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BERLIN/ Komische Oper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA – fetzig und jugendlich

29.10.2016 | Oper

Berlin/ Komische Oper: „IL BARBIERE DE SIVIGLIA“ von Gioachino Rossini, fetzig und jugendlich. 28.10.2016

Komische Oper, Il Barbiere, Philipp Meierhöfer als Bartolo, Foto Monika Rittershaus
Philipp Meierhöfer als „Bartolo“. Copyright: Monika Rittershaus

Wo sind denn all’ die jungen Leute, für die der angesagte russische Regisseur“ Kirill Serebrennikov solch einen turbulent-komischen, digital aufgemotzten, jedoch garantiert unblutigen Entführungskrimi inszeniert hat? Nicht nur für die, wie die bestens besuchte Komische Oper Berlin zeigt. Kess rollt nun Rossinis verjüngter „Il Barbiere de Siviglia“ über die in die Publikumsreihen verlängerte Bühne.
Genau wie die heutige Jugend fast aller Länder sind der Graf Almaviva (Tuomas Katajala) und sein Begleiter Fiorello (Denis Milo) ständig mit ihrem Smartphone beschäftigt: lesen, tippen, posten, Selfies machen. Die beiden, solchermaßen tätig, tun so, als hätten sie gar kein Ohr dafür, wie federnd Antonello Manacorda das Orchester des Hauses dirigiert, und wie spritzig es, oben auf der Bühne sitzend, die Ouvertüre erklingen lässt. Eine Top-Leistung während der nächsten 3 Stunden mit viel Gefühl für die Sängerinnen und Sänger.
Der Graf und Fiorello fühlen sich jedoch von der Musik gestört, wie ihre Äußerungen und die Videos von Ilya Shagalov erkennen lassen. Manacorda im T-Shirt und die Musiker in Alltagskleidung nehmen es mit Humor. Auch die Bühnenausstattung hat Serebrennikov erdacht.

Genau genommen läuft ein ganzer Film nebenher, alle singen und agierten oft zweifach, tatsächlich und auf der Leinwand. Lustig ist das auf alle Fälle, manchmal auch etwas zu viel des Guten. In dieser Figaro-Variante muss das Publikum hören und doppelt gucken.

Komische Oper, Il Barbiere, Szenenbild, Foto Monika Rittershaus
Szenenfoto. Copyright: Monika Rittershaus

Das lohnt sich, vor allem bei Günter Papendell. Der kommt angelaufen, springt wie ein schwarzer Teufel auf den Tisch, rennt hin und her, ist eben „Figaro hier, Figaro da“, ein womöglich Energizer-süchtiger Mode-Coiffeur, dem nie die Puste und die Ideen ausgehen.
Einer, dessen Bariton seit Don Giovanni und Onegin immer kräftiger, beweglicher und ausdrucksfähiger wird. Einer, der die Haare der anderen stylt und – vom Kameramann begleitet – sich selbst. Der kann auch Rossini singen sowie für und gegen alles ein Mittel finden. Beim Angebot von 25.000 Euro, die der verliebte Graf Almaviva gleich online auf Figaros Konto überweist, fällt ihm sogleich ein, wie der feine Lover seine Rosina kriegt.
 
Ganz einfach ist das nicht, ist doch das Paar in spe ständig mit Chatten und dem Versenden digitaler Botschaften beschäftigt. Wie im wahren Leben (nicht nur) der jungen Leute. Hier muss der Graf, der sich als Lindoro ausgibt – Tuomas Katajala – erstmal einen Mann mit E-Gitarre engagieren (Ralf Templin), der sein gesungenes Liebeslied auf der Bühne stehend begleitet. Eine hübsche Idee.
Mit „Una furtiva lagrima“ landet Lindoro zunächst bei Donizetti. Da hat er im Internet den falschen Song gewählt. Kann ja passieren. Doch mit Rossinis „Ecco ridente in cielo“ beeindruckt der finnische Tenor nicht nur Rosina, sondern auch das Publikum. Der kann ebenfalls Rossini singen, nicht nur bei dieser Arie.

