Jaromir Weinberger: Frühlingsstürme, Komische Oper, Berlin, Vorstellung: 01.03.2020
(6. Vorstellung seit der Premiere am 25.01.2020)
Nicht nur musikalisches Feuerwerk!
Mit der Ausgrabung und Wiederbelebung von Weinbergers «Frühlingsstürme», der, wie sie beworben wird, letzten Operette der Weimarer Republik, ist Intendant Barrie Kosky ein weiterer grosser Wurf gelungen. Auch wenn es für heutige Ohren keine Ohrwürmer gibt, hat es sie damals gegeben: Aufnahmen einzelner Nummern mit den Stars der Uraufführung, Jarmila Novotna und Richard Tauber, zeugen davon. Die Begegnung mit dem Werk lohnt, nicht weil es die letzte Operette der Weimarer Republik ist, sondern weil Weinberger mit seinem Werk in kreativer Art und Weise Grenzen überschreitet. Die Frühlingsstürme si d, auch wenn nominell als Operette bezeichnet, grosse Oper, Operette und Revue gleichzeitig.
Uraufgeführt am 20. Januar 1933, 10 Tage vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, gespielt am 30. Januar, als die Nationalsozialisten unter den Linden ihren Sieg feierten und am Abend des 27. Februars, als der Reichstag brannte, war dem Stück eines jüdischen Autors und eines jüdischen Librettisten mit jüdischen Künstlern in den Hauptrollen kein langes Leben beschieden. Am 12. März 1933 fand die letzte Aufführung in Berlin statt. Für 1947 sind noch Aufführungen in Ostrava/Mährisch-Ostrau überliefert. Wie so oft, wenn die Operetten nicht zu den Dauerbrennern wie Fledermaus oder Lustige Witwe gehören, ist auch hier die Überlieferungslage schlecht. So schlecht, dass Norbert Biermann für die Rekonstruktion und das bühnenpraktische Arrangement nur einen Klavierauszug und ein paar wenige, zeitgenössische Aufnahmen der Hits zu Verfügung hatte. Puristen rümpfen verständlicherweise die Nase, aber wenn es darum geht das Werk dem Vergessen zu entreissen, nicht zu warten bis in ferner oder fernster Zukunft die Archive das Autograph oder Orchestermaterial ausspucken und es in der laufenden Saison Weinbergers damals weltweit gespielten Meisterwerk «Schwanda» gegenüberzustellen, ist die bühnenpraktische Rekonstruktion sicher der richtige Weg. Und das Resultat zeigt, dass die Frühlingsstürme bei der Komischen Oper und Barrie Kosky in den besten Händen sind.
Die «Frühlingsstürme» bieten in konventionelle Operetten-Rahmen, Krieg und Liebeshändel, eine unheimliche musikalische Vielfalt, die von grosser Oper über klassische Wiener Operette bis hin zu ungarischen Klängen, Jazz und amerkanischer Big Band reicht.
Ausgangspunkt von Koskys Inszenierung ist eine fast bühnenfüllende Wunschkiste (Bühnenbild und Beleuchtung: Klaus Grünberg). Sie enthält nicht nur die Wunschträume der Besucher sondern gleich die ganze Operette. Auf der Drehbühne platziert, ist sie mit ihren beweglichen Flügeln höchst variabel und kann mit ein paar wenigen Versatzstücken für jede Szene eingesetzt werden. Otto Pichler choreographiert die bei der bühnenpraktischen Rekonstruktion auf der Basis von Material Weinbergers entstandenen Tanznummern mit exquisitem stilistischem Geschmack. Kosky gelingt erneut eine gleichermassen werkgerechte wie farbenfrohe, lebendige Umsetzung einer Operette, so wie im Moment nur er das kann. Wo kann man schon echtes Feuerwerk auf der Bühne erleben?
Stefan Kurt spielt einen hervorragenden General Wladimir Katschalow (Sprechrolle). Ein Glanzstück, wie er sich das Warten auf Gräfin Lydia damit vertreibt, die Posen für seinen Heiratsantrag auszuprobieren. Als Lydia Pawlowska brilliert Vera-Lotte Becker mit grosser Bühnenpräsenz. Alma Sadé gibt eine herrlich freche, aufmüpfige Tocher des General Katschalow. Daniel Fokí steht ihr in Sachen Frische und Jugendlichkeit in Nichts nach. Roman Payer als japanischer Generalstabsoffizier wird am Schluss Lydia Pawlowska für sich gewinnen und verkörpert seine Partie mit wunderbar heldischen Tenor. Tino Lindenberg, Luca Schaub, Arne Gottschling, Yannik Heckmann, Martina Borroni und Sacha Goepel ergänzen das hochkarätige Ensemble.
Absolute Empfehlung!
Weitere Aufführungen: 12.03.2020, 28.03.2020, 31.03.2020, 05.04.2020, 10.04.2020, 19.04.2020, 24.06.2020 und 30.06.2020.
04.03.2020, Jan Krobot/Zürich