BERLIN / Komische Oper IL BARBIERE DI SIVIGLIA, Premiere, 9.10.2016
Kirill Serebrennikov inszeniert Rossini als bitterböse Social Media Comedy
„Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limo draus“
Die „vier“ Figaros und Graf Almaviva Tansel Akzeybek. Copyright: Monika Rittershaus
Lieber mal aufs Handy schauen als der Geliebten in die Augen. Das könnte das Motto dieser herben Persiflage auf den Handy- Facebook und Twitterwahn unserer Gesellschaft sein. Virtuelle Selbstdarsteller bevölkern die Straßen allerorts, nur ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine Rossini Farce wie sie der Barbier von Sevilla ist, als trashy Internetkömodie zu inszenieren. Bis der formidable und mutige, vor Ideen nur so übersprudelnde Russe Kirill Serebrennikov engagiert wurde, den Barbier als Eröffnungspremiere der Komischen Oper in der Spielzeit 2016/2017 in Szene zu setzen.
Verantwortlich für Ausstattung (Co-Bühnenbild Alexey Tregubov) und Regie, ist dem vielfach ausgezeichneten Theater,- Opern,- Film,- und Fernsehregisseur ein veritabler Theatercoup gelungen. Bisweilen zwar bildlich und mit Ideen überfrachtet, können wir nun einen neuen Blick und ein neues Ohr auf unseren so altbekannten Rossini-Gassenhauer „Barbier“ werfen. Der hat gehörig Haare lassen müssen und wohl auch der Bart ist ab.
Der Theaterraum ist zu Beginn hell erleuchtet, das Orchester sitzt hoch, drei rote Samtfauteuils am linken Rand eines Laufstegs, der rund um das Orchester den Abend lang als dramaturgischer Auftritts- und sich Inszenesetzungsort dient. Graf und Fiorello schlurfen rein in casualware, den Kaffepappbecher und das Handy in der Hand, fleetzen sich in die Sessel und warten bis der Dirigent Antonello Manacorda mit der Ouvertüre beginnt. Freilich posten sie schon bald „Gehts nicht schneller?“ oder „Wie lange denn noch“. Der Zuschauer wird mittels Projektionen intimer Zeuge des kindlichen Unfugs, den mann/frau sich heutezutage so den ganzen Tag lang zumailt, smst oder facebookt.
Manacorda, der in Wien spätestens seit seinem Dirigat des Rossinischen Otello am Theater an der Wien bekannt ist, bevorzugt zügige Tempi, hat die Bühne fest im Griff und sorgt für einen reibungslosen, präzisen musikalischen Ablauf des Abends. Die Ensembles funktionieren wie am „Schnürl“, er atmet und lebt mit der Sängerinnen und Sängern. Eine ideale Ergänzung zu Regisseur Kirill Serebrennikov, der ebenfalls die Figuren ganz aus der Persönlichkeit der Protagonisten heraus entwickelt hat. Freilich „Relationship is complicated“ postet der eitle Graf. Tansel Akzeybek als höhenstürmender tenore leggero stammt wie alle anderen Personen des Stücks aus dem Ensemble der Komischen Oper Berlin. Das Objekt seiner Begierde, Rosina, das reiche Mündel Dr. Bartolos, ist alles andere als ein braves Mädel. Rosina gebärt sich als rotzfreche Göre, die in ihrer virtuellen Partnersuche wahrscheinlich nichts anbrennen lässt. Nicole Chevalier als eher lyrisches Kätzchen denn virtuose Koloraturkönigin chattet und flirtet auf Teufel kommraus mit ihrem Almaviva. Verständlich, denn mit dem altmodischen, verzopften, geizigen, aber dennoch von grundauf schlauen Dr. Bartolo will sie sich nicht ins eheliche Bett legen.
2. Akt In Bartolos Antiquitätenladen. Copyright: Monika Rittershaus
Das Orchester wird hydraulisch in den Graben versenkt, bevor Figaro seinen großen Auftritt hat. Vom ersten Rang darf er in stylie schwarzem Outfit stets von einer Handkamera begleitet mittels Treppe ins Parkett und auf die Bühne stürmen. In Schlabberhose, mit Ohrenpiercings und Knödelfrisur singt er seine Auftrittsarie. Dominik Köninger hat hier wohl die Rolle seines Lebens gefunden, sowohl schauspielerisch als auch stimmlich bietet er die überzeugendste Leistung des aufregenden Premierenabends.
Mittlerweile sehen wir auch Rosina und ihren verzopften Bartolo auf der Bühne ihren Flohmarkttisch mit Altwaren aufbauen. Rosina trägt einen kurzen schwarzen Lackrock, rote Strümpfe, Lederstiefel, Pullover und Lederjacke, einer Rockerbraut ähnlich. So wird sie von Almaviva mit seinem Ständchen überrascht. „Una furtiva lacrima“ ist wohl die falsche Vorlage aus dem Web, schließlich darf er von einer E-Gitarre begleitet die Rossinische Version singen. Das tut Akzeybek voller Witz und stimmlich höchst markant, die Höhen sitzen bestens. Als kanns nicht anders ein, filmt er sich und schickt das Video davon an Rosinas Handy, die entzückt wiederum mit einer Videobotschaft antwortet. Da der Graf aber einen Mitstreiter braucht, um Rosina aus den Fängen des Antiquitätenhändlers Bartolo zu befreien, sichert er sich seiner Treue mittels online Überweisung der Kleinigkeit von 25.000 Euro. Und weil vier Figaros mehr bewirken als einer, verdreifacht der Regisseur kurzerhand seinen intriganten Barbier. Diese Doppelgänger aus dem Ballett treiben allerlei Schabernack, schneiden Gesichter oder betätigen sich als Bewegungskünstler und Anpacker aller Art.
