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BERLIN/ Komische Oper: LA TRAVIATA. Verdi siegt auch in der Neuinszenierung. Premiere

02.12.2019 | Oper


Natalya Pavlova als Violetta und Chorsolisten. Foto Iko Freese/drama-berlin.de

Berlin/ Komische Oper:  Verdi siegt auch in der neuen „LA TRAVIATA“ 01.12.2019

Nach zehn Jahren mal was Neues? Warum eigentlich nicht. Aber muss es denn unbedingt Verdis quasi überall gespielte „La Traviata“ sein? Gewiss, die ist ein Publikumsmagnet, aber wird es auch diese?

Denn von der an diesem Haus exemplarischen Lebendigkeit und Spielfreude ist am Premierenabend kaum etwas zu bemerken. Die erstmals an der Komischen Oper Berlin arbeitende Regisseurin Nicola Raab, die schon an anderen Häusern tätig war, scheint den Sängerinnen und Sängern das Schauspielern fast untersagt zu haben.

Stattdessen scheinen nun Rampen- und Imsitzen-Singen die erste Interpretenpflicht zu sein, was in der Intendanz von Barrie Kosky total in der Mottenkiste verschwunden war. Diese Bewegungsarmut, die auch Langeweile verursacht, kann sich eigentlich nicht mit dem Versuch von Nicola Raab und der Bühnenbilderin Madeleine Boyd erklären lassen, eine Brücke von der Verdi-Zeit in die Gegenwart zu schlagen.

Gut ist zunächst die Idee, eine junge heutige Violetta Valéry zu zeigen, die sich erschreckt die Röntgenbilder ihrer zerstörten Lunge anschaut, die ein baldiges Ende befürchten lassen. Umso mehr flüchtet sie sich in den offenbar schon vorher gehegten Traum, eine literatur- und filmgerechte „Kameliendame“ zu werden.

Daheim vor dem Bildschirm übt sie die Gesten der Greta Garbo und trägt nun statt des Büro-Kostüms eine geschnürte Korsage und einen langen Reifrock, den sie ständig wippen lässt (Kostüme: Annemarie Woods). Da es aber weitgehend an der Personenregie fehlt (oder die absichtlich so ist, wie sie ist), wirkt das Bemühen der drei Damen, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen, auf Dauer recht krampfig.

Ein wichtiges Möbelstück wird das altmodische Sofa inmitten von Violettas minimalistisch eingerichteter Wohnung. Denn wenn nicht im Stehen gesungen wird, geschieht es im ersten Akt auf diesem Sofa.

Natalya Pavlova, die aparte Gastsängerin der Titelrolle, gewinnt schnell die Sympathien des Publikums. Die junge Russin, die – wie sich später erweist – durchaus darstellerisch begabt ist, hat regiebedingt Mühe, diese heutige Violetta als eine Frau zu zeigen, die sich nun gerade ins damalige wilde Pariser Nachtleben stürzt.

Denn die angeblich heißen Pariser Nächte finden nur musikalisch statt, werden vom Chor des Hauses (einstudiert von David Cavelius), interpretiert und vom Orchester des Hauses, dirigiert vom GMD Ainārs Rubiķis, schwungvoll unterstützt. Kein Ballgeschehen, nirgends.

Dort aber begegnet ihr bekanntlich Alfredo Germont, hier also Ivan Magrì. Der ist beim Rampensingen ganz in seinem Element, knallt zuerst hinter Violettas Stuhl und bald ganz vorne stehend seinen stählernen Tenor in den Saal und zwingt indirekt Natalya Pavlova dazu, es ihm so weit wie möglich gleichzutun. Manch hoher Ton bleibt dabei bei ihr auf der Strecke.

Später sitzen die beiden in Violettas karg möblierter Wohnung auf einem altmodischen Sofa in Raummitte, und auch hier dominiert Ivan Magrì gesanglich das Geschehen. Steif dasitzend straft seine Haltung das herausgeschleuderte Liebesgeständnis Lügen.

Günter Papendell, als ganz schwarz gekleideter Unglücksbote, hat mit seinem kraftvollen Bariton, der schon zum Bassbariton tendiert, keinerlei Mühe, ebenfalls Power zu bieten. Aber auch er lässt hier seine gewohnte Schauspielkunst und jedes Fünkchen Herz mit der leidenden Violetta – vermutlich regiebedingt – vermissen. Ainārs Rubiķis, der inzwischen international unterwegs ist, scheinen die zart-lyrischen Passagen dieser Oper ebenfalls nicht besonders am Herzen zu liegen.

Und da das Sitzen und Stillstehen offenbar so erwünscht ist, sitzen im zweiten Akt nicht nur die Kartenspieler ganz selbstverständlich rund um den Tisch, sondern auch drum herum eine Anzahl junger Männer, die „natürlich“ alle auf ihre Smartphones blicken und vielleicht darauf auch den italienischen Text ihrer Partie ablesen.

Derweil sitzt Violetta, angeblich von ihrer Freundin Flora Bervoix (Maria Fiselier) zum übermütigen Feiern eingeladen, hier zusammen mit anderen Damen – alle am PC – hinter einer weißen Holzschranke, vielleicht an einer Hotelrezeption.

Soll wohl heißen: ihre Büroarbeit ist die Realität, alles andere ihr Traum, auch ihr neuer Verehrer Barone Douphol (Dániel Foki). Es  wird zum Albtraum, als Alfredo ihr lautstark und berstend vor Eifersucht das von ihr an ihn überschriebene, hier ausgedruckte Vermögen als vermeintlich von ihr Getäuschter vor die Füße wirft.

In weiteren Rollen Ivan Turšić als Gastone, Carsten Sabrowski als Marchese d’Obigny, Changdai Park als Kommissionär und Alexander Fedorov als Giuseppe.

Nun aber ist für sie Schluss mit der Träumerei. Sie streift daheim die Luxusklamotten ab, steht im Hemd da. Vater Germont (Günter Papendell) bekundet seine Reue, doch nur noch die Haushaltshilfe Annina (Marta Mika) und Dottore Grenvil (Philipp Meierhöfer) kümmern sich um die Todgeweihte. Die hat schon aus der von Anfang an bei sich getragenen Box eine Spritze gezogen und sich verzweifelt einen Schuss gesetzt.

Diese letzten Szenen gelingen Natalya Pavlova gesanglich und darstellerisch überzeugend, gehen auch dem Publikum fühlbar ans Herz. Doch Ivan Magrì als um Verzeihung bittender und sie aufs Land führender Alfredo bleibt mit seinem erneut ungeniert kraftvoll eingesetzten Tenor zumindest für mich unglaubwürdig. Und die ganze Person womöglich sogar für die Regisseurin. Als Violetta schwankend sterbend dasteht, entfernt er sich schon in den Hintergrund.

„So sind halt die Männer“, ließe sich als Frau Raabs Fazit daraus schließen. Doch das Publikum zieht sein eigenes Fazit und bejubelt alle Beteiligten anhaltend, insbesondere Günter Papendell und Natalya Pavlova. Ivan Magrì, der vom Beifall animiert plötzlich freudig herumtanzt, bewegt sich frei nach Galilei also doch. Insgesamt ist es Verdi, der die Menschen erneut bewegt und über alle Sonderbarkeiten gesiegt hat.  Ursula Wiegand

Weitere Termine: 07. 13., 17., 20., 23., und 28. Dezember, am 10. und 17. Januar 2020, am 01., 12. und 22. Februar sowie am 01. und 04. Juli 2020.

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