Dominik Köninger, Alma Sadé, Stefan Kurt, Vera-Lotte Boecker und Arne Gottschling, copyright Iko Freese / drama-berlin.de
Berlin/ Komische Oper: „FRÜHLINGSSTÜRME“ von Jaromír Weinberger, 2. Vorstellung am 29.01.2020,
Auf dem Weg zur Komischen Oper Berlin stürmt es ziemlich winterlich, doch drinnen im gut geheizten großen Saal warten die „Frühlingsstürme“, eine bislang total vergessene Operette des 1896 in Prag geborenen Tschechen Jaromír Weinberger.
Sie gehört zu der Serie von Werken jüdischer Komponisten, die vor 1933 das Publikum begeisterten, dann aber von den Spielplänen getilgt wurden und genau wie ihre „Macher“ in Vergessenheit gerieten. Diese Stücke in Eigenregie zu neuem Leben zu erwecken, ist Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur des Hauses, enorm wichtig und hat damit immer positiv überrascht.
Bei Weinbergers „Frühlingsstürmen“ muss die Wiedererweckung besonders schwierig gewesen sein. Die Partitur ist verschollen, das Libretto von Gustav Beer wurde jedoch noch gefunden. Norbert Biermann, ein Experte, hat den musikalischen Teil der Operette rekonstruiert und für die Neuschaffung der Songs auf erhaltene Schallplatten zurückgegriffen.
Das ist eine sehr anerkennenswerte Leistung, doch ob diese Quasi-Nachschöpfung weitgehend dem Original entspricht, ist die Frage. Allerdings betont Kosky in einem im Programmheft abgedruckten Interview, dass 85 Prozent der Musik original Weinberger seien.
Dieser neu erstellten Partitur widmet sich das Orchester der Komischen Oper unter der engagierten Leitung von Jordan de Souza mit Schwung und Schmiss, lässt auch gekonnt die Musikstile der damaligen Zeit in dieser Operette erklingen, so Foxtrott und Walzer, Melancholisches, Freches, etwas Jazz und Exotisches.
Letzteres ist dem Ort des Geschehens geschuldet, spielt doch das Stück im russisch-japanischen Krieg, der 1904 ausbrach. Dabei ging es um die von Russland beherrschte Mandschurei, die Japan begehrte und nach dem Sieg auch erhielt.
Weinbergers Operette beginnt vor den Kriegshandlungen, als bei den Russen noch Zeit ist für einen großen Ball war, zu dem die aus Petersburg stammende junge Witwe Lydia Pawlowska (Vera-Lotte Boecker) eingeladen hatte. Bald ertönt auch der Song „Frühling in der Mandschurei“, der von den bevorstehenden Kampfhandlungen ablenkt und die entsprechenden Frühlingsgefühle hervorruft.
Das vorherige, recht langatmige Krisenmeeting unter der Leitung von General Wladimir Katschalow, eine Sprechrolle, aus der Stefan Kurt später Funken schlägt, ist also abgehakt. Dennoch wirkt der Dreiakter von 1933 insgesamt sehr redselig. Das ruft eine gewisse Langeweile hervor, was meinen Nachbarn im ersten Akt zu einem Nickerchen veranlasst.
Womöglich fehlt den Frühlingsgefühlen doch einiges an mitreißender Musik, die einst vielleicht vorhanden war. Den ursprünglich kleinen Chor hat Kosky ohnehin gestrichen und dafür als Füllsel, wie er einräumt, „ein paar Nummern der Tanzteile verlängert oder überhaupt Musik für einen Auftritt der Tänzerinnen eingeschoben.“
Diese jungen Damen in schönen Glitzer-Roben oder feschen Anzügen (Kostüme: Dinah Ehm), oft noch mit Federschmuck auf den Köpfen munter tanzend (Choreographie: Otto Pichler), bringen Farbe und Pepp auf die von Klaus Grünberg recht spartanisch mit einem großen grauen Holzkasten möblierte Bühne, aus der die Sängerinnen und Sänger sowie weiteres Personal quellen.
Dass die Tänzerinnen auch an Stellen, wo es eigentlich gar nicht passt, plötzlich die Bühne bevölkern, ist für meinen Geschmack zuviel an Zutat. Dieser Trend zur aufgehübschten Überbrückung von Lücken, der dem Publikum allerdings zu gefallen scheint, soll dem Stück wohl Operettencharakter verleihen, zieht es aber auch unnötig in die Länge.
Denn eines fällt den Ohren schnell auf: Weinbergers Werk ist oft mehr tragische Oper als leichtlebige Operette, eine Unentschlossenheit, die wahrscheinlich schon im Original vorhanden war.
