Foto: Komische Oper Berlin
Komische Oper Berlin: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold (Vorstellung: 14. 12. 2018)
Eine der musikalisch stärksten Opern eines österreichischen Komponisten des 20. Jahrhunderts hatte nun auch an der Komischen Oper Berlin einen großen Publikumserfolg: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold. Das großartige Werk, das im Jahr 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln uraufgeführt wurde, erlebte bis 1933 nicht weniger als 55 Inszenierungen, wobei es an der Metropolitan Opera in New York die erste Oper in deutscher Sprache war, die nach dem Ersten Weltkrieg in den USA auf die Bühne kam. Zuletzt wurde die Oper Die tote Stadt auch an zahlreichen Bühnen Europas gespielt, unter anderem in Innsbruck, Graz, Frankfurt / Main, Chemnitz, Magdeburg und Kassel.
Die Handlung der Oper, deren Libretto der Komponist mit seinem Vater Julius unter dem Pseudonym Paul Schott nach dem Roman „Bruges-la-morte“ von Georges Rodenbach selbst verfasste, in Kurzform: Pauls einziger Lebensinhalt besteht in der Bewahrung des Andenkens an seine verstorbene Frau Marie, die er über alles geliebt hat. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, die Marie völlig gleicht, lädt er sie zu sich nach Hause ein. Nach und nach fließen für ihn die Bilder der Toten mit jenen Mariettas ineinander. Marietta, die den „Kampf“ gegen die tote Rivalