Allan Clayton (Jupiter), Nicole Chevalier (Semele). Copyright: Monika Rittershaus für Komische Oper
BERLIN / Komische Oper: SEMELE, 10.7.2018
Packende Aufführung zum Start des Komische Oper Festivals vom 10.-15.7.
„Oh Schrecken und Entsetzen! Die Natur weist jedem seinen rechten Platz. Jenseits davon irr’n wir gleich Meteoren: Geschleudert durch die Leere zertrümmert uns ein harter Schlag, und unser eitles Feuer verliert sich im Rauch.“ Aus Semele – Chorszene 3. Akt
Schwarz verkohlte Wände, Ruß, zusammengeschmolzene Sesselgerippe, ein Aschehaufen in einem einst herrschaftlichen Haus (archaisch wuchtiges Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon). Immer wiederkehrendes markerschütterndes Donnergrollen in diesem psychologischen Erinnerungsraum. Eine schwer verbrannte, aus allen Poren blutende Semele schaufelt am Ende mit eigenen Händen ihre eigene Asche in eine Urne und sieht gespenstisch verloren der Hochzeit ihrer Schwester Ino mit Athamas zu. Ein düsteres barockes Memento mori durchzieht diese Semele gleich einem szenischen Generalbass der Aufführung.
Aus der Asche Semeles soll nach dem Mythos aus Ovids Metamorphosen Dionysos, der Gott des Rausches und der unkontrollierten Exzesse, aber auch der Schöpfer des Theaters als Ort kultischer Gesangs-, Tanz- und Opferriten entwachsen. Aus der Asche menschlicher Hybris entsteht der hellgrüne Trieb der Leidenschaft, des Theaters. Welch wunderbarer Ansatz für eine Inszenierung mit Tiefgang, die dennoch auf Staunen machende Theatereffekte und die Spiegelung prallen Lebens nicht verzichten will. Barry Kosky hat nach dem unerwarteten krankheitsbedingten Ausfall der Regisseurin Laura Scozzi rasch disponieren müssen, hat sich kurzum selbst als Regisseur verpflichtet und offenbar das genial angerissene Konzept zu einem guten Ende geführt.
Worum geht es? Göttervater Jupiter entführt an ihrem Hochzeitstag die Königstocher Semele. Jupiters eifersüchtige Gattin Juno setzt alles daran, der hemmungslosen Affäre ein Ende zu setzen. Der Nebenbuhlerin erscheint sie als deren Schwester Ino und überredet sie in dieser Verkleidung, Jupiter dazu zu bringen, sich in seiner wahren göttlichen Erscheinung zu zeigen. So könne Semele die ersehnte Unsterblichkeit erlangen. Semeles Ehrgeiz ist stärker als Jupiters männlicher Widerstand. Ihr Schicksal ist besiegelt: In den sengenden Strahlen des Gottes geht sie grausam zugrunde.
Mit dem englischsprachigen Oratorium Semele, einem echten Hybrid aus musikalisch üppigem Oratorium mit mächtigen Chören, tragikomödiantischer Handlung nach einem Libretto von William Congreve zwischen Eros und Thanatos schwankend, und Händels musikalischen Innovationen abseits der A-B-A da capo Arien gelang Barry Kosky&Co eine seiner intensivsten Berliner Arbeiten.
Mit Konrad Junghänel, einem bisweilen zu braven, jedenfalls im Barocken beheimateten Musiker im Graben und einer einzigartigen Besetzung der Titelpartie mit Nicole Chevalier aus dem Ensemble konnte das volle Haus demnach am Ende eine zum Nachdenken anregende, aber auch barock sinnlich verspielte Aufführung erster Güte bieten. Zur guten Stimmung im Publikum mögen auch das eine oder andere Glas Rosé, auf das das Haus das treue Publikum während des Komische Oper Festivals lädt, beigetragen haben. Unbestreitbar ist es das Hauptverdienst einer klugen Repertoirepolitik und musikalischen wie szenischen Polystilistik am Zahn der Zeit, dass Oper oder ein Händel Oratorium in der Berliner Behrenstraße zündender funktionieren als alle Musicals zwischen Wien und Hamburg.
Was macht eine große Aufführung aus? Ich denke, dass es solche sind, an die sich Zuhörer/seher auch noch nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten gut erinnern können. Nicht als Anstrengung, sondern als Wiederkehr wie in Holz geschnittener markanter Bilder vermischt mit Klang, Stimmen, Drama. In Barry Koskys Inszenierung gibt es einige solcher Szenen, die sich in die Netzhaut und die Seele des Betrachters quasi einbrennen können.
