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BERLIN/ Komische Oper: FALSTAFF – Quietschbunter prolliger Klamauk – der „Sir“ muss zu Hause bleiben

22.05.2022 | Oper international

BERLIN / Komische Oper „Falstaff“ – 22.5.2022

Quietschbunter prolliger Klamauk – der „Sir“ muss zu Hause bleiben

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Scott Hendricks. Copyright: Iko Freese/ drama-berlin.de

Barrie Kosky, Hansdampf in allen Inszenierungsgassen, ließ den Ballon seiner Regiearbeit zu Verdis letzter Oper „Falstaff“ anlässlich des Festivals von Aix-en-Provence 2021 erstmals  steigen. Die optisch mediterran wirkende Bühne (Katrin Lea Tag) changiert zwischen einem miesen, hellgrün gefliesten Beisl und dem plüschig schrillen Sahnetorten-Schlafgemach des Ehepaars Ford. Vorstadtweiber schaut oba. Am 30. April 2022 war dann Berlin-Premiere. Wer sich feinen Humor erwartete, musste passen. Denn Kosky lieferte Klamauk statt Posse, Schrilles statt bürgerliches Qui pro quo, Grellheit statt einer vielschichtigen Studie über das Altern in Würde und mit Augenzwinkern.  Dabei hatte er eine in Wesentlichen stimmlich gute Besetzung zur Verfügung.

Scott Hendricks trat als schmierig peinlicher Vollproll Falstaff in einer dreckstarrenden Schürze mit nacktem Hintern in der Küche an. Ein Fernsehkoch für Arme, umgeben von Obst Gemüse, Wurst und Kräutern. Mit seinem volltönenden Bassbariton versteht er es allerdings  in allen Lagen saftig und kräftig sein Selbstmitleid über die grausame Welt zu klagen, obwohl er ohnedies nur Fressen und Saufen im Hirn hat. Natürlich gerät sein Werberauftritt bei Alice Ford mit grasgrün groß gemustertem Anzug und weißlockiger Simon Rattle-Perücke zur Farce. Schließlich landet er als Wäschebündel im Kanal. Natürlich braucht es keines Fatsuit-Klischees, da hat Kosky sicher recht. Aber das Thema Vergänglichkeit steht leider nicht auf der Speisekarte des kleinen Falstaff Restaurants von Kosky. Dieser Falstaff, als Gigolo völlig deplatziert, wirkt ziemlich unsympathisch. Am Ende hat er trotz aller stimmlichen Meriten mit am wenigsten Applaus abräumen können.

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Copyright: Iko Freese/ drama-berlin.de

James Kryshak und Jens Larsen als Falstaffs Spießgesellen Bardolfo und Pistola sind zwei grausliche Typen, wie es sich für das Stück so gehört. Nur sollte ihnen jemand beibringen, wie rhythmisch präzises Singen funktioniert. Ivan Turšić als Dr. Cajus bekommt Nannetta natürlich nicht, was eine der wunderbaren Botschaften der Oper rund um eine kluge Intrige zur Überlistung althergebrachter Sitten ist.

Das weibliche Kleeblatt der Weiber von Windsor wird von der fantastischen Armenierin Ruzan Mantashyan als Alice Ford angeführt. Mit ihrem herrlich klangschönen Sopran überstrahlt sie mühelos alle Ensembles. Außerdem ist sie eine großartige Aktrice, die ihre prächtige Stimme präzise und süffig zugleich zu präsentieren weiß. Die frisch gebackene Kammersängerin Karolina Gumos als köstlich spitze Meg Page und die exzellente lyrische Sopranistin Penny Sofroniadou (Hausdebüt) als hingebungsvolle Nannetta agieren auf höchstem Niveau. Leider ist die überaus verdiente Sängerin Agnes Zwierko als Mrs. Quickly weder stimmtechnisch (bitte Legato statt Aneinanderfädeln von Stimmfragmenten) noch vom Volumen her mehr in der Lage, der Quickly stimmlich Profil zu leihen. Da hilft die Flucht ins Outrieren gar nichts.

Hausliebling Günter Papendell als Ford Debütant ist eine sichere Nummer, wenngleich er nicht über den dramatischen Impetus verfügt, die Fords in der Regel haben. Das liegt teils auch an der grobschlächtigen musikalischen Leitung des Generalmusikdirektors Rubikis , der gerade in der berühmten Solo-Szene des Ford „E‘ sogno o realtà?“  den Sänger orchestral gnadenlos zudeckt. Oleksiy Palchykov mimt als Fenton in seinem blauen Anzug mit kurzer Hose den Zappelphilipp. Sein erstklassig timbrierter, voluminöser und höhensicherer Tenor ist für jede Menge an Versprechen gut.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin hat mich schon lange nicht mehr so enttäuscht wie an diesem Abend. Besonders das Blech, aber auch die Streicher spielten pauschal, bisweilen unangenehm breiig. So viele vom Komponisten aufgelegte Gelegenheiten zu rhythmischer Kante und duftig orchestralen Geflechten zu verpassen, ist eigentlich traurig. Auch der Kontakt zwischen Graben und Bühne zitterte und wackelte bisweilen kräftig. Ainārs Rubiķis gelang es leider gar nicht, diese Partitur in all ihren raffinierten Feinheiten und kräftigen Kontrasten adäquat zu servieren. Da ich u.a.  noch Solti und Maazel als Dirigenten dieser Oper in Wien und Mailand live erleben durfte, weiß ich, wie es anders geht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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