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BERLIN/ Komische Oper: GIANNI SCHICCHI / HERZOG BLAUBARTS BURG. Premiere

02.03.2015 | Oper

Berlin/ Komische Oper: „GIANNI SCHICCHI / HERZOG BLAUBARTS BURG“, Premiere, 01.03.2015

An diesem Abend wird in der Komischen Oper Berlin das zusammengefügt, was eigentlich nicht zusammengehört und auch nicht zueinander passt. Doch da das Publikum in diesem Haus seit Barry Koskys Amtsantritt alles goutiert und damit in der Regel richtig liegt, braust am Ende dieser beiden Einakter der Beifall auf. Das trotz der Inszenierung von Calixto Bieito, der sich diesmal jedoch gemäßigt und bei Giacomo Puccinis „Gianni Schicchi“ sogar als Ulkregisseur gibt.

Gianni Schicchi, II, Foto Monika Rittershaus
Gianni Schicchi, erfolgreiche Testamentsuche im Totenbett, Foto Monika Rittershaus

Gianni Schicchi gehört normalerweise zum Dreiteiler „il trittico“, bestehend außerdem aus „il tabarro (Der Mantel) und Suor Angelica (Schwester Angelica), komponiert 1917/18, also gegen Ende des Ersten Weltkriegs! Mit diesem Rückgriff auf die Commedia del arte und sich selbst mit dem Schmachtfetzen „O mio babbino caro“ zitierend, wollte der fast sechzigjährige Puccini, so heißt es, das Publikum nach all’ den Schrecken wieder zum Lachen bringen. Das Libretto von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus La Divina Commedia von Dante Alighieri lieferte dazu die Vorlage.

Doch gerade in dieser Koppelung mit Béla Bartóks gleich anschließendem „Herzog Blaubart“ erweist sich Puccini als ein in der eigenen großen Vergangenheit verharrender Komponist. Den Übergang in die Moderne, die sich in dem schon 1911 komponierten „Herzog Blaubart“ ankündigt, konnte Puccini nicht mehr verwirklichen, und das war ihm auch bewusst.

So wird hier eine drastisch angefettete Familienfarce einem gekonnten Psychothriller gegenübergestellt, der heutig wirkt, obwohl die von Béla Baláz umgedichtete Blaubart-Story aus dem 17. Jahrhundert stammt. Eines haben diese beiden 1918 uraufgeführten Werke jedoch gemeinsam: die Darstellung menschlicher und seelischer Abgründe.

Bei Gianni Schicchi erleben wir Italienisches nach Art des Hauses und ebenso Kostüme aller Art (Ingo Krügler). Die Verwandten scharen sich um das Totenbett des reichen Buoso Donati, jubeln – ein reiches Erbe erwartend – nach seinem letzten Atemzug, um dann doch noch Krokodilstränen zu vergießen, bei denen einer sein Krafttraining mit der Hantel jedoch keineswegs unterbricht.

Als ruchbar wird, dass der Patriarch sein Vermögen einem Kloster vermacht hat, bricht Entsetzen aus. Alle durchwühlen das Zimmer mitsamt Totenbett und Stechbecken und finden nach dieser „Leichenfledderei“ tatsächlich das Testament.

In ihrer Not wenden sie sich an den sonst missachteten Migranten Gianni Schicchi. Der legt sich ins Totenbett, lässt den Notar rufen und diktiert ihm als angeblicher Buoso Donati ein neues Testament. Listigerweise eines, bei dem er selbst die fettesten Brocken erbt.

Danach pures Entsetzen bei der family, alle reißen an sich, was sie fassen können, alles abgrundtief lächerlich und abgrundtief widerwärtig. Nur ein junges Liebespaar beteiligt sich nicht an der eskalierenden Habgier.

Trotz der Turbulenzen wird – ebenfalls nach Art des Hauses – gut gesungen. Günter Papendell ist ein springlebendiger, stimmstarker Gianni Schicchi, Kim-Lillian Strebel mit schönem Sopran seine Tochter Lauretta, die Rinuccio (Tansel Akzeybek, der immer etwas blöde grinsen muss) heiraten möchte. Stefan Sevenich als Betto Di Signa mimt einen warmherzigen Debilen, Christiane Oertel die raffgierige Zita. Als Simone punktet – na wer schon – Jens Larsen mit seinem volumigen Bass. In den weiteren Rollen Mirka Wagner, Annelie Sophie Müller, Christoph Späth, Nikola Ivanov, Hans-Peter Scheidegger und Philipp Meierhöfer.

