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BERLIN/ Komische Oper: FALSTAFF als Kochkurs, inszeniert von Barrie Kosky

20.05.2022 | Oper international

Berlin/ Komische Oper: „FALSTAFF“ als Kochkurs, inszeniert von Barrie Kosky, Mai 2022

Am 22. Mai ist es wieder soweit. Dann hat Regisseur Barrie Kosky in der Komischen Oper erneut aufgetischt, ausnahmsweise schon um 16:00 Uhr. Vielleicht hat es Sir Falstaff eilig, denn der agiert hier als Chefkoch.

Leider ist es die letzte offizielle Kosky-Kreation, bevor er sich – was lange bekannt ist – vom Haus verabschiedet, um befreit von der Intendanten-Tätigkeit wieder ganz als Künstler zu arbeiten. Doch weiterhin wird er am Haus inszenieren, und auch das jetzige, sehr schmackhafte Last-Minute-Menü wird nicht vom Tisch verschwinden. So etwas darf auch nicht verschwendet werden. Ab 9. Oktober lässt es sich mit teils anderer Besetzung erneut genießen.

Da zum guten Essen auch gute Musik gehört, übernimmt posthum Giuseppe Verdi diesen Job. Das ist keine abstruse Idee. Verdi war ein begeisterter Landwirt und hatte es anfangs als Opernkomponist nicht leicht. Angeblich hätte er – überdies von familiären Schicksalsschlägen gebeutelt – das Komponieren fast an den Nagel gehängt. Erst mit Nabucco begann seine großartige Erfolgsserie.

Als Feinschmecker war Verdi ebenfalls bekannt. Dennoch schien er in seiner letzten Oper diesen Sir Falstaff recht kritisch zu sehen und macht diesen nach Geld und jungen Frauen gierenden Alten ziemlich lächerlich. Auch dass Sir Falstaff meint, sich als Adliger jedes Gehabe leisten zu können, sieht Verdi offenbar ungern und hat ihm kaum süffige Arien angeboten. Ainārs Rubiķis am Pult liefert dazu öfter relativ straffe Passagen, ohne die Variationsbreite des Orchesters der Komischen Oper Berlin voll zu nutzen.

Bekanntlich hat Falstaff sein Geld verprasst, was seiner Figur normalerweise anzusehen ist, und muss sparen. In der Komischen Oper steht jedoch ein fitter und mit Perücke verjüngter Falstaff selber am Herd. Für diesen Job hat sich Kosky Scott Hendricks geangelt, und einen besseren als den Super-Bariton aus Texas hätte er für diese Rolle nicht aufgabeln können.

Denn der ist ein Alleskönner als Sänger und ein perfekter Darsteller dazu. Kein alter oder auf alt geschminkter Typ mit Schmerbauch hantiert auf einem großen Tisch auf der Bühne. Dieser Falstaff ist ein Obst- und Gemüse-Fan, das sich auf diesem Tisch stapelt und von ihm ganz flink verarbeitet wird.

Überdies zeigt sich Meisterkoch Hendricks als Allround-Könner mit nacktem athletischen Oberkörper, und die Schürze schützt ihn nur von vorne. Wenn er so flink und sicher mit einem großen Messer hantiert und das Publikum immer wieder zum Lachen bringt, entsteht der Eindruck, er würde daheim ebenfalls öfter kochen und in der Küche herumwirbeln. Der international Gefragte dürfte dafür aber kaum Zeit haben.

Wenn dann in den sehr dunklen Umbaupausen eine sexy weibliche Stimme genau die Zubereitung einer Mahlzeit mit Flusskrebsen schildert, lacht das Publikum leise. Vielleicht kommen bei einigen Damen und Herren nicht nur Hungergefühle auf. Mit leerem Magen sollte niemand diesen „Falstaff“ besuchen.

Andererseits kann es das Publikum sehr wohl verstehen, dass Falstaff gleich an zwei dieser feschen jungen Damen, die so gut singen und schauspielern, Liebesbriefe schreibt, dummerweise aber mit identischem Inhalt und eigentlich geht es ihm nur ums Geld.

Falstaffs Diener Bardolfo (James Kryshak) und Pistola (Jens Larsen), die den  Briefe-Transport als unmoralisch ablehnen, bringt Kosky aber immer wieder in Trab, was lustig anzusehen ist. Galeano Salas als Fenton und Johannes Dunz als Dr. Cajus überzeugen auf ruhigere Art.

Die Sängerinnen, alle schick gekleidet und auf schlanken Beinen sehr flink unterwegs, sind jedoch das Salz in der Suppe. Wie die sich zusammentun, um Falstaff eine Lehrstunde zu erteilen, es wohl selten so spaßig und turbulent zu erleben wie an diesem Haus.

Als Mrs. Alice Ford brilliert Ruzan Mantashyan, als junge verliebte Nannetta Penny Sofroniadou und als Meg Page Karolina Gumos. Eine Sondernummer zieht Agnes Zwierko mit ihrem satten Mezzo ab, die als Vermittlerin die Briefe hin und her trägt und ein nächtliches Rendezvous einfädelt. Bei den Verhandlungen mit Falstaff wischt sie sich öfter die Finger ab. Sehr reinlich scheint es bei ihm nicht zu sein.

Einer, Mr. Ford, wird eifersüchtig, verkleidet sich und gerät nach einer Plauderei mit Falstaff echt in Wut, weil er meint, seine Frau würde ihn mit dem Sir betrügen. Diese Rolle singt und spielt der Bariton Günter Papendell, aber wie! Der ist immer in allen Partien zu Hause und aus gutem Grund der Publikumsliebling. Hier kann er Scott Hendricks durchaus das Wasser reichen.  

Noch eins drauf setzt Kosky bei der nächtlichen Szene im Garten. Alle laufen schwarz gekleidet und mit schwarzen Masken auf der fast dunklen Bühne wie böse Geister hin und her (Bühnenbild und Kostüme Katrin Lea Tag). Wie böse Schemen ängstigen sie Falstaff, und der Chor des Hauses, einstudiert von David Cavelius, macht munter mit.

Als gelungenes Spektakel empfinden das die amüsierten Zuschauer/innen. Falstaff und noch mehr Mr. Ford sind allerdings durch ihr Verhalten zu Verlierern geworden. Selbst schuld. Zu Recht wird diese vom Altersstaub befreite und geschmackssichere Falstaff-Version zuletzt stürmisch gefeiert.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 28. Mai, 5., 11. und 25. Juni sowie am  9. Juli. Ab 09. Oktober 2022 wird Scott Hendricks mit teils anderer Besetzung Falstaff-mäßig fröhlich weiterkochen

 

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