In dem brutalen, menschlich-göttlichen Transformationsmusikdrama steht die Arie der Semele „No, no, I take no less, then all in full excess!“ gemeinsam mit dem leichtfertigen Schwur Jupiters, alle Wünsche der durch eine Intrige Junos angestachelten Semele erfüllen zu wollen, als Auslöser des finalen Dramas da. Nicole Chevalier liefert eine einzigartige Performance einer bis zur Hysterie gesteigerten Obsession, Salome gleich, die expressiven Koloraturen mit verzerrt fanatischer Mimik in den Saal schleudernd. Ovationen.
Auf der andern Seite ist es das überaus poetische Bild des vom Juno aus dem Schlaf geholten Somnus , den der blendend aussehende Amerikaner Evan Hughes mit Tänzerfigur und sanft einschmeichelndem Bass verkörpert. Verführerisch umgarnen einander Juno (herrlich überdrehte, eifersuchtsgeplagte und rachedurstige Porträtstudie der Ezgi Kutlu), ihre Dienerin Iris (Nora Friedrich als glockerlhelle, frech auftrumpfende Soubrette) und der in einen hautengen Smoking gekleidete Somnus in einem burlesken Reigen. Was scheinbar als harmlos erotisches Qui por Quo beginnt, endet nach vollbrachter Intrige durchaus tödlich: Juno sichert sich Unterstützung von Somnus zu, um ihren mörderischen Plan in Gestalt von Semeles Schwester Ino umzusetzen. Juno verspricht nämlich Somnus die Hand der Pasithea, worauf er ihr seinen bleiernen Stab des Schlafes gibt. So kann sie Semele vertrauensvoll einreden, sie könne unsterblich werden, wenn sie Jupiter in seiner göttliche Erscheinung sehen könne.
Allan Clayton (Jupiter), Nicole Chevalier (Semele). Foto: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin
Aber auch der tappige, lockenmähnige Jupiter des im Piano zauberisch schön singenden Allan Clayton hinterlässt Eindruck, wenn er sich nicht gerade mit Koloraturen abplagt. Juno darf sich mit „Love’s a bubble, gain’d with trouble and in possessing dies“ gehörig über die Liebe lustig machen und ist von Jupiter vernachlässigt doch selbst nicht vor männlichen Reizen immun. Alle Lust will Ewigkeit und endet doch meist im Mittelmaß. Die Versuche, sich in blindem Ehrgeiz und eitler Verblendung darüber zu erheben, enden so nicht selten tragisch.
Doch Händel will es gar nicht so genau wissen und das Stück moralinsauer aufgeladen enden lassen. Ino heiratet ihren braven Athamas (Mezzosopranistin Katarina Bradic und der amerikanische Countertenor Eric Jurenas bleiben bei allzu eintönigem Vortrag blass), die beiden Langweiler werden noch dazu das künftige Königspaar. Philipp Meierhöfer als Cadmus darf dazu gute Miene zum bösen Spiel machen.
Aber immerhin gibt es einen Grund zu feiern und die Hochzeitsgesellschaft stimmt einen Hymnus an den Gott des Weins an: „Happy, happy shall we be, Free from care, from sorrow free; Guiltless pleasures we’ll enjoy, Virtuous love will never cloy; All that’s good and just we’ll prove, And Bacchus crown the joys of love.“ Es ist eine der eindringlichsten Chor-Schöpfungen Händels, die der fantastische Chor der Komischen Oper Berlin zum finalen Trumpf einer wegweisenden Aufführung erhebt.
Und die Moral von der Geschicht‘: 1) Obsession tut der Liebe gar nicht gut (vgl. auch Tristan und Isolde). 2) Ja, wen die Götter strafen mögen, dem erfüllen sie seine Wünsche. 3) Lasst uns dennoch fröhlich bleiben und Wein trinken.
A propos: „Eine Woche Opernrausch!“ nennt die Komische Oper Berlin ihr Sommerfestival, anlässlich dessen an sechs aufeinanderfolgenden Tagen, vom 10. bis 15. Juli, die Möglichkeit besteht, alle Neuproduktionen der Spielzeit hintereinander zu erleben. Nach „Semele“ werden dies Schrekers „Die Gezeichneten“ (11.7.), Debussys „Pélleas et Mélisande“ (12.7.), Offenbachs „Blaubart“ (13.7.), Shostakovich‘ „Die Nase“ (14.7.) sowie Jerry Bocks Musical „Anatevka“ (15.7.) sein. Hingehen und staunen, was das aufregendste Berliner Opernhaus so alles kann. Als allerletzte Zugabe gibt es beim Ausgang noch Sawade Pralinen zu verkosten.
Dr. Ingobert Waltenberger
Fotos: Monika Rittershaus