Gidon Saks als Herzog Blaubart, Ausrine Stundyte als Judith, Foto Monika Rittershaus
 Gidon Saks als Herzog Blaubart, Ausrine Stundyte als Judith, Foto Monika Rittershaus

Ohne Pause folgt nun der „Herzog Blaubart“, und der sitzt zuerst im seidenen Schlafanzug auf dem Ex-Totenbett in dem doch recht gemütlich eingerichteten Sterbezimmer (Bühne: Rebecca Ringst). Das aber passt überhaupt nicht, selbst wenn es als Kontrast gedacht sein sollte.

Immerhin ist sogleich von einem feuchtkalten dunklen Schloss die Rede (wie es so beängstigend bei der Übertragung aus der Met zu sehen war). Erst später bilden dank der Drehbühne dunkle Häuserkulissen einen besseren Hintergrund. Nun ist Calixto Bieito in seinem Element. Er lässt Blaubart in einem Sanitärraum mit lauter Pinkelbecken immer wieder gegen die Spiegel anrennen, auf denen sich sein Blut verteilt. Vielleicht eine Metapher für die Reue einer unglücklichen Mörderseele.

Judith, die Blaubart wider alle Warnungen in seine triste Burg gefolgt ist, schmiert ebenfalls Blut auf die Spiegel, bald sind beide besudelt. Was sich aber hinter den sieben verschlossenen Türen befindet (Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, Zaubergarten, das weite Land, der See der Tränen und schließlich die Kammer mit Blaubarts früheren Frauen), deren Öffnung sie dem sich weigernden Blaubart abringt, können die Zuschauer nur dem eindringlichen Gesang entnehmen. Wer das Stück nicht kennt und die Übertragung aus der Met nicht gesehen hat, wird manches kaum verstehen.

Doch dieses Manko wird durch die beiden Gastinterpreten , Gidon Saks (Bass-Bariton) und Ausrine Stundyte (Sopran) mehr als wettgemacht. Auch darstellerisch glaubt man ihnen die gegenseitige Obsession. Zwei, die einander haben wollen, geliebt sein wollen und doch einander nicht akzeptieren wollen.

Denn hinter den 7 verriegelten Türen verbergen sich Grausamkeiten, aber auch eigene Tränen und Verletzungen. Judith will Licht in das Dunkel bringen, will all’ die Düsternis mit ihrer Liebe aufhellen, will heilen. Allerdings um den Preis, erst einmal dem Partner alle Geheimnisse zu entreißen.

Blaubarts fahles „Judith, frag nicht“ wird zum Leitmotiv dieser früh-avantgardistischen, noch folkloristisch durchzogenen Partitur. Charakteristisch für den Fortgang ist dann das seinige „lieb mich, küss mich“, von ihr das „nimm mich.“ Dennoch treibt sie ihn in die Enge, es wird ein Zu- und Gegeneinander, die Frau in dieser Inszenierung als willensstarke, fast ebenbürtige Partnerin. Ihren Versuch, in diese verschlossenen See einzudringen, bezahlt sie letztendlich mit ihrem Leben. Im Sexrausch, zurückhaltend gespielt, wird sie in der hiesigen Version als vierte von Blaubarts Frauen von ihm erdrosselt.

Welch eine Musik und welch eine überzeugende Darbietung! Einmal durch Gidon Saks und Ausrine Stundyte, aber auch durch das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Henrik Nánási, der für seinen Landsmann Béla Bartók (geboren im damaligen Österreich-Ungarn) offenkundig ein besonderes Feeling mitbringt. Gegen dieses Werk des damals Dreißigjährigen sieht Puccinis Farce – pardon – „wirklich alt aus“ und ist vermutlich den Ohren schon entschwunden.

Was hier vom Publikum nun zurecht intensiv bejubelt wird, ist „Herzog Blaubarts Burg“ mit den beiden großartigen Sängerschauspielern Gidon Saks und Ausrine Stundyte.

Ursula Wiegand

Weiter Termine: 7., 15., 19. März, 5., 12. und 17. April sowie 8. Juli

 

 

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