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BERLIN/ Komische Oper: „ORFEO ED EURIDICE“. Die Liebe überwindet eine Ehekrise, 2. Vorstellung,

29.01.2022 | Oper international

Berlin/ Komische Oper: „ORFEO ED EURIDICE“,  Die Liebe überwindet eine Ehekrise, 2. Vorstellung, 29. 01.2022

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Orfeo (Carlo- Vistoli), Euridice (Nadja Mchantaf). Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de

Der erste Eindruck verblüfft. Anders als Monteverdi geht schon der Opernreformer Christoph Willibald Gluck an die bekannte Sage von Orfeo und Euridice heran. Bei seiner 1 ½ stündigen, hier leicht gekürzten Wiener Fassung von 1762 stirbt die junge Frau nicht an einem Schlangenbiss. Bei Gluck ist sie nach der Dichtung von Ranieri de’ Calzabigi bereits tot. Orfeo und seine Freunde können nur noch weinen und trauern.

Der italienische Regisseur Damiano Michieletto geht noch einen Schritt weiter und versetzt das Geschehen in die Gegenwart. Doch niemand muss zunächst eine lange Abhandlung lesen, um zu verstehen, was eventuell gemeint sein könnte. Gleich beim ersten Blick sehen alle, es sind „Szenen einer Ehe“, also Krisen-Situationen, die viele kennen.

Bei dieser Premiere an der Komischen Oper Berlin sitzen Orfeo im bläulichen Business-Anzug (Carlo Vistoli) und Euridice in einem braven braun-gelblichen Kleid (Nadja Mchantaf) schweigend an einem langen Tisch einander gegenüber (Kostüme: Klaus Bruns).

Ihnen scheint im Lauf der Jahre nicht nur die Liebe, sondern auch die Sprache abhanden gekommen zu sein. Orfeo hat schon den Koffer gepackt, er will weg und geht. Vielleicht denkt er seit Jahren nur an seine Karriere.

Weinend bleibt die verlassene Euridice zurück. Mit einem Messer, das ein dunkel gewandeter Amor (Josefine Mindus, Mitglied im Opernstudio der Komischen Oper) heimlich auf den Tisch gelegt hat, schneidet sie sich die Pulsadern auf, was aber geschwind durch einen herabschwebenden weißen Kubus (Bühnenbild: Paolo Fantin) verdeckt wird.

Amors Erscheinen zu diesem Zeitpunkt und die Verführung zum Selbstmord sind eine Idee von Michieletto, dem es nach seinen Worten nur um die Liebe geht. Damit weist er schon zu Beginn auf den Schlusschor des Werkes hin, der den Triumph der Liebe preist. Anders als Monteverdi lässt Gluck Euridice nicht endgültig sterben, und Michieletto greift das auf.

Der Weg zum Happy End führt jedoch mit viel barockem Wohlklang, geboten vom Chor (einstudiert von David Cavelius), vom Vocalconsort Berlin und dem Orchester des Hauses, geleitet vom Barockexperten David Bates, nur über den Schock des Todes.

Erst in diesem Moment spürt Orfeo den persönlichen Verlust. In wieder erwachter Liebe herzt und küsst er seine Euridice. Glaubwürdig zeigt der Countertenor Carlo Vistoli seinen Schmerz, darstellerisch und noch eindrucksvoller mit seiner kernigen Stimme, die während der 1 ½  Stunden niemals ermüdet und in den Arien in besonderem Glanz erstrahlt.

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Orfeo (Carlo- Vistoli), Euridice (Nadja Mchantaf). Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de

Mit „Chiamo il mio ben così“ beklagt er so ergreifend Euridices Tod, dass die Götter ihm erlauben, seine Frau wieder aus dem Hades herauszuholen, aber bekanntlich unter der Bedingung, sie dabei nicht anzuschauen. Letzteres macht ihm sichtlich Angst, Vistoli wird hier nicht zum Draufgänger.

Die Furien in ihren schwarzen Ganzkörperroben wollen den Eindringling fast lynchen, doch selbst die besänftigt er mit dem „Deh placatevi con me“, so dass sie schließlich mit dem „Ah, quale incognito affetto flebile“ zugeben, wie sehr sie sein Gesang berührt.

Orfeos Suche nach seiner Frau wird zu einem oft artistisch anmutenden Kampf mit anscheinend unendlichen dunklen Stoffbahnen. Immer mehr von diesen Tüchern zerrt er hastig und verzweifelt aus einem Loch, um darunter Euridice zu finden.

Einige Leute beginnen leise zu lachen, doch das ist nicht nur ein Gag. Dieser er zunächst vergebliche Kampf mit den Tüchern, die ihn manchmal zudecken oder zu ersticken drohen, zeigt, wie sehr er überfordert ist. Vielleicht war es vorher auch in seinem Job und seiner Ehe der Fall.

Doch Orfeo gibt nicht auf und entdeckt schließlich seine Euridice, die sich eigentlich in dieser sanften Todesruhe wohlgefühlt hatte und anfangs zögert, in die irdische Realität zurückzukehren. Jetzt läuft auch Nadja Mchantaf zur Hochform auf.

Diese Euridice will nicht nur liebevoll gestreichelt werden, die will auch angeschaut und damit voll akzeptiert werden. Bekanntlich haben die Götter ihm genau das verboten, und er darf ihr das auch nicht sagen.

Wie sich nun die Situation zuspitzt und Euridice aus Enttäuschung lieber im Hades bleiben will, wird schauspielerisch und sängerisch der Höhepunkt. Aus der Verzweiflung erwächst Orfeo der Mut, den Göttern zu trotzen und seine Frau anzusehen.

Ihr Schicksal ist nun besiegelt. Mit der bekannten Arie „Ach, ich habe sie verloren..(„Che farò senza Euridice?“) kann Vistoli jedoch alles Bisherige toppen. So schmerzvoll-schön wird sie zum Ereignis.

Wieder in der Oberwelt leidet Orfeo unter Halluzinationen. Plötzlich umkreisen ihn vier Frauen, alle wie Euridice gekleidet und figürlich ihr ähnlich wie Zwillingsschwestern. Eine kippt sogar Eudidices Asche aus der Urne auf den Boden.  

Orfeo will sich erschießen, doch das lässt Amor nicht zu. Berührt von Orfeos Klagelied erweckt er Euridice erneut und recht drastisch zum Leben. Orfeo und Euridice bekommen einen wach machenden Eimer Wasser über die Köpfe.

Pudelnass und glücklich kehren sie nun mit dem grandios gesungenen Schlusschor  „Trionfi Amore“, von Amor im Glitzerkostüm mit dirigiert, in ihr hoffentlich liebesvolles Alltagsleben zurück. Orfeo stellt seinen gepackten Koffer zur Seite und beide schauen sich an. 

Heftiger Beifall für alle und begeistertes Getrampel für Vistoli ist der hoch verdiente Lohn.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine:  06., 12. und 25. Februar, 06. März und 03. Juli.

 

 

 

 

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