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BERLIN/ Komische Oper im Schillertheater: HERCULES von G.F. Händel – a new musical drama“. Premiere

Szenische Dutzendware, musikalisch erfreulich

04.03.2024 | Oper international

BERLIN / Komische Oper im Schillertheater: HERCULES, „a new musical drama“; Premiere 3.3.2024

Szenische Dutzendware, musikalisch erfreulich

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Foto: Monika Rittershaus

„Semele“ und „Hercules“ bilden vielleicht die beiden bedeutendsten Opern in englischer Sprache, meinte der englische Musikwissenschaftler Winton Dean. Bei „Semele“ stimme ich zu, „Hercules“ jedoch mangelt es vergleichsweise an eingängigen Nummern, an populären Ohrwürmern. Händel hatte sein am 5.1.1745 uraufgeführtes Opus nie als Oratorium bezeichnet. Das Auseinanderklaffen zwischen der Erwartungshaltung des Publikums und der tatsächlichen musikalische Substanz irgendwo zwischen italienischer Opera seria, English Opera und Oratorio, weit entfernt von frommer Erbauung und Pietät, hatte zur Folge, dass nach nur wenigen Aufführungen wieder Schluss war, ja noch mehr, dass Händel die Spielzeit beenden und den Subskribenten ihr Geld zurückerstatten musste.

Der Librettist Reverend Thomas Broughton, Chorherr an der Kathedrale von Salisbury, hatte das Textbuch frei nach Vorlagen von Sophokles‘ Drama „Die Trachinierinnen“ und Ovids neuntem Buch der “Metamorphosen“ gestaltet und mit Zitaten aus Shakespeares „Macbeth“ (erster Dialog Iole-Hercules) und „Othello“ (‚Jealousy! Infernal pest.‘) versehen.

Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Ehedrama. Der von jahrelangen Feldzügen erschöpfte Held Hercules kommt müde und ausgebrannt nach Hause. Für seine in endloser Einsamkeit darbende Frau hat er kaum ein Wort. Diese wiederum ist paranoid hysterisch (geworden) und wahnhaft eifersüchtig: Ein Blick auf die Gefangene Iole, attraktive Fürstin von Oechalia, genügt, um sich einzubilden, Hercules hätte sie betrogen. Was er nicht hat. Vielleicht ist diese Eifersucht aus dem Nichts unterbewusst nur ein Vorwand, um die erkaltete Ehe in die Luft zu jagen.

Dejanira versinkt jedenfalls in brütende Aggression und Selbstverlorenheit, geriert sich von manisch kichernd bis depressiv. Um die vermeintlich geschwundene Liebe ihres Gatten aufzufrischen, schickt sie Hercules das ihr vom Kentauren Nessus überlassene Hemd als Geschenk. Dieses mit Gift (Blut des im Sterben liegenden Nessus) getränkte Tuch lässt sich – einmal angelegt – nicht mehr vom Körper lösen. Der darin Gefangene muss elendiglich und qualvoll zugrunde gehen.

Lichas berichtet, Hercules riss sich mit dem Hemd das Fleisch vom Leibe, bat seinen Sohn Hyllus, einen Scheiterhaufen auf dem Berg Oeta zu schichten, um sich bei noch lebendigem Leibe verbrennen zu lassen. Der von seinem Göttervater Jupiter in der Todesstunde schmählich Vergessene wurde von diesem in Adlergestalt aus der Asche in den Olymp geholt. Mit Ruhm auf Erden ist es vorbei. Dejanira muss als Strafe die Schrecken der Erinnyen Alecto mit Schlangenhaupt und ihrer Schwestern Megaira und Tisiphone erdulden.

Die interessanteste Figur der Oper ist Iole, die den Verlust ihres Vaters durch die Hand des Entführers Hercules überwinden muss. Hercules Sohn Hyllus ist in sie verliebt, aber erst ihre langsame Wandlung von der Trauernden zur vielleicht Liebenden und final das Machtwort Jupiters bewirkt, dass sie Hyllus heiraten will. Die Herrscher von Oechalia und Trachis sollen sich fürderhin nicht mehr auf dem Schlachtfeld bekriegen.

