Berlin / Komische Oper „DER GOLDENE HAHN“ von Nikolai Rimski-Korsakow. Premiere 28.01.2024 im Schiller Theater
Foto: Monika Rittershaus
Wenn Kinder Märchen lieben und noch den Titel „Der Goldene Hahn“ hören, jubeln sie vermutlich vor lauter Vorfreude. Doch dieses Märchen in der Komischen Oper Berlin, nun im Schiller Theater, richtet sich eher an Erwachsene.
Die aber jubeln heftig nach den zwei pausenlosen Stunden und sind von Rimski-Korsakows hochinteressanter Musik und ihrer Darbietung durch den neuen Chefdirigenten James Gaffigan ebenso begeistert wie von Barrie Koskys fantasievoller, jedoch auch strenger Inszenierung, die alles Süßliche vermeidet. Die zeigt auch Sex und Crime, doch selbst das muss man/frau nicht für bare Münze nehmen. Alexander Puschkins Märchen, das als Vorlage diente, ist eigentlich eine Satire.
Den Goldenen Hahn, gibt es hier sogar doppelt. Zunächst thront er als Stimme (von Julia Muzychenko) auf einem hohen, fast kahlen Baum in einem menschenleeren Umfeld mit verdorrtem Gras. Ein Krieg scheint dort seine Spuren hinterlassen zu haben, suggeriert das Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Den szenischen Hahn gestaltet später Daniel Daniela Ojeda Yrureta.
Jedenfalls hat der etwas schrullig wirkende Astrologe (James Krishak) den Goldenen Hahn dem König Dodon als Warner vor weiteren Angriffen übergeben, ohne dafür eine genaue Summe zu fordern. Der König verspricht aber, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.
Eigentlich hat Dodon den Krieg satt. Nur noch Schlafen und Schwelgen sind angesagt, was seinem Interpreten durchaus anzusehen ist. Schon damit passt Dmitry Ulyanov gut in diese Rolle und allerbestens mit seinem prachtvollen Bass, der stets kraftvoll und klangschön den ganzen Saal füllt. Ein sympathischer Star, der außerdem Schauspieltalent und Humor besitzt. Beides muss er in dieser Aufführung haben.
Da er doch wieder in den Krieg ziehen muss, zwängt er sich nicht textgemäß in seine Uniform. Stattdessen agiert er die ganze Zeit in der angegrauten schlabbrigen Unterwäsche, mit der er vorher im Bett gelegen hat. (Kostüme: Victoria Behr).
Vielleicht ist es ihm auch egal, wie er gekleidet ist, hat er doch seine zwei Söhne, die Prinzen Gwidon und Afron, in die Gefechte geschickt, zwei schicke Anzugträger, gesungen von Pavel Valuzhin und Hubert Zapiór. Zurückgekehrt aus dem Kampfgeschehen sind sie nicht. Erst später wird er erfahren, dass sie sich aus Eifersucht gegenseitig umgebracht haben.
Immerhin scheint das bäuerlich gekleidete Volk seinen König zu achten. Stimmgewaltig preisen sie Dodon. Das übernimmt der großartige Chor der Komischen Oper, einstudiert von David Cavelius.
Doch mehrfach stürmen bereits die Kampfrösser auf die Bühne, und die werden dennoch ein lustiger Hingucker. Perfekte Masken sind es, die nur die trampelnden oder hüpfenden Beine derjenigen sehen lassen, die diese „Kostüme“ tragen.
Zum tragisch/ironischen Höhpunkt der Oper wird jedoch die Begegnung von Dodon mit der Königin von Schemacha, der angeblich schönsten Frau der Welt. In diese tatsächlich sehr aparte junge Frau im Spitzenkleid verliebt er sich sofort, obwohl sie alsbald unter dem schon erwähnten kahlen Baum steht und zwischen den Leichen der beiden Prinzen, die gleich daneben baumeln.
Doch selbst diese deutliche Kaltherzigkeit dämpft nicht Dodos heißes Verlangen nach dieser reizvollen Frau, die ihn, ihre schönen Brüste lobend, sogleich zu verführen beginnt. Darüber hinaus erobert sie – Kseniia Proshina – das Publikum mit ihrem klaren, fein geführten Sopran.
Weniger fein und ein Affront ist jedoch ihre Forderung, dass König Dodo für sie tanzen solle. Welch eine Zumutung zu Puschkins Zeit von einer Frau an einen Mann, selbst wenn es der Wunsch einer Königin ist. Hochmütig gibt sie König Dodon der Lächerlichkeit preis.
Sogleich treten echte junge Tänzer/innen in silbrigen Kostümen auf (Choreographie: Otto Pichler), und Dodon kennt in seinem Liebeswahn keine Hemmungen. In seiner Unterwäsche versucht tatsächlich, die gekonnten Bewegungen der Tänzer nachzuahmen. Er hüpft und schwingt die Arme und amüsiert damit auch das Publikum. Nach seinem Tanztraining bestellt Dodon sofort eine goldene Kutsche, denn diese Frau soll nun seine Königin werden.
Ende gut, alles gut, als beide in Dodons Reich ankommen? Keineswegs. Denn nun erscheint der Astrologe und fordert diese schöne Königin als Preis für den Goldenen Hahn. Andere Schätze lehnt er ab. Dodon, nun voller Wut, ermordet den Astrologen. Mit blutbeschmierter Unterwäsche taucht er wieder auf. Doch jetzt stürzt sich der Goldene Hahn auf ihn und zerhackt Dodon. Auch die Musik schildert da, und ratlos singt das Volk, das seinen König verloren hat.
Doch gleich nach diesem Desaster stehen der Astrologe und die Königin wieder quicklebendig auf der Bühne. Alles Vorherige sei nur ein Märchen gewesen. Die einzigen wahren Menschen seien doch er und die Königin von Schemacha, lautet die Botschaft. Den Märchen, heutzutage auch fake news, sollte also niemand trauen.
Ursula Wiegand
Weitere Vorstellungen: 3. und 7. Februar sowie 2. und 9. März, die letzte in dieser Spielzeit am 20. März 2024.