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BERLIN/ Komische Oper: GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD von HK.Gruber nach Ödön von Horváth. Premiere

23.05.2016 | Oper

Berlin/ Komische Oper: „GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD“ von Ödön von Horváth, Premiere, 22.05.2016

Cornelia Zink (Marianne), Tom Erik Lee (Alfred), Foto Iko Freese I drama-berlin.de
Cornelia Zink (Marianne), Tom Erik Lee (Alfred), Foto Iko Freese I drama-berlin.de

Ist das nun ein echtes Wahlplakat aus Wien, das irgendwann auf der Bühne der Komischen Oper Berlin steht, beim Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“? Mit dem Spruch: „Liebe Deine Nächsten. Für mich sind das unsere Österreicher“.

Wir schreiben den 22. Mai 2016, an dem im Nachbarland ein neuer Präsident gewählt wird, inklusive einem Kopf an Kopf Rennen zweier Kandidaten mit unterschiedlicher Ausrichtung.

Ähnlich, wenn auch auf kleinerem Niveau, sind die Gegensätze in Ödön von Horváths satirischem Volksstück, das 1931 nicht in Wien, sondern am Deutschen Theater in Berlin das Licht der Bühnenwelt erblickte. Per Zufall erhält nun die Opernfassung, komponiert von HK Gruber mit dem Libretto von Michael Sturminger – die deutsche Erstaufführung (nach der Bregenzer Uraufführung 2014) – ungeahnte Aktualität.

Regisseur Michał Zadara hat bei seinem ersten Opernschaffen die Handlung gleich nach Berlin verlegt. Aus dem Wiener Wald wird also der hiesige Grunewald, aus der (nicht mehr) blauen Donau die graue Spree. Mit den Gesangstexten stimmt das nicht überein, zumal die Autos auf der von Robert Rumas prall gefüllten Bühne Berliner Kennzeichen tragen und mitunter über die Berliner Stadtautobahn fahren. Per Video von Barbara Wysocka und Artur Sienicki.

„Die Musik finde ich gewöhnungsbedürftig,“ flüstert eine Dame ihrer Nachbarin zu. Trotz des Puccini-Einsprengsels „Wie eiskalt ist dieses Händchen“. Grubers bewusster Bezug auf Weill und Strawinsky scheint manchen Opernbesuchern auch nicht unbedingt Freude zu bereiten. Andererseits gibt es schöne Melodienbögen, die der junge Dirigent Hendrik Vestmann gut zum Klingen bringt.

Doch was soll’s, die Sache funktioniert frisch und frech, denn das Thema ist und bleibt auch im privaten Bereich aktuell. Hier die Alteingesessenen, die um ihren Besitzstand und ihr Weltbild fürchten, dort die Außenseiter oder die Neuen, die gerade dieses wackeln lassen.

Genau betrachtet ist es schlichte Dummheit, dass Marianne ihren Jugendfreund Oskar, der sie hier ständig fotografiert, genau am offiziellen Verlobungstag abblitzen lässt, um mit dem gerade erst kennen gelernten, verlotterten Ganoven Alfred durchzubrennen. Eine Protesthandlung auch gegen den Zauberkönig genannten Vater.

Diese „Viererbande“ überzeugt, vor allem Cornelia Zink als Marianne, ausgebildet am Mozarteum Salzburg und nun am Staatstheater Cottbus. Eine kleine charmante und fitte Sängerin mit durchschlagfähigem Sopran ohne schrille Höhen, die auch das Abrutschen aus ihrem gut betuchten Umfeld bis ins Rotlichtmenü überzeugend darstellt.

Dass sie mitsamt dem von ihm ungewünschten Kind ihrem Badelatschen-Lover Alfred (Kostüme: Julia Kornacka) bald auf die Nerven geht, ist Tom Erik Lie mimisch und gesanglich deutlich anzumerken.

Der ganze Gegensatz ist der Marianne vom Vater zugedachte Fleischhauer Oskar (Adrian Strooper), ein athletischer Typ wie aus der Muckibude. „Fleisch ist geil“, steht auf seinem blank polierten VW. Nach Mariannes Flucht aus dem als Zwangsanstalt empfundenen Heimatidyll ist er am Boden zerstört, kann auch nicht hassen. „Du wirst meiner Liebe nicht entgehen,“ ruft er der Davoneilenden hinterher. Ein Versprechen und eine Drohung zugleich.

Großartig mal wieder Jens Larsen als Vater mit Doppelmoral, der zwar seine Tochter verstößt, aber eigenen Gelüsten mit der dauergeilen Valerie gerne nachkommt. „Sie sündigen in einem Ford?“ Nein, in einem ollen Mercedes.

Fabelhaft singt und spielt Ursula Hesse von den Steinen die im Stück nicht mehr junge, aber höchst versierte Verführerin und kann sich das figürlich auch leisten. Klar, dass sie sich auch den deutschen Jura-Studenten und Früh-Nazi Erich (Ivan Turšić) schnappt und ihn – genau wie früher den ungetreuen Alfred – durchfüttert. Später ist sie diejenige, die alle mit Erfolg zur Versöhnung drängt. Bei Ödön von Horváth und dem Librettisten Michael Sturminger sind die sog. Kleinen Leute nicht dauerhaft böse, die Kirche schon eher. „diekatholiker.de“ steht auf dem Beichtmobil, das Marianne in ihrer Not zu Hilfe gerufen hat. Doch erst muss sie ihre „Todsünde“, ein uneheliches Kind zu haben, bereuen, donnert der reisende Beichtvater – Hans Gröning schön fies und mit schneidendem Bariton – der Unglücklichen entgegen. Nein, das will und kann sie als liebende Mutter nicht. „Lieber Gott, was hast Du mit mir vor?“ singt sie dreimal leise nach dieser Abfuhr, eine der berührendsten Stellen der Oper. Gut, dass sie es nicht erfährt.

Leopold hat sie den Kleinen genannt, genau wie der Vater und ihn bei Alfreds Großmutter untergebracht. Die sorgt bekanntlich dafür,  dass der ihr verhasste Kleine durch Zugluft an einer Lungenentzündung stirbt. Karan Armstrong als diese Eisenharte bereut nichts und traktiert trotzig die Zither auf dem Tisch.

Als der nach einem Wutausbruch besänftigte alte Leopold, der seine Tochter Marianne als Halbnackttänzerin im Puff entdeckt hat, voll neuer glaubhafter Herzlichkeit anrückt, um seinen Enkel zu sehen, kann ihm ihre Tochter (KS Christiane Oertel) nur den leeren Kinderwagen zeigen.

Die gescheiterte Marianne muss nun, ob sie will oder nicht, den Oskar ehelichen. Die Drohung, „meiner Liebe entgehst du nicht“, wird wahr. „Die Geschichten aus dem Wiener Wald“ sind trotz mancher Komik ein durchaus ungemütliches Stück.

Das Publikum hat verstanden und applaudiert zuletzt heftig und anhaltend, insbesondere der großartigen Cornelia Zink. Viel Beifall erntet auch das Regieteam, bejubelt wird auch der anwesende Komponist, der sich seinerseits intensiv beim Orchester der Komischen Oper für dessen mustergültigen Einsatz bedankt.   

Ursula Wiegand  

Weitere Vorstellungen: 29. Mai, 11. und 17. Juni sowie am 7. Juli.

 

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