Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Komische Oper: JEWGENI ONEGIN. Erfolgreiche Wiederaufnahme mit neuer Tatjana

13.11.2016 | Oper

BERLIN / JEWGENI ONEGIN Komische Oper; 12.11.2016

Erfolgreiche Wiederaufnahme mit neuer Tatjana

Unglücklich sein ist offenbar einfacher, als das Glück zu genießen. Am allerschwersten ist es jedoch, im jugendlichen Überschwang, im Überquellen an Sehnsucht und Traum, an Unbedingtheit und Imagination, aus dem Füllhorn an Wünschen und Projektionen die große wahre Liebe zu finden. Ja und wenn dann nicht noch das Phänomen der Ungleichzeitigkeit wäre, einer liebt zu früh, der andere zu spät. Gescheiter wird einer immer erst dann, wenn der andere nicht mehr will. Von solcher Versuchsanordnung verstanden offenbar die Russen ziemlich viel. Puschkin und Tchaikovsky – zwei leuchtende Namen, die mit dieser, einer der schönsten Opern überhaupt – Jewgeni Onegin – untrennbar verbunden sind.

1ce6d9153b4595086bf8bbc15f3f1188
Dramatisches Finale. Copyright: Iko Freese / drama-berlin.de

Barry Kosky hat inszeniert, uneitel, unaufgeregt, ohne Firlefanz und sogar ohne Ballett oder entfesselte Statisterie. Erzählt wird in wunderbar poetischen, werktreuen Bühnenbildern (Rebecca Ringst) die Geschichte von vier jungen Menschen, die an sich und der Liebe scheitern. Die Schwestern Tatjana und Olga, Onegin und Lenski. Tatjana, die ihr Leben auf dem Land ganz aus romantischer Emphase mit Liebesromanen füllt und unglücklich auf etwas wartet, das mehr ihrer Fantasie als der Realität entspringen wird. Eine russische Senta, deren Holländer im Moment, wo er auftaucht, schon wieder entweicht und sein Dandytum und seine schnöselige Coolness ins Nichts trägt. Ein Mann ohne Eigenschaften, ein Byronscher Held ohne Tat, ein eitler Gockel des Nichtstuns und der Langeweile. All das zeigt Barry Kosky mit messerscharfen Augen auf dieses und Sympathie mit diesem junge(n) Paar. Er kreiert Charakter aus Bewegungen und Zwängen, die für Günter Papendell in der Titelrolle und Nadja Mchantaf als Rollendebütantin der Tatjana maßgeschneidert sind. Gefangene ihres Wahns, ihrer scheinbaren Unendlichkeit, ihrer selbstgewählten Rollen, ihrer Torheit.

Erst Jahre später, als Onegin den sinnlosen Tod seines Freundes Lenski wegen einer banalen Eifersuchtsgeschichte im Duell schon vergessen hat, erkennt er bei seinem Verwandten Fürst Gremin in dessen Gattin die einst verschmähte Tatjana wieder. Bühnenarbeiter tragen die Kulisse weg und die beiden singen auf der Wiese, die sie einst zuerst zusammensah, ihren finalen Versuch, einen längst toten Traum wieder zu beleben. Im Regen, begossen wie die Pudel, erkennen beide ihr vermurkstes Leben. Tatjana in der Rüstung gesellschaftlichen Schutzes, Onegin am Ende.

Nicht realistisch ist Barry Koskys Arbeit, wiewohl er die marmeladekochende Gutsbesitzerin Larina (Christine Oertel) und die orgelnde Hausangestellte Filippewna (großartig Margarita Nekrasova) anfangs eine echte Genreszene gestalten lässt. Schnell wird klar, dass sich in der Kondensierung des Stoffes durch Tchaikovsky und noch einmal mehr durch Kosky alles um die beiden Hauptrollen dreht. Olga (Karolina Gumos) muss in diesem Konzept zwangsläufig blass bleiben. Die ganz und gar hervorragenden Sänger von Lenski (Ales Briscein) und Fürst Gremin (Önay Köse) liefern in ihren beiden Arien die vokalen Höhepunkte des Abends. Christoph Späth modelliert eine wunderbare Charakterstudie als Triquet.

Der hochbegabte Günter Papendell und die von der letzten Cendrillon Premiere noch in bester Erinnerung stehende bildschöne Nadja Mchantaf bringen ein tief bewegendes unglückliches Liebespaar auf die Bühne. Stimmlich kommen für beide diese immens schweren Rollen einen Tick zu früh. Mchantaf singt mit toller Höhe und edlem Timbre, in der unteren Mittellage, wo sich ein Großteil der Partie abspielt, fehlt es allerdings an Volumen und Expansionsfähigkeit. Papendell ist auch eher in der hohen Lagen zu Hause, sein kerniger Kavaliersbariton ist nach unten hin begrenzt. Dennoch berühren beide derart und verkörpern so intensivst die jungen Leute der literarischen Vorlage (Onegin im zweiten Teil gerade erst 26), dass gerne auf manchen großen Ton verzichtet werden kann. Henrik Nanasi leitet das Orchester und den wie immer wunderbaren Chor der Komischen Oper behutsam und mit Fingerspitzengefühl. Die große gleißende Sehnsucht, den tränenseligen slawischen Ton, die großen Kontraste und Leidenschaften bleiben er und das Orchester allerdings schuldig.

Insgesamt stellt aber die Komische Oper mit dieser Ko-Produktion (mit der Zürcher Oper) einen bedeutenden lyrisch poetischen Abend zum Nachdenken auf die Beine. Es ist eine psychologisch ausgefeilte Arbeit in noch dazu berauschend schönen Bühnenbildern (400 m2 an Kunstrasen wurden da verarbeitet), die von Bäumen gesäumt und im nächtlichen Nebel verhangen die Grundierung dieses melancholischen Sommernachttraums bilden. Etwas innehaltend verlässt man den Saal und denkt, wie das wohl damals war bei der ersten Liebe und der Unfähigkeit, das Glück zu fassen, geschweige denn zu erkennen. Hat es Tatjana am Ende nicht doch gut erwischt? Darf mehr als dankbare Vernunft vom Leben erwartet werden? Dauernder Gefühlsrausch geht ja auf keinen Fall. Endgültige Antworten gibt es da nicht, aber doch Musik, die für kurze Momente die Wahrheit oder die Möglichkeit davon aufblitzen lassen…

Nach der Vorstellung gab es die „After Show Lounge“ in den schönen Foyers der Komischen Oper mit Cocktails und Livemusik. Eine Ansprache des Intendanten und Regisseurs und die Anwesenheit der Künstler ließen den Abend für die Dagebliebenen stimmungsvoll ausklingen.

Dr. Ingobert Waltenberger

Foto: Dramatisches Finale, Copyright Iko Freese

 

Diese Seite drucken