Inszeniert hat der viel beschäftigte Barrie Kosky. Ein karger heller Bühnenraum in kalter Brachialbeleuchtung mit je einer Statue des Hercules im ersten auf einem Sofa (sitzend) und zweiten Akt (stehend) sowie die in so vielen Inszenierungen zur Gewohnheit gewordene Alltagskleidung (Bühne und „Kostüme“ von Katrin Lea Tag) lassen an eine halbszenische, denn optisch anregende Aufführung denken.

Die Koproduktion als Übernahme einer Inszenierung des ehemaligen Intendanten der Komischen Oper aus der Frankfurter Oper, wo das Stück am 30. April 2023 Premiere hatte, ging in Berlin in dreieinhalb Stunden nicht ohne Längen über die Bühne. Das lag teils an dem wenig sinnlichen, dünnen Klang des in historisch informierter Manier aufspielenden Orchesters der Komischen Oper Berlin, das noch dazu unter der staubtrockenen Akustik des Schillertheaters litt, aber auch an einer bisweilen karikatural wirkenden Personenregie durch stereotypes Händeringen, Gekreische, Seufzen & Co und eine wenig originelle Bewegungsregie (Hände rauf und runter, Trippelschritt) für den Chor.

Als Frankfurt-Import verglüht die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy als sich in Gefühlswechselbädern verzehrende Dejanira arios und darstellerisch in allzu exzentrisch furioser Dauerpose. Ihr Durchhaltevermögen und das sich mit voller Kraft voraus in die eindimensionale Rolle Stürzen, verdient jedoch Respekt. Das Atout der Aufführung hätte eine psychologisch klar und stringent deutende Personenführung sein können. Funktioniert hat das ohne Abstriche nur mit dem zweiten Paar Hyllus und Iole. Die griechische lyrische Sopranistin Penny Sofroniadou, Ensemblemitglied am Theater Hagen, und der wunderbare britische Tenor Caspar Singh haben sowohl stilistisch einwandfrei als auch darstellerisch glaubwürdig die reifsten und gesanglich mitreißenden Leistungen des Abends geboten. Ioles „My father! Ah! methinks I see“, „My breast with tender pity swells“, Hyllus „Let not fame the tidings spread“ und das Duett der beiden am Ende des dritten Akts waren Gustostückerln an feinst gestaltetem Barockgesang. Die beiden sollte man sich merken.

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Brandon Cedel. Foto: Monika Rittershaus

Die Titelfigur wurde vom US-amerikanischen Bassbariton Brandon Cedel verkörpert. Wie John Tomlinson (in der epochalen Aufnahme des Werks mit John Eliot Gardiner, den English Baroque Soloists und dem Monteverdi Chor) imponiert bei diesem auch optischen Kraftlackel schon die pure Stimmgewalt. Vom Charakter her von Händel als eigenartig grenzdepressiv, mit Anzeichen von Reststolz gezeichnet, hat Hercules weniger auf der Bühne zu singen als die Nebenrolle des Lichas, die der Komponist als Hosenrolle für einen Mezzosopran konzipiert hat. Eigentlich Herold und Vertrauter Diener Dejaniras, wird er von Kosky ohne dramaturgischen Mehrgewinn zur jüngeren Schwester des Hercules umfunktioniert. Susan Zarrabi bleibt mit angenehm timbrierten, aber wenig durchschlagskräftigem Mezzo vom Gesamteindruck allzu blass, noch dazu vom Regisseur zu unverständlich exaltierter Aktion ähnlich der Dejanira angehalten.

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Foto: Monika Rittershaus

Dirigent David Bates gelang es, die Höhepunkte der exquisiten Partitur effektvoll herauszuarbeiten, vertraute Grosso Modo auf breite Tempi, mit denen er die Spannung nicht durchgängig halten konnte. Ein großes uneingeschränktes einhelliges Bravo wieder einmal für den fabelhaften Chor der Komischen Oper Berlin, der den Schlusschor im Orchestergraben hinter die Instrumentalisten gezwängt und nicht auf der Bühne zum Besten geben musste.

Am Schluss beendete der übliche Premierenjubel, diesmal in kürzerer Ausprägung, diesen vor allem sängerisch lohnenden, szenisch reduzierten und von Kosky professionell routiniert abgespulten Abend.

https://www.komische-oper-berlin.de/spielplan/a-z/hercules/

Fotos: Monika Rittershaus

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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