Berlin / Komische Oper: „KATJA KABANOVA“ von Leoš Janáček, 2. Aufführung am 05.12.2021
Magnus Vigilius als Boris Grigorjewitsch, Annette Dasch als Katja. Foto: Jaro Suffner
Warum kommen todtraurige Stücke fast immer während der dunklen, vielerorts kalten Wintermonate auf den Spielplan, wenn viele Menschen ob des ungemütlichen Wetters am liebsten daheim in der warmen Wohnung sitzen?
Gestorben wird auf den Opernbühnen aber auch in den heiteren Monaten. Die meisten Komponisten scheinen den Tod zu lieben, um die Sterbeszenen mit entsprechend Gefühlen aufzuladen. Immerhin gehören Aida, La Bohème, La Traviata sowie Tristan und Isolde zu den Lieblingsopern des Publikums, da sie den Sängerinnen und Sängern soviel Raum zur Entfaltung bieten.
Doch mit „Katja Kabanova“ ist es anders und das trotz der wunderbaren und stets situationsgemäßen Musik von Leoš Janáček. Diese junge Frau ist kein strahlender Stern, der später dramatisch verglüht. Nein – sie hat von Anfang an keine Chance, weder mit sich selbst noch mit ihrer hartherzigen Umgebung klar zu kommen. Katja ist schon innerlich gefroren, der fehlt bereits jede Lebendigkeit, wenn sie hier erstmals auf der Bühne zu sehen ist.
Wenn das so genau, aber ganz selbstverständlich von Annette Dasch gezeigt wird, brauchst es auch keinen tatsächlichen Kühlschrank, in den Andrea Breth bei ihrer Inszenierung vom Januar 2014 im Schiller Theater (Ausweichbühne während der Staatsopernsanierung) die Katja gleich anfangs platziert hatte. Mit Annette Dasch in dieser Rolle muss das niemand dem Publikum so überdeutlich vor Augen führen.
Regisseurin Jetske Mijnssen blättert nun in der Komischen Oper Berlin Katjas Schicksal wesentlich feinfühliger auf. Stocksteif, mit zumeist niedergeschlagenen Augen und stets im braunen Rock plus heller Bluse (Kostüme: Dieuweke van Reij), steht sie wie versteinert in einem leeren Zimmer an einer großen verschlossenen bzw. nicht geöffneten Flügeltür. Spürt sie überhaupt die Anwesenheit von Boris Grigorjewitsch (Magnus Vigilius !) auf der anderen Türseite, der sich in sie, eine verheiratete Frau, plötzlich verliebt hat?
Mit ihrer betont aufrechten Haltung scheint sich Katja gegen die ständigen Zumutungen in dieser Familie wehren zu wollen, insbesondere gegen die ständigen Attacken der verwitweten und bösartigen Schwiegermutter – genannt Kabanicha. Die allein – Doris Lamprecht – hat in diesem geräumigen Haus das Sagen und lässt es an Schärfe nicht fehlen..
Denn sie liebt abgöttisch ihren Sohn Tichon (Stephan Rügamer), ist daher extrem eifersüchtig auf Katja und beleidigt sie ständig. Und er, Katjas Ehemann, ein hochgradiges Muttersöhnchen, traut sich nicht, diese Angriffe auf seine Frau abzuwehren. .
Das Stück von Janáček , von ihm selbst nach einem erfolgreichen Schauspiel von Aleksandr N. Ostrowskis getextet und auf rd. 100 Minuten gekürzt, spielt in einer Zeit, in der die Eltern, hier die Mutter, noch mit Sie angeredet wurden.
Will diese die beiden auseinander treiben oder der Katja die gleiche Demut gegenüber dem Ehemann aufoktroyieren, wie es damals üblich war (und mancherorts noch heutzutage ist)?
Während die kräftige und gesunde Eva-Maria Westbroek gegen die Sichtweise von Andrea Breth mit ihrer Wagner-Stimme ansingen konnte, versucht das Annette Dasch richtigerweise überhaupt nicht, doch das passt besser zu dieser Rolle.
Schon als Kind hat Katja sehr schwärmerisch in der Dorfkirche gesungen und verzückt gebetet. Diese Frau ist, so scheint es, psychisch viel zu labil, um diese Schwiegertochter-Situation überhaupt aushalten zu können, geschweige denn sich dagegen zu stemmen.
Schon die ersten Musiktakte, großartig gespielt vom Orchester des Hauses und geleitet von der jungen Dirigentin Giedrė Šlekytė, überzeugen sofort durch ihre Feinfühligkeit. Teilweise klingt es wie leichtes Wasserrauschen, und damit ist sicherlich die Wolga gemeint.
