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BERLIN/ Komische Oper: MEDEA von Aribert Reimann. Premiere

22.05.2017 | Oper

Berlin/ Komische Oper: „MEDEA“ von Aribert Reimann, 21.05.2017

Günter Papendell(Jason), Nicole Chevalier (Medea), Nadine Weissmann (Gora)Foto Monika Rittershaus
Günter Papendell (Jason), Nicole Chevalier (Medea), Nadine Weissmann (Gora). Copyright: Monika Rittershaus

 Schwarze Bühne, und schon vor dem Beginn der Aufführung stehen zwei Puppenkinder hinten an der dunklen Wand. So finster und karg bleibt die Szenerie (Bühnenbild: Johannes Schütz) passend zu dieser düsteren griechischen Medea-Sage, die Franz Grillparzer als Schlussteil seiner Trilogie „Das goldene Vlies“ ausgewählt hatte.

Nach den Worten des Komponisten Aribert Reimann war es Grillparzers Sprache, die ihn zum Komponieren anregte. 2010 wurde seine zweiteilige „Medea“ an der Wiener Staatsoper mit, so heißt es, überwältigendem Erfolg uraufgeführt. Nun wagt sich die Komische Oper an die Berliner Erstaufführung und führt sie ebenfalls zum Erfolg.

Und der ist vor allem Nicole Chevalier zu verdanken, die sich ohne Wenn und Aber in die anspruchsvolle Rolle der Medea stürzt, mit jeder Faser ihres Körpers, mit jedem Ton. Fabelhaft hat sich ihre Stimme in den letzten Jahren entwickelt. Sie kann quasi alles singen, von neckisch bis dramatisch. In „Les Contes d’Hoffmann“ am selben Haus hat sie alle vier Frauenpartien (Stella/Olympia/Antonia/Giulietta) gestaltet und dafür im November 2016 den Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie Sängerdarstellerin Musiktheater gewonnen.

Nun meistert sie die nächste Herausforderung, die zahlreichen „Rezitative“ mit ihren Melismen, die Koloraturen, die Verzweiflungsausbrüche mit dem Übergang in den Wahnsinn. Für letzteres eignet sich ihr in der Höhe etwas metallischer Sopran besonders. Das Leise, als alles Schreckliche getan ist, berührt dann besonders.  

Vielleicht hat Medea ihr Schicksal geahnt. Sie weiß oder spürt, dass dem aus Delphi entwendeten goldenen Vlies – genau wie dem gestohlenen Ring des Nibelungen – ein Fluch anhaftet. Wegen seiner magischen Kräfte erweckt es Besitzgier, Untaten geschehen, um es zu erlangen. Den Erwerber stürzt es ins Verderben.

Medea, die Königstochter aus Kolchis am Schwarzen Meer, hat es für Jason, ihren Geliebten, dem Vater gestohlen und ist ihm nach Griechenland gefolgt. Eine Migrantin aus Liebe, die sich in der neuen Heimat integrieren möchte, aber nicht akzeptiert wird. Sie gilt als Barbarin und Zauberin, sie macht den Bewohnern Angst.

Auf dem dunklen, vermutlich mit Holzschnitzeln belegten Boden schaufelt sie mit bloßen Händen hektisch eine Grube und versenkt darin eine Kiste mit geheimnisvollen Gegenständen und dem goldenen Vlies. Sie brauche seinen Schutz nicht mehr, meint sie. Welch ein Irrtum. Sie herzt die beiden Kinder, ihr einziger Trost in der Fremde. Vergeblich warnt ihre Gefährtin Gora (Nadine Weissmann!!)

