BERLIN / Komische Oper: ECHNATON (AKHNATEN); 15.3. 2025 Premiere
Foto: Monika Rittershaus
Ein großer Abend an der Komischen Oper: Philip Glass‘ spirituell mystische Choroper triumphiert in einer abstrakt choreografierten, optisch hochästhetischen Inszenierung von Barrie Kosky
„Echnaton“, der Abschluss der Portraitopern-Trilogie von Philip Glass nach „Einstein on the Beach“ und „Satyagraha“, musikalische Reflexionen über die Themen Wissenschaft, Politik und Religion, entführt uns in eine ganz eigentümlich fesselnde Welt der intensiven musikalischen Meditation. Dirigent Jonathan Stockhammer empfindet die Wirkung der Oper wie eine Erfahrung mit Rave oder einer Technonacht im Berghain, eine Sicht, die ich als eingefleischter Klassik-Jazz-Techno-Mensch durchaus teile.
Wie in den großen geistlichen Oratorien Händels spielt der Chor neben dem Orchester, das in ausgedehnten, rein instrumentalen Passagen dunkel dräuend pulsiert, die Hauptrolle. Das Volk und die Priester sind es, die die Inthronisation von Amenophis IV (ca. 1351-1334 a.C.) feiern und ihn als Echnaton am Ende nach einer langen Periode der Entfremdung und Sprachlosigkeit seitens des Pharaos auch wieder stürzen. Historisch ist, was Teile der Handlung – das Libretto unter Einbeziehung von Pyramidentexten aus dem Alten Reich und Texte und aus der Amarnazeit wurde vom Komponisten in Zusammenarbeit mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddell und Jerome Robbins erstellt – in einigen nicht linear zusammenhängenden Bildern anlangt, freilich nicht untermauert.
Die in Stein gemeißelten Gesichtszüge des Herrschers, der den Monotheismus mit Gott Aton mit Gewalt durchpeitschte, sein schönes langgezogenes Gesicht und seine vollen sinnlichen Lippen, bergen ein Geheimnis, über das nur spekuliert werden kann. Noch berühmter und mythischer als Kunstwerk ist die farbig bemalte Büste der Nofretete, Superstar des Neuen Museums in Berlin. Sie war als Gattin Echnatons wie dessen Mutter Teje Mitstreiterin für den neuen religiösen Kult um Sonnenscheibe und Licht, der den Herrscher als leibhaftigen Sohn des Gottes inszenierte.
Foto: Monika Rittershaus
Um die lästigen alten Priester des Amun loszuwerden, beschloss Echnaton, Theben aufzugeben und mit Achet-Aton eine neue Hauptstadt zu gründen. Als Echnaton aber dem Eindringen feindlicher Aggressoren in das Hoheitsgebiet Ägyptens nichts entgegensetzt und des Pharaos Vasallen im Norden Gebietsverluste hinnehmen müssen, weil ihre Bitte nach der Entsendung von Truppen ungehört verhallt, erodiert das Staatsgefüge und damit die Macht. Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität bilden nun mal die Grundpfeiler eines stabilen Staatsgefüges.
In der Oper wird das Ereignis des Sturzes und der Ermordung Echnatons von dessen einstigem Berater Aye (Tijl Faveyts), seinem General Haremhab (Noam Heinz) und dem Hohepriester des Amun (Stefan Cifolelli) als gewaltiges und gewaltsames Chortableau packend in Szene gesetzt. Im Epilog singen Echnaton, Nofretete und Teje, im Publikumsraum auf den Balkonen links und rechts platziert, aus dem Jenseits.
Barrie Kosky hat in seiner Sicht auf die Oper, vielleicht eine seiner schlüssigsten Arbeiten überhaupt, alles Ägyptisch-Folkloristische, jegliche Annäherung an die ohnedies so unglückliche post-postkoloniale Diskussion bleiben lassen. Dafür hat er in einem reduzierten kahl-weißen Bühnenraum seiner nachvollziehbaren Sicht auf die Musik als Ritual und Mantra entsprechend abstrakte Bilder erdacht, die in ihrer archaischen Wucht die grundlegenden Beziehungen eines Mannes zu seiner Mutter, zu seiner Frau und zum Volk auf eine theatralische Weise erhellen. Dazu bedient sich Kosky an den Errungenschaften des modernen Bewegungstheaters, er löst die repetitive Rhythmik der Musik, ihre nach sechs, vier oder acht Takten sich ändernde Harmonik in einer vor allem auf Hände und Arme konzentrierten Choreografie auf. Gemeinsam mit Danielle Bezaire, Martina Borroni, Danilo Brunetti, Shane Dickson, Benjamin Gericke, Claudia Greco und Andrii Zubchevskyi erdacht, bildet diese Bewegungskriege den dramaturgisch klugen Rahmen der Produktion. Ein Schreiber/Chronist (Peter Renz) kommentiert das Geschehen zur besseren Verständlichkeit in deutscher Sprache, denn der Text wird auf Ägyptisch, Akkadisch, Althebräisch und Englisch gesungen.
