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BERLIN / Komische Oper „KATJA KABANOVA“ – Wer sich in Familie begibt, kommt darin um!Premiere.

28.11.2021 | Oper international

BERLIN / Komische Oper „KATJA KABANOVA“ – Premiere; 27.11. 2021

 

Wer sich in Familie begibt, kommt darin um!

Leoš Janáček, Katja Kabanowa  Komische Oper Berlin, 27. November 2021 (PREMIERE)
Annette Dasch. Foto: Komische Oper Berlin/ Jaro Suffner

 

Dieses Zitat von Heimito von Doderer könnte Pate für die Neuinszenierung von Leoš Janáčeks sechster Oper “Katja Kubanova” an der Komischen Oper Berlin stehen. Draussen Schneeregen, drinnen eine sich spiralförmig drehende Familientragödie rund um Katja, tödlich unglücklich in das Kaufmannshaus der Kabanov eingeheiratet. 

 

Für Regisseurin Jetske Mijnssen geht es in dieser Oper nach einem Schauspiel “Das Gewitter” des russischen Dramatikers N. Ostrowski weniger um das Dorf, die Natur als gewaltigen Spiegel der Seele und ihrer Verwandlungen, sondern um eine dysfunktionale Familie. Julia Katharina Berndt hat dazu ein Bühnenbild von klaustrophobischer Enge geschaffen. Das Publikum sieht für den gesamten Verlauf der Oper braun-dreckige Wände und graue Lambris von drei untiefen Innenräumen, die sich nach recht und links fahren lassen. Nur ein Esstisch samt Stühlen, an dem sich die familiären Dramen, die täglichen Beleidigungen und Erniedrigungen abspielen, dient als szenische Einrichtung. 

 

Eng ist es da, lieblos und hart, spießig und unerträglich. Kein Wunder, dass Katja bei der stets stutenbissigen Schwiegermutter und ihrem Schwachmaten und Muttersöhnchen Tichon als Ehegespons in so einer Situation innerlich verdorrt, final aufgibt. Nur für einen Augenblick gönnt sie sich das Glück, mit dem feschen Grigorjewitsch Boris von Liebe zu träumen, sie geheim, verdruckst, aussichtslos und verstohlen im Garten zu versuchen, von dem man freilich nichts sieht als nebelige Düsternis. 

 

Die Stärke der Aufführung liegt in einer geschlossenen Ensembleleistung und der bis ins kleinste Detail die komplexen Figuren ausleuchtenden Personenregie. Mijnssen bietet keine Schwarz-Weiß Malerei an, sondern führt uns das Biotop Familie vor, wo ein Gutteil sich belauert und betrügt, mehr oder weniger frustriert und unglücklich ist. Die Kabanicha liebt auf einen perverse Art ihren Sohn. Doris Lambrecht gelangt zwar stimmlich an ihre Grenzen, vermag aber dieser wütenden, schrecklichen Figur auch eine tiefe Verletzlichkeit einzuhauchen. Wie sie Tichon umgarnt und drängt, ihn als Glucke nicht aus dem Auge lässt, aber ihn trotzdem wegschickt, um ihre Schwiegertochter der Folter einer alles andere als trauten Zweisamkeit auszusetzen, zählt zu den großen Atouts der Regiearbeit. 

 

Als kleinen Ausgleich für ihr engherziges Leben gönnt sie sich ein sexuelles Verhältnis mit Dikoj, dem Onkel von Boris, einem egozentrischen Macho von gestern, der in seiner schlappen Unterhose ganz erbärmlich dem hölzernen Liebesspiel mit der alten verdorrten Witwe entgegenfiebert. Unter dem Tisch versteht sich, allzu schuld- und komplexbeladen ist in dem Dorf alles, was mit Freiheit und Erfüllung zu tun hat. Jens Larsen ist mit seinem mächtigen Bass ganz der raubeinige Untam, für den die Natur nichts als eine strafende Instanz Gottes ist.

 

Stephan Rügamer gibt als Tichon den überforderten Ehemann, der linkisch alle liebevollen Gesten seiner Frau ins Leere laufen lässt. Statt sich auf diese Liebe einzulassen, verharrt er im seelischen Niemandsland zwischen Mutter und Katja. Da ist viel Alkohol natürlich die einfachere Lösung, als entschieden Partei zu ergreifen. Bis es zu spät ist. Als Katja zum Schluss stirbt, geht es auch der Kabanicha kurz an den Kragen. Zurück bleibt eine vollkommen zerstörte Familie, ein Trauma von dem sich alle nie wieder erholen werden. 

