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BERLIN / Komische Oper ORPHEUS IN DER UNTERWELT; Premiere

Gewohnt Überkandideltes aus Barrie Koskys und Otto Pichlers Werkstatt

08.12.2021 | Operette/Musical

BERLIN / Komische Oper ORPHEUS IN DER UNTERWELT; Premiere; 7.12.2021

Komische Oper Berlin - "Orpheus in der Unterwelt" | rbbKultur
Foto: Monika Rittershaus

Jetzt macht sie also in Berlin halt, auf halbem Wege zwischen Salzburg und der Deutschen Oper am Rhein. Die Rede ist von Koskys überdreht-quietschiger Inszenierung von Offenbachs „Orphée aux enfers“, für die Frank Harders-Wuthenow eine deutsche Dialogfassung geschrieben hat. 

 

Offenbachs Opéra-buffon Orpheus in der Unterwelt in zwei Akten und vier Bildern nach einem Libretto von Hector Crémieux und Ludovic Halévy ist eine böse Farce auf die Heuchelei bürgerlich verlogener Selbstzufriedenheit und die Fallstricke sexueller Umtriebigkeit. Zwei Paare, ein göttliches und ein weniger Divines, Jupiter und Juno sowie Orpheus und Eurydike sind mit ihren zärtlichen Beziehungen und der Lust aufeinander am Ende. Die gähnende Langeweile zwischen den Paaren verleitet sie zu so manchem Abenteuer. Kosky hat diesen Ariadne-Faden der in der Operette hierauf entwickelten dionysischen Lustspiele mit Wonne aufgenommen. 

 

Barrie Kosky macht daraus, wie immer mit dem Wiener Choreographen Otto Pichler und mit den bunten Revue- und in französischer Manier gehaltenen Rüschchenkostümen der Victoria Behr eine Travestie mit huch und hach, hysterischem Gekreische, hüftenschwingenden (Bienen-)Balletten, hochgeschmissenen Beinen, nackten Popos, kurz und gut, einem Pandämonium an schrägen Typen und Freaks. Kosky zielt gar nicht darauf ab, wie im 19. Jahrhundert noch wirksam, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten. Denn damals saßen da wohl im Gegensatz zu heute im Theater „lauter Ehemänner, die Kurtisanen hatten und andere Frauen, die ihre Liebesdienste verkauften. Diese Leute lachten über ihre eigenen Heuchelei. Das Stück ist witzig surreal, richtiger Nonsens. Eigentlich nimmt Offenbach Dada voraus, Offenbach steht mit einem Fuß immer im Dadaismus.“ meint zumindest Kosky. 

 

Die Inszenierung in französischer (Gesang) und deutscher Sprache (Gesprochenes) will unterhalten und sonst nichts. Das tut sie auch. Ist ja in Zeiten wie diesen auch nicht verkehrt. Nur passt die Musik zu alldem, was auf der Bühne gezeigt wird und geht die Idee, alle Dialoge vom Schauspieler und Geräuschemacher Max Hopp in virtuose Sketches packen zu lassen, auf? Die Fahrtrichtung ist durchaus angemessen und ein sinnenkitzeldner Bilderreichtum ist dem Ganzen nicht abzusprechen. 

 
Aber abseits der gestochenen Koloraturen, der zuckergekringelten Vokalverzierungen und der Cancans gibt es musikalisch ja ganz Feines, vereinzelt gar leise Melancholisches zu hören. Das macht ja den Zauber Offenbachs aus, dass er dem höchstem Überschwang auch viele Zwischentöne zur Seite stellt. Den quirlig nervösen Grundtonus nach Art eines Zappelphilipp finde ich in diesem Fall als zuviel. Über musikalisch einfach Charmantes wird ein dicker Zuckerguss an optischen Feuerwerken gelegt.  Zudem dürfte sich auch das Bewegungsangebot des Choreographen Otto Pichler im Laufe der Zeit erschöpft, zumindest etwas abgenutzt haben. Bei mir wollte an diesem Abend der Funke jedenfalls nicht zünden.