Das Bühnenbild und die Lichtregie von Klaus Grünberg stützen sich auf scherenschnittartige, zeichnerisch gedachte Bilder, hin und wieder sich aufgelockert durch in kleine geometrische Formen aufgelöste, zitternde Projektionen. Auf den ersten Blick könnte man denken, Robert Wilson wäre szenisch am Werk gewesen.
Als Requisiten genügen ein Leichenwagen in der Beerdigungsszene von Amenophis III., abstrakte schwarze Wolken in 2D, von innen erleuchtete Milchglaskugeln und die Einbeziehung der über der Bühne auf und ab bewegten Beleuchtungstechnik in die Dramaturgie der Tableaus.
Die beiden Gesangs-Hauptrollen werden vom texanischen Countertenor John Holliday (Echnaton) und Susan Zarrabi (Nofretete) in grandiosen Kostümen von Klaus Bruns verkörpert. Bruns hat traumhafte Roben in orange-rötlich schillernder bzw. schwarzer Seide und Tüll kreiert, die einen solitären Kontrast zur ganz in schwarz-weiß gehaltene Bühne bilden. Was Holliday und Zarrabi vokal leisten, ist schlichtweg phänomenal. Der überaus charismatische, Musik und Glamour atmende John Holliday, der in einem Interview mit der B.Z. gestand, er liebe Schnitzel, verfügt über einen voluminösen, kraftvollen Tenor in leuchtenden Farben. Die in Berlin bestens bekannte Mezzosopranistin Susan Zarrabi steht ihrem Kollegen in Sachen Ausdruck, Intensität, rhythmische Präzision und Projektion in nichts nach. Denn mit und manchmal auch gegen den stimmgewaltigen, in voller Formation angetretenen Chor der Komischen Oper, der die Oper trägt und wieder einmal über sich selbst hinauswächst, anzusingen, ist keine Kleinigkeit.
Eine Philip Glass-Oper steht und fällt mit dem Orchester. Jonathan Stockhammer erweist sich dabei als dynamisch animierender wie Takt und Tempo stabilisierender Maestro und damit als absoluter Glücksfall. Der an der University of California und an der University of Southern California in Los Angeles ausgebildete Musiker lebt seit 1998 in Deutschland. Für die sog. „Minimal Music“ des Philip Glass, einem hypnotisch-kreisenden, stets sich verschiebenden, von kleinteiligen harmonischen wie rhythmischen Pattern geprägten Stil, inspiriert u.a. von indischer Musik, hat er einen artikulatorisch prägnanten wie energetisch zwingenden, bogenspannend-fließenden Zugang gefunden.
Das fantastisch disponierte Orchester der Komischen Oper Berlin, dessen charakteristische Farben bei „Echnaton“ vor allem von den Holzbläsern, dem Blech und dem Schlagzeug bestimmt werden und dabei in den Streichern ganz ohne Violinen auskommt (12 Bratschen, 8 Celli, 6 Kontrabässe dominieren den Streicherklang), folgt Stockhammer bei den subtilsten Passagen von flirrenden Streichern, Flöten, Klarinetten und Fagotten, aber vor allem in der ungeheuren Plastizität der in Akkorden und Arpeggien Gestalt gewinnenden dramatischen Wucht der musikalischen Tableaus. Der Zuhörer taucht in einen seltsam berauschenden Kosmos an Klängen mit Suspense und nahe am Schlagen des Herzens. Die gesamtheitliche Erfahrung dabei ist in Verbund mit den vom Leading Team gestalteten Bildern und Bewegungen, losgelöst vom das Historische sublimierenden Geschehen, wahrlich kathartisch.
Das Publikum quittierte den einzigartigen Abend am Ende als künstlerisch und sportlich faszinierende Ensembleleistung mit verdienten Riesen-Ovationen.
Nächste Vorstellungen am 21., 23., 28.3. und am 5., 11. 18. und 20.4. Die gesamte Serie ist bereits ausverkauft. Der Beweis, dass man auch mit Raritäten auf höchstem Niveau ohne Stargeraune reüssieren kann.
Dr. Ingobert Waltenberger