Dagegen klingt bei Karolina Gumos, der Rosina dieses Abends, Rossini zwar lebendig, aber mitunter zu scharf. Allerdings passt das zu dieser cleveren Motorrad-Lilly in der Lederjacke, der wohl weniger an der großen Liebe als an der Flucht aus Bartolos besitzergreifender Obhut gelegen ist.
Bartolo, gestaltet von Philipp Meierhöfer, wird in dieser Inszenierung und durch die Bühnen-Präsenz dieses Sänger-Darstellers deutlich aufgewertet und beinahe zur tragischen Hauptperson. Der, ein Trödelhändler, wirkt hier nicht nur wie ein grantiger Vormund, der Rosina nur wegen ihres Erbes heiraten will. Der ist auch kein alter Trottel, gut genug zum Veralbern. Mit scharfem Verstand durchschaut er Rosinas Lügen und Tricks. Durch Meierhöfers Schauspielkunst agiert hier nicht nur ein Habgieriger, sondern ein insgeheim Liebender. Eine bemerkenswerte Sicht.

Andererseits sprudeln nur so die verrückten Ideen, werden Jubel, Trubel, Heiterkeit oft auf die Spitze getrieben. Figaro hat drei Doubles, die zusammen mit ihm für Wirbel sorgen, vor allem beim Versuch, Rosina aus Bartolos Haus zu entführen.

Statt in Soldatenuniform bittet der Graf in Iman-Verkleidung um Unterkunft und mit ihm lauter Männer, die abwechselnd die Kippa, mal Arafat-Kopftücher tragen. Rosina hält ein Schild „Refugies welcome“ hoch. Der russische Regisseur nimmt offensichtlich die Willkommenskultur auf die Schippe.
Und dann stolpert auch noch Jens Larsen als Gesangslehrer Basilio mit einem Eimer voller weißer Hochzeitshortensien ins Geschehen und wird mit einigen Wodkas besänftigt. Umwerfend komisch, was der langjährige Bass des Hauses aus dieser Rolle macht. Schließlich marschieren wegen des Lärms noch wirkliche Soldaten mit ihrem Offizier (Jason Steigerwalt) auf die Bühne, und Bartolo bekommt bei diesem Tohuwabohu einen Schwächeanfall. Da bleibt dennoch kein Auge trocken.

Neue Idee im 2. Akt. Als Ersatzgesangslehrer kommt der Graf ins Haus, als Conchita-Wurst-Kopie mit schwarzer Perücke und schickem rötlichen Kostüm. Einer der vielen Lacher im Publikum. Dass Rosina ein Liebeslied („Contro un cor che accende amore“) singt, entgeht Bartolo nicht. Doch wie schnell ändert sie ihre Meinung, als er ihr weismacht, ihr Lindoro hätte noch eine andere Frau. Dann lieber den alten Bartolo heiraten, so ihr plötzlicher Gesinnungswechsel. Wie der nun die sichtlich Schlechtgelaunte selbst Stück für Stück einkleidet, offenbart seine Zuneigung.

Außerdem ist da noch Bartolos fürsorgliche Haushälterin Berta, die anfangs mit einer Riesen-Suppenschüssel anrückt, ihn betüttelt und sich schließlich über ihn lustig macht. Annika Gerhards muss das alles im Fatsuit erledigen, singt aber ihre traurige Arie („Il vecchiotto cerca moglie“) im Sitzen.

Das Ende ist bekannt, hier aber mit Sarkasmus gewürzt. Als sich Lindoro als Graf zu erkennen gibt und bepackt mit Tüten aus Edelboutiquen anrückt, sagt Rosina natürlich  „Ja“. Entzückt lässt sie seinen Schmuck durch die Hände gleiten, nimmt jedoch von dem Bräutigam kaum mehr Notiz. Alles im Normal-Modus, auch der Dirigent und das Orchester sind nun konservativ gekleidet. Zuletzt steht Rosina als stolze Gräfin im edlen grauen Glitzerkleid neben ihrem recht gleichgültig wirkenden Gatten. Sie hat es geschafft. Er auch. Liebe sieht anders aus.

Starker Beifall für alle Beteiligten, auch für den von David Cavelius einstudierten Chor. Papendell und Meierhöfer schneiden dabei verdientermaßen am besten ab. 

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 5. und 26. Nov, 4., 16. und 16. Dez 2016 sowie am 5. und 13. Jul 2017

 

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