Da hilft es auch wenig oder nervt sogar, dass Alma Sadé als kesse Generalstochter Tatjana und Dominik Köninger als überaus fröhlicher und wendiger Kriegsreporter Roderich Zirbitz in aufgesetzter Lustigkeit maßlos übertreiben (müssen). Soviel Gekreische geht auf die Ohren.
Das intensive Bemühen, eine verschollene Operette mit dem Einsatz aller Mittel aus der Versenkung zu holen, ist an solchen Stellen mehr als spürbar. Der singend herumgetragene weiße Chinesische Drache und der Song „Nimm mich mit nach China“ wirken beim augenblicklichen Vormarsch des Corona-Virus jedoch recht makaber. Das Leben ist halt keine Operette.
Ohnehin ist Weinbergers Stück, von ihm selbst als Operette bezeichnet, eher ein Zwitter zwischen Oper und Operette, und so wird es von den Hauptpersonen auch akkurat gesungen!
Sehr gerne höre ich Tansel Akzeybeks wohlgeführten Tenor in seiner Rolle als japanischer Spion Ito. Diese Partie hatte bei der Premiere am 20. Januar 1933 im Admiralspalast der Star Richard Tauber inne und wurde dafür von den Nazis verprügelt.
Itos Part ist tragischer Natur, schon seit Jahren liebt er die schöne Lydia Pawlowska, die ihn zuerst mit der Arie: „Wozu die Sehnsucht, die Schwärmerei“ kühl zurückgewiesen hatte. Als sich endlich das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden scheint, geht alles schief, verhindern Missverständnisse das gemeinsame Glück. An solchen Stellen wirken die „Frühlingsstürme“ wahrhaftig, auch durch Vera-Lotte Boecker, die mit ihrem klaren, kräftigen Sopran und schauspielerischer Begabung überzeugt.
In weiteren Rollen Luca Schaub als Großfürst Michailowitsch, Arne Gottschling als Shibato und Hoteldirektor, Yannik Heckmann als Kawa-Kami und Peter, Tino Lindenberg als Oberst Baltischew und Sascha Goepel als Rittmeister Strotzky.
Den meisten Applaus, auch zuletzt, erhält jedoch und höchst verdient Stefan Kurt als General Wladimir Katschalow, eine von Weinberger selbst eingefügte Sprechrolle. Vor allem in letzten Akt erlöst er diese angebliche Operette aus ihrer Eigenhemmung.
Auch er liebt, wie noch manch andere, seit Jahren die charmante Lydia. Als Ito, ihr eigentlicher Geliebter, als erkannter Spion in Todesgefahr gerät, lädt sie den ältlichen General zum nächtlichen Tee ein, um ihn zu verführen und dadurch Ito zu retten. Wie Kurt sich mit Kniebeugen auf jugendlich trimmen will und sich hinterher den schmerzenden Rücken hält, bringt das Publikum zum Kichern. Als er dann noch ein Lied auf Russisch zum Besten gibt, steigt die Stimmung noch weiter.
In der Schluss-Szene in einem Hotel in San Remo mit pausenlos betätigter Schwingtür ist plötzlich Ito zur Stelle, nun als Unterhändler der siegreichen Japaner. Die Liebe zwischen Lydia und ihm flammt sofort wieder auf, doch er ist bereits verheiratet und hat seine Frau mitgebracht.
Nun muss sie verzichten und reicht nach mehrfachem Hin und Her doch noch dem General die Hand zur Ehe. Deutlich turbulenter geht’s beim Buffo-Paar zur Sache, nur Ito trauert seinem letztlich verpassten Glück hinterher „Du wärst die Frau für mich gewesen“, singt er, und das geht durchaus zu Herzen.
Doch insgesamt bleibt festzustellen, dass Weinbergers Operette nicht an Paul Abrahams „Ball im Savoy“ und auch nicht an dessen rekonstruierte „Dschainah“ heranreicht, weil es den in die Länge gezogenen Frühlingsstürmen an Linie und Durchschlagkraft fehlt.
Ungern schreibe ich das, weil Weinberger, als Verfolgter über Frankreich in die USA geflohen, dort nicht mehr Fuß fassen konnte und mit über 7o Jahren den Freitod wählte.
Bleibt zu hoffen, dass sein einstiger Riesenerfolg „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“, der seinerzeit öfter auf den Spielplänen als die Zauberflöte und Carmen stand, auch heute erneut überzeugt. Eingebettet in ein Jaromír Weinberger Festival ab 27. März, hat „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ an der Komischen Oper am 29. März Premiere. Ursula Wiegand
Weitere Termine für die „Frühlingsstürme: 08., 13. und 23. Februar, 01., 12., 28. und 31. März, 05., 10. und 19. April sowie am 24. und 30. Juni.