 

Annette Dasch ist eine in jeder Hinsicht großartige Katja. Jung und verletzlich wie ein zitterndes Vögelchen, den Blick und die Stimme nach innen gerichtet, beobachtet sie ihren eigenen Untergang wie eine fatalistische Spielanordnung. Sie ist passiv und scheu, ihre Liebe zu Tichon chancenlos, ihre Haltung ein düsteres Mysterium. Als sie auf den sensiblen Boris trifft, ist das nur ein kurzes Intermezzo ohne Zukunft. Der Heldentenor Magnus Vigilius mit seiner eleganten Stimme ist da nicht ein oberflächlicher, die Gunst der Stunde nutzender Aufreißer, sondern ein feines Gemüt. Ein unglücklicher Romeo ohne Julia. 

 

Die Regie vernachlässigt aber auch die kleinen Rollen nicht. Das junge Paar Varvara (Karoline Gumos mit ihrem saftig samtigen Mezzo) und Wanja Kudrjasch (erstklassig Timothy Oliver) genießt unbefangen und mit großer Leichtigkeit ihren aufkeimenden Frühling und lässt alle anderen außen vor. Am Ende gehen sie nach Moskau, wo ihr Leben sicher nicht ganz so naiv blauäugig ablaufen wird wie im Dorf. 

 

Das Grandiose an Janáčeks so spezifisch schillernder und rhythmisch komplexer Musik ist, dass sie der eigentlichen Sprachlosigkeit der Figuren ein emotionales Universum der Schönheit entgegensetzt. Die Figuren erhalten so eine instrumentale Sichtbarkeit, die weit über den Gesangspart hinausgeht, ihre Echtheit zertifiziert und unser Mitleiden mit ihnen auslöst. 

 

Dirigentin Giedrė Šlekytė hat dem Orchester der Komischen Oper Berlin einen großen Auftritt und dem Publikum eine Sternstunde beschert. Höchst differenziert in Dynamik, Tempo, spannt sie einen großen dramaturgischen Bogen von der ersten bis zur letzten Note, in den sie die vielen Details der Geschichte einhängt. Man merkt, wie intensiv Regie und Musik in diesem beziehungsreichen Kammerspiel zusammengearbeitet haben. Darstellung und musikalischer Ausdruck gehen in dieser Produktion auf faszinierende Art und Weise Hand in Hand. 

 

Das autistische Verhalten Katjas, die verzweifelte Grobheit der Kabanicha, die in Machismus gehüllte Angst des Dikoj vor der Zukunft, das Aufbrechen von Boris in sein eigenes Leben, das stückweise Zerbrechen von Tichon, die schöne Unbefangenheit der jüngeren Leute im Stück, ihre Sehnsüchte und Konzentration auf die Gegenwart, all das findet in unendlichen Orchesterfarben, in volkstümlichen Melodien und kühnen Harmonien ihre passende Entsprechung. Zudem wurde unglaublich intensiv an der Sprache gearbeitet, die Sprachmelodie der tschechischen Sprache analysiert, deren Rhythmus mit der Musik in Kongruenz gebracht, die Leitmotive subtil in das Gesamtkonzept integriert.

 

Am Ende gab es riesigen Jubel. Annette Dasch konnte verdientermaßen einen persönlichen Triumph einfahren. Ein Besuch der weiteren Aufführungen ist sehr zu empfehlen.

 

Anmerkung: Die Komische Oper muss jetzt nach der Vorgabe 2G plus verfahren. Das ist in Berlin kein striktes Muster “Geimpft, Genesen plus Test”. Sondern die Veranstalter haben die Wahl. Wenn sie ihr Publikum für die gesamte Dauer der Aufführungen Maske tragen lassen, dann entfällt die Testpflicht. Wird zusätzlich zu 2G die Option Test gewählt, dann muss drinnen keine Maske getragen werden. Die Komische Oper hat gut daran getan, sich für Maske zu entscheiden, wenn ich mir die langen Schlangen vor den Testzentren anschaue….

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

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