Von nun an steht sie im schlichten weißen Kleid (Kostüme: Victoria Behr) völlig schutzlos da, auch im Dauereinsatz auf der Bühne. Regisseur Benedict Andrews verlässt sich ganz auf ihre Präsenz und die der weiteren Interpreten und tut gut daran. Zudem können sich alle auf das Orchester der Komischen Oper unter der Leitung von Steven Sloane verlassen.  Reimanns bis ans theatralische reichende Charakterisierung der Ereignisse, sein Unterstreichen der Stimmungsschwankungen wird hier bestens realisiert. Drohendes Unheil ist dem Schlagwerk abzuhorchen, aufgestellt neben den ersten Parkettreihen. Dass Reimanns Musik dennoch nicht allen gefällt, zeigen einige leere Plätze nach der Pause.

Den Jason singt und spielt Günter Papendell, auch einer, der in diversen Rollen überzeugen kann. Der gibt hier nicht den dumpfen Kriegs- und Weiberhelden. Der wird zornig, attackiert Medea sogar brutal, weil ihre Ächtung auch ihn erreicht, zumal beide unter Mordverdacht geraten sind. Letztendlich geht es um die beiden Kinder, die er und sie gleichermaßen beanspruchen. Auch das ist eine ebensolch aktuelle Allerweltssituation wie Medeas Migranten-Schicksal.

Dieses Zerwürfnis nutzt Anna Bernacka als Kreusa, Tochter von König Kreon (Ivan

Turšić mit hellem Tenor). Sie war Jasons Jugendliebe, beschmust auch gleich die beiden Kinder. Jason wendet sich von Medea ab und Kreusa zu, zieht mit den Kindern zu ihr.

Medea soll ausgewiesen werden, verkündet der Herold im Namen des Königs (Eric Jurenas mit facettenreichem Countertenor und durchlöcherter Strumpfhose). Vergeblich fordert ihm Medea Solidarität ab.

Per saldo sollen die Kinder aufgeteilt werden und sollen entscheiden, wer von ihnen zurück zur Mutter will. Doch die, im Königspalast von Kreusa wahrscheinlich raffiniert verwöhnt, haben den Kontakt zur Mutter verloren. Das ist der schlimmste Schlag für Medea, die nun auf Rache sinnt und sich mehr und mehr in taumelnden Wahnsinn steigert. Eine Glanzleistung von Nicole Chevalier.

Das Ende ist vermutlich bekannt: Medea, die einen Tag lang die Kinder zum Abschied nehmen zurückbekommen hat, schickt Kreusa durch Gora ein Geschenkt, das ihr Hochzeitskleid in Brand setzt und sie tötet. Danach meuchelt Medea mit einem Dolch die beiden Kleinen, und ist danach seltsam gefasst. (Gut, dass diese Rollen von Puppen gespielt werden). 

Und Jason? Der ist Medea nach wie vor verfallen, gesteht ihr vergeblich seine Liebe. Doch bei ihr kommt das gar nicht mehr an. Wie in Schockstarre ist sie nach ihrer Untat. Jason ist verurteilt worden und soll sterben, danach sehnt er sich nun nach all’ dem Unglück. Gescheiterte Liebe, zwei vergeudete Leben. „Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht,“ sagt Medea, nun wieder die Königstochter aus Kolchis. Sie will das Unglück bringende Vlies nach Delphi zurückbringen und ihr Schicksal den Priestern anvertrauen in der Hoffnung, dass diese sie töten und von ihrem Schmerz erlösen werden. Ganz sanfte Weisen hat Reimann für dieses Ende gefunden, und genau so klingen jetzt die Stimmen von Günter Papendell und Nicole Chevalier.

Und sie ist es, die zu Recht den größten Schlussbeifall vermischt mit begeistertem Getrampel erhält und mit ihr schließlich auch der anwesende Aribert Reimann. Glücklich umarmt und küsst er sie und danach alle anderen. Der Lohn für einen besonders bemerkenswerten Abend am kleinsten Berliner Opernhaus.  

Ursula Wiegand    

Weitere Termine: 25. Mai, 5./20./25. Juni und 2./15. Jul 2017

Die auf theoperaplatform.eu live gestreamte Premiere ist danach noch 7 Tage kostenfrei abrufbar.

 

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