieles mehr.

Gesungen wird in diesem ersten Stück gar nicht und wird auch kaum vermisst, da all’ das rasante kunterbunte Treiben die Augen unaufhörlich beschäftigt. Die Ohren kriegen jedoch auch was zu tun, denn Dirigent Markus Poschner liefert gemeinsam mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin den Strawinsky gemäßen, stark rhythmischen Soundtrack. Bewundernswert, wie haargenau das Gezeichnete (Animierte) mit jedem Taktteil übereinstimmt. Augenrollen des verblüfften Jahrmarktpublikums à la Strawinsky inklusive. Super!

Tiago Alexandre Neta Fonseca als Clown. Pauliina Räsänen als Akrobatin in Petruschka, Foto Iko Freese I drama-berlin.de
Tiago Alexandre Neta Fonseca als Clown. Pauliina Räsänen als Akrobatin in Petruschka, Foto Iko Freese I drama-berlin.de

Drei werden von einem Zauberer lebendig gemacht: Die schöne Ballerina: Pauliina Räsänen, hier eine echte Akrobatin, der tollpatschige Clown Petruschka (Tiago Alexandre Neta Fonseca) und der Muskelmann (Slava Volkov), der wie im Zirkus die beiden anderen trägt. Bewundernswert die Show von Pauliina Räsänen, die ohne Sicherheitsseil (so weit ich das sehen konnte), hoch oben ihre Kunststücke darbietet. Verständlich, dass sich der schüchterne Clown in die Schöne verliebt. Szenen, die an Marcel Marceau erinnern.

Bei einer Verfolgung springt der Kleine geschwind in eine Damenhandtasche und schwingt darinnen zusammen mit der Frau auf dem Riesenrad durch die Lüfte. Doch zurück ins leblose Puppenleben will er nicht wieder und erlöst sich davon durch den Freitod. Eine große, gelungene Bilder-Story. Unterhaltung mit Tiefsinn.

 Völlig anders „L’ENFANT ET LES  SORTILÈGES“ (Das Kind und die Zauberdinge). Das ist ein böses Kind, so wird es allenthalben genannt. Es nervt die Mutter und macht auch nicht seine Schularbeiten (Hausaufgaben). Zur Strafe bekommt der kleine Dicke, in den man die aparte Mezzosopranistin Nadja Mchantaf mit einigen Fettpolstern verwandelt hat, nur noch Wasser und Brot. Auch muss der Junge nun auf dem nackten Boden schlafen. Erziehungsmethoden der damaligen Zeit (hoffentlich).

Das böse Kind, Nadja Mchantaf mit 2 Katzen, Foto Iko Fresse I drama-berlin.de
Das böse Kind, Nadja Mchantaf mit 2 Katzen, Foto: Iko Fresse I drama-berlin.de

Dass das Kind nun in Wut gerät und randaliert, verwundert aus heutiger Sicht nicht. Offenbar hatte es jedoch schon vorher einen Hang zum Zerstören. Nun bekommt es Albträume, und alle Dinge, die es vorher kaputt gemacht hat, rächen sich und ängstigen es: der Sessel, die Teekanne, die herunter gerissene Tapete und die Uhr, der der Junge den Zeiger ausgerissen hat, und weiteres. Eigentlich hat sich der Kleine ein bisschen in die Prinzessin verliebt, das Märchenbuch aber dennoch in Fetzen gerissen.

Auch im Garten werden Klagen gegen seine Zerstörungswut laut, vom Baum, dessen Rinde zerschnitten ist, von der aufgespießten Libelle und von den in Käfigfallen leidenden Tieren. Beim leichtsinnigen Einfangen der Sonnenstrahlen bricht jedoch ein Feuer aus, vor dem der Junge fliehen muss. Auch schwarze Hände greifen nach ihm, große Katzen bedrohen ihn.

Doch als ihm das niedliche Eichhörnchen die verwundete Pfote zeigt, bekommt der Kleine Mitleid, stillt das Blut und verbindet die Pfote. Jetzt wird er plötzlich als liebes, süßes Kind gefeiert und ruft sehnsüchtig nach seiner Mama, die den Kleinen allein gelassen hatte. Die erscheint lächelnd. Also Liebe und Friede, wohl gar für immer?

Mit dieser in Frankreich nach wie vor recht populären Geschichte kann ich mich nicht anfreunden, aber gemacht ist auch das überzeugend, was das Musikalische und die Animation betrifft. Erneut bewegen sich die Fantasiefiguren exakt nach der Musik, während sich die Sängerinnen und Sänger ihnen wiederum anpassen. Das muss gut geprobt worden sein. Insgesamt Teamarbeit vom Feinsten.

Verantwortlich fürs Bühnenbild von „1927“ ist Pia Leong, für die Kostüme Katrin Kath. Markus Poschner sorgt auch bei Ravel für den nötigen Drive, bestens unterstützt von den Chören (einstudiert von Andrew Crooks) sowie dem von Dagmar Fiebach betreuten Kinderchor. Und Diego Leetz setzt alles ins beste Licht.

Bis auf das böse Kind, gesungen von Nadja Mchantaf, interpretieren die meisten Sängerinnen und Sänger mehrere Rollen. Die Mutter, die chinesische Teetasse und die Libelle singt Ezgi Kutlu. Das Feuer, die Prinzessin und die Nachtigall gestaltet Talya Lieberman, die weiße Katze und das Eichhörnchen singt Maria Fiselier, eine Schäferin und die Fledermaus Brigitte Geller.

Dem Stuhl, der Eule und dem Lehnstuhl leiht Mirka Wagner die Stimme, Carsten Sabrowski dem klagenden Baum. Für die Uhr und den schwarzen Kater ist Denis Milo  zuständig, für die Teekanne, den schwarzen Kater und Mr. Mathe Ivan Turšić. Einen Schäfer gibt Katarzyna Włodarczyk (ich hoffe, mich bei der Zuordnung all’ dieser Rollen nicht geirrt zu haben).

Großer Jubel im nachhinein, speziell für Nadja Mchantaf und Markus Poschner. Wird dieses Doppelstück eine ähnliche Karriere machen wie die Zauberflöte?  

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 8. und 19. Februar, 2., 5., 10. und 26. März sowie am 11. Juli

 

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