 

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Foto: Monika Rittershaus

Problematisch erweist sich der Ersatz des sprechenden Bühnenpersonals durch Max Hopp, der als Stimmverwandlungskünstler zwar eine mehr als bemerkenswerte Performance hinlegt, dem hohen Tempo der Operette jedoch nicht gerecht wird. Ich hatte den Eindruck, ich befinde mich nicht nur in zwei Zeitzonen, sondern auch in zwei ganz unterschiedlichen Stilwelten, die da aufeinanderprallen und nicht so recht Freund werden wollen. Die Musik mit ihren zauberhaften melodischen Eingebungen, ihren lautmalerisch genialen Anzüglichkeiten (das großartigen „Fliegenduett“), den rhythmisch so rauschhaften Tänzen und den feurigen Ensembles auf der einen Seite. Dann kommt ein Dialog, aber es findet auf der Bühne eine Art Broadway-Einmannshow mit pantomimischer  Begleitung statt. Die Zeit scheint still zu stehen, wenn das Geräusch jedes Trippelschritts und jede Bewegung genüsslich zelebriert werden. Das ähnelt Stummfilm- oder Comic-Slapstickszenen, die ganz anderen Gesetzen folgen und nicht nur die Aufführungsdauer verlängern, sondern auch die Spannung abflauen lassen. 

Die Berliner Sängerbesetzung mit Sydney Mancasola als Eurydike, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Pluto, Peter Bording als Jupiter, Tansel Akzeybek als Orpheus und Hagen Matzeit als Die Öffentliche Meinung unterscheidet sich grundlegend von der Salzburger Aufführung. Nur Nadine Weissmann als Cupido und Peter Renz als Merkur standen schon in Salzburg 2019 auf der Bühne. Dazu vervollständigen Karolina Gumos als Juno, Alma Sadé als Venus, Maria Fiselier als Diana und Tim Dietrich als Mars ein spielfreudiges, wenngleich stimmlich überwiegend kaum  an moussierenden Champagner denken lassendes Ensemble.  

Positiv erwähnen möchte ich Wolfgang-Ablinger Sperrhacke in der Rolle des Pluto, der wohl gemeinsam mit dem hinreißenden und stimmschönen Countertenor Hagen Matzeit als klosterschesterliche Öffentliche Meinung und dem als lustvoll die Umwelt quälenden Geiger Orpheus höhentigernden Tansel Akzeybek für die schauspielerisch profiliertesten unds stimmlich besten Leistungen des Abends sorgt. Ablinger-Sperrhacke als Unterweltgott Pluto in ziegenfüssigen Plateausohlen, dem Unterleib eines Widders und Hörnern über die Bühne stapfend (sieht anstrengend aus), tritt im ersten Akt als Honigsammler Aristäus auf. Er setzt der dionysischen Figur seinen männlich kernigen, im Ansatz heldischen Charaktertenor entgegen. Er bringt das französische Idiom der Musik und die hohe vokale Präzision in den vielen kleinen Noten am besten zur Geltung. Obwohl es diesmal im Falsett an Leichtigkeit fehlt, funktioniert bei Ablinger-Sperrhacke Offenbach wie am Schnürchen, wie er schon bei der Premiere von „Blaubart“ unter Beweis stellen konnte. 

Enttäuschend hingegen ist die Eurydike der kalifornischen Sopranistin Sydney Mancasola, die in den Höhen scharf klingt. An die Raffinessen und stratosphärischen Koloraturen einer Nathalie Dessay darf man da nicht denken. 

Orchester und Chor der Komischen Oper Berlin, auf gewohnt hohem Niveau, wurden von Adrien Perruchon zu differenziertem Musizieren und schwindelerregenden Tempi in manchen Ensembles angehalten. 

Die Produktion in Berlin wurde von Esteban Muñoz einstudiert wurde, der Regisseur hat gleichzeitig in Wien seine Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ abliefern müssen.

Orpheus in der Unterwelt entstand als Koproduktion der Komischen Oper Berlin mit den Salzburger Festspielen und der Deutschen Oper am Rhein, wo die Produktion ab 19. Februar 2022 gezeigt wird.

Aufführungen in Berlin werden noch am 12., 15., 17., 20., 23., 29. und 31. Dezember angeboten. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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