Berlin/ Komische Oper im Schiller Theater. Glitzer-Premiere mit „CHICAGO“ am 28.10.2023
Ruth Brauer-Kvam. Foto: Barbara Braun
Wie machen Frauen Karriere? Schön, schlau und hemmungslos sollten sie sein, so war das mal 1924 im damaligen wilden Chicago, als sich der Jazz in den USA verbreitete, und manche Menschen richtig verrückt machte. Das Zubehör: aparte Kleidung, Tanz- und Gesangskunst sowie eine geladene Knarre, um Situationen mit Männern sofort zu klären.
Das alles ist nun im Schiller Theater, der neuen Heimat der Komischen Oper Berlin, zu erleben, führt doch der geliebte Ex-Intendant Barrie Kosky Regie. Ausgangspunkte sind ein Buch von Fred Ebb und Bob Fosse sowie die Musik von John Kander mit den Songtexten von Fred Ebb.
Diesmal hat Kosky sogar Otto Pichler, seinen langjährigen Choreographen, als Co-Regisseur an der Seite, um dieses Musical-Vaudeville – ein Pariser Theatergenre mit Tanz und Gesang – ähnlich glanzvoll in Berlin auf die Bühne zu bringen. Übrigens scheint den beiden „Machern“ immer ein Gag nach dem anderen eingefallen zu sein. Drei Stunden inklusive der Pause dauert die Vorstellung
Statt eines Vorhangs ist eine glitzernde Lichterwand mit tatsächlich 6.500 Lämpchen zu sehen (Bühnenbild Michael Levine). Energiesparen ist nicht angesagt, das Publikum soll wohl selbst mal abschalten. Dafür sorgt auch mit Verve das Orchester der Komischen Oper unter der kundigen Leitung von Adam Benzwi, Auch die fitte Tanzgruppe erhält öfter Applaus.
Die oft knalligen Farben der Roben plus Zubehör (Kostüme Victoria Behr) lassen den Regen draußen sofort vergessen. Mit dem ersten Wow-Effekt, einer langen knallroten Federschleppe, überrascht eine schwarzhaarige schlanke Schöne: Die Wienerin Ruth Brauer-Kvam als Velma Kelly, die ihre Partie großartig darbietet. Singen im Spagat und danach ein zirkusreifer Handstand mit Überschhlag sind zu bewundern.
Katharine Mehrling. Foto: Barbara Braun
Katharine Mehrling, Berlins Darling und als raffinierte und ruhmsüchtige Roxy Hart der Mittelpunkt des Stücks, trägt nicht immer solch auffällige Roben, doch auch sie greift schnell zum Gewehr. Das war nicht nur früher üblich und auch nicht nur in Chicago.
Roxy legt also ihren Lover, der nichts mehr von ihr wissen will, sofort um. Velma die ihren Mann beim Sex mit ihrer Schwester erwischte, hat gleich beide ins Jenseits befördert. Nun sind die zwei Girls im Frauengefängnis, und ihnen droht der Galgen.
Bis zur Verhandlung vor Gericht werden sie von der Gefängniswärterin Mama Morton betreut. „Sei gut zu Mama“, singt mit Kraftstimme. Andreja Schneider, bekannt als “Fräulein Schneider” bei den Geschwistern Pfister in der Bar jeder Vernunft. Mit ihr müssen sich die beiden Mordlustigen gut stellen, denn die hat nicht nur Edelgetränke auf dem Rollwagen, sondern auch beste Kontakte zu wichtigen Personen.
Jörn-Felix Alt. Foto: Barbara Braun
Dazu gehört insbesondere der trickreiche junge Rechtsanwalt Billy Flinn, der noch nie einen Frauen-Prozess verloren hat. Den gibt excellent der Schauspieler Jörn-Felix Alt, der nicht nur den eleganten Hüftschwung, sondern auch seine Tenorpartie bestens beherrscht.
Da Roxy statt der geforderten 5.000 Dollar nur ihren Körper zu bieten hat, macht er aus ihr geschwind einen Star, denn das bringt Geld in die Kasse. Die Fotografen rücken mit großen Kameras an, und das Bild der blonden Mörderin Roxy erscheint auf den Titelseiten der Boulevard-Blätter. Die Reporterin Mary Sunshine (Hagen Matzeit) ist Roxy auch ständig auf den Fersen. Publicity wirksam täuscht Roxy alsbald sogar ein Baby vor. Sie ist also ganz in ihrem Element.
Nur eines klappt eher schlecht als recht, als Doppel zusammen mit Velma Kelly aufzutreten. Roxy will der alleinige Superstar bleiben, ein Thema, das die beiden auch mal im Berliner und österreichischen Jargon diskutieren.
Der smarte Anwalt, der Roxys angebliche Geschichte den Geschworenen bei der Gerichtsverhandlung gekonnt vorträgt, erreicht ihre Freilassung. Und nun? Es gibt doch noch Roxys Ehemann Amos Hart (Ivan Turšić), der die Verhandlung verfolgt hat.
Der, sozusagen eine graue Maus, den Roxy anfangs in einem Song verulkt hatte, wird ansonsten von niemandem beachtet. In einem traurigen Lied hatte er sich zuvor als Zellophan-Mann bezeichnet, den andere gar nicht wahrnehmen. Es ist das erste Mal, dass etwas Mitleid entsteht in diesem ebenso schmissigen wie brutalen Musical, in dem es sonst nur ums eigene Ich und um Geld geht.
Amos Hart liebt jedoch seine Roxy nach wie vor, sie soll bitte wieder zu ihm kommen. Das will sie nicht, obwohl die Reporter bereits einer anderen Person nachjagen. Der Erfolg ist vorbei, das haben sie noch nicht kapiert. Dennoch wollen die beiden Frauen – und nun wohl wirklich gemeinsam – mit ihrer Show weitermachen, und sexy Männer sind auch willkommen.
„Chicago ist ein Stück über witzige, charmante Monster. Und wir schauen uns diese Monster-Galerie gerne an“, ist das Fazit von Barrie Kosky. Der heftige Beifall gibt ihm Recht, es wird geklatscht und gekreischt, nicht nur am Schluss. Koskys „Chicago“ wird sicherlich wieder ein Renner, ähnlich wie vorher „La Cage aux Folles“ . Das hatte allerdings mehr menschliche Substanz.
Ursula Wiegand