Der Vorhang hebt sich zum ersten Mal mit der Auftrittsarie der Rosina, im angeramschten Trödelladen serviert die dicke Berta (hervorragend Julia Giebel) eine mindestens ebenso dicke Suppenschüssel. Rosina singt vor Barolo von Gehorsam, Respekt und Gelehrigkeit, man glaubt ihr aber vielmehr die Viper, als „süß und lieblich“ zu sein. Der Musiklehrer Basilio will mittels Verleumdung Figaro aus dem Hause Bartolos schaffen. Tareq Nazmi singt seine berühmte Bassarie profund georgelt, daneben ein TV-Bildschirm, auf dem Nachrichten aus aller Welt laufen, Bilder zum Flüchtlingsdrama allerorts. Dennoch schreibt Rosina auf Betreiben Figaros ein langes Liebesmail an Almaviva, gilt es doch die Heirat mit dem bocksgeilen Bartolo um jeden Preis zu verhindern.
Figaro Dominik Köninger mit Tansel Akzeybek und Nicole Chevalier als Rosina im Hintergrund. Copyright: Monika Rittershaus
Letzlich ist vor laufender Kamera jeder sein eigener Star. Die Frage, wie mit narzisstischen Showeinlagen Liebe keimen kann, mag sich da jeder für sich selber beantworten. Wessen Pürzel vor laufender Kamera greller leuchtet, muss ja wohl der bessere Lover sein. Nur Bartolo, in dieser Inszenierung die eigentliche Hauptfigur, kommt ohne elektronischen Firlefanz aus. Ganz analog getrimmt, wirkt er in Strickpullover und Brille zwar altväterisch, ist aber ein kluger Kopf, der um des Geldes willen sogar den Trampel Rosina nimmt. Philipp Meierhöfer liefert in dieser Rolle eine brillante Studie eines berechnenden, lüsternen Alten, der während seiner Arie seine tapsenden Hände nicht von der auf seinem Schoß sitzenden Rosina lassen kann.
Im Finale zum ersten Akt klitschert alles ins komplette Chaos. Almaviva schleicht sich als Imam ins Haus, Fiorello, der vom Opernstudio-Mitglied Denis Milo gesungen und vom Publikum gleich ins Herz geschlossen wurde, taucht mit Kippa auf, die drei Figaro Doubles schlankern mit Palästinensertüchern auf der Bühne. Rosina hält ein Schild „Refugees welcome“ in den Händen, das ihr Bartolo sofort wieder aus der Hand reißt. Hier scheint die Aufführung zu entgleisen, alle treiben ihr Spiel zu weit und auf die Spitze. Als schließlich noch Soldaten auftauchen, dreht sich der Mummenschanz mit einer wüsten Truppe aus Pfarrer, mit Hirschgeweih gehörntem, halskrausbewehrtem Affenbein, tätowierten Glatzkopf mit Nitsch-Schürze vollends ins Surreale.
Manche gerechtfertigte Befürchtung, wie das wohl weitergehen mag, zerstreute sich sofort mit Beginn des 2. Aktes, der insgesamt nachdenklicher und seriöser angelegt war. Zwar waren als neuerlicher Gag Graf Almaviva und später Figaro ganz auf Conchita Wurst getrimmt, mit schwarzer Sonnenbrille, lila Kostüm und grellgelber Bluse. Die Gesangsstunde, in dem das Lied „Die überflüssige Vorsicht“ geprobt wird, als heimliches Stelldichein der beiden Liebenden, in die Basilio mit einem Riesenblumenkübel hereinplatzt, hat Regisseur Serebrennikov virtuos getimt und als gekonnten Slapstick serviert. Im Wodkarausch darf Basilio noch in den Kübel kotzen, bevor er abhaut. Schließlich legt Bartolo seiner Rosina das Brautkleid an, ihr die Untreue Almavivas suggerierend. Eine Hochzeitsshow mit Einkaufstüten von Prada, Gucci, Escada & Co beendet die Oper. Das fesche handysüchtige Brautpaar wird wohl kaum glücklich werden. Liebe ist ja doch noch eine eher analoge und nicht digitale Angelegenheit. Der Übergang ist da wohl alles und den schaffen unsere tapferen Protagonisten nicht.
Fazit: Die Komische Oper hat nun einen neuen jugendlich frechen Barbier von Sevilla am Zahn der Zeit im Repertoire, sicherlich bestens für ein auch jüngeres Publikum geeignet. Das Publikum hat gejubelt und getobt, das gesamte Ensemble und Regieteam mit eingeschlossen. Buhruf gab es, oh Wunder, keinen einzigen. Nicht schwer, dieser Inszenierung mit ihrem Feuerwerk an szenischen Einfällen, der Mischung aus praller Komödie mit tragischem qui pro quo im Untergrund Kultstatus vorauszusagen.
Dr. Ingobert Waltenberger