Im Original stürzt sich die völlig verzweifelte und reuige Katja zuletzt in diesen Strom, um so Selbstmord zu verüben. Untreue Frauen in die Wolga zu werfen, war damals in Russland offenbar üblich. Diesen Schluss hat jedoch weder Jetske Mijnssen noch vor ihr Andrea Breth gewählt.
Aber selbst dazu scheint der jetzigen Katja die Kraft zu fehlen. Dieser Wille, quasi eingekerkert in eine dumpfe Zimmerflucht (Bühnenbild: Julia Katharina Berndt) ist ihr schon längst abhanden gekommen. Die junge fröhliche Adoptivtochter Varvara (Susan Zarrabi) muss erst den Schlüssel zur Gartentür entwenden, damit Katja vielleicht erstmals seit Jahren hinaus in Grüne gelangen kann, um dort ihren Geliebten zu treffen.
Eigentlich braucht Katja einen Menschen, der sie an der Hand hält. Als die Mutter Tichon auf eine Reise schickt, bittet Katja ihn vergeblich, sie doch mitzunehmen. Als sie ihm noch einen Kuss fast aufdrängt, wird sie von der Schwiegermutter angespuckt.
Stattdessen will Katja Tichon geloben, keinen anderen Menschen während seiner Abwesenheit anzuschauen. Ein Wunsch, den er in seiner Einfalt überhaupt nicht versteht. Die Schwiegermutter tut es an seiner Stelle.
Dennoch weiß wohl Katja genau, was sie tun wird. Die braucht nicht nur Boris´ Liebe und Verlangen, die ist todessüchtig und will sich auf diese Weise selbst vernichten. Von den religiösen Kindheitsfantasien geht sie einen bewussten Weg ins eigene Verderben, zumal sie davon überzeugt ist, dass sie dem neuen Lover nicht an seine neue Arbeitsstelle in Sibirien folgen kann, wohin ihn der Geschäftsmann Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, von dem er abhängig ist, schicken will. Eine derbe Rolle, die dem kräftigern Jens Larsen auf den Leib geschrieben ist. Etwas Sex auf Initiative der Kabanicha im Nebenzimmer unterm Tisch passt auch noch in sein Programm, selbstverständlich in schlabberiger weißer Baumwollunterwäsche, die wohl damals üblich war und jetzt auf manchen Opernbühnen wieder angesagt ist.
Ja – auch das Liebesverlangen von Katja, die das Risiko bewusst eingeht, wird von Boris bestens erfüllt, was aber eher behauptet wird, als zu sehen ist und keineswegs im Garten.
Als Tichon nach Hause kommt, bekennt Katja sofort ihre Schuld, ohne daran zu denken, wie sehr sie ihren Ehemann damit in den Augen anderer erniedrigt. Die Kabanicha möchte sie lebendig begraben, bis Tichon seine Mutter schließlich vor Zorn fast erwürgt. Sie hat ihn mit ihrer Eifersucht ja auch an den Rand des Abgrunds gebracht.
Erstaunlicherweise verzeiht scheint er zuletzt alles begriffen zu haben und bekennt seine Liebe zu Katja, die er nicht richtig hat zeigen können. Neben der zitternd Sterbenden sitzen nun ohne Feindschaft die beiden Männer, die sie eigentlich geliebt haben – Tichon und Boris. Was für ein wunderbarer und versöhnlicher Schluss. Die Kabanicha hat ich ins Nebenzimmer geflüchtet, und hinter der Glasscheibe ist sie weinend zu sehen. Doch sicherlich nicht über den Tod von Katja, sondern vermutlich aus Angst, dass sie durch den Frevel an ihrer Schwiegertochter nun die rückhaltlose Liebe ihres Sohnes verloren hat.
Und die jungen Leute? Die lassen sich nicht mehr einsperren. Varvara flieht mit ihrem Freund, dem Lehrer Anja Kudrjasch (Timothy Oliver), mit dem sie anfangs tschechische Volkslieder gesungen hat, mutig nach Moskau, um dort ein freies Leben zu beginnen.
Danach großer Jubel, insbesondere für die fabelhafte Annette Dasch, ebenso für die Chöre unter David Cavelius, das großartige Orchester und alle anderen. Sämtliche Sängerinnen und Sänger haben auf Tschechisch gesungen, in Janáčeks Muttersprache. Hut ab vor dieser Extra-Leistung. Doch ohne diese wunderbare Musik und diese gelungene Darbietung wäre dieser traurige Dreiakter von sensiblen Menschen kaum zu ertragen. Das Publikum im nicht voll besetzten Saal ging nach diesem Qualitätsschub jedenfalls recht fröhlich von dannen.
Ursula Wiegand
Weitere Aufführungen, falls kein Lockdown kommt, am 08., 22. und 25.12. 2021 sowie am 09. und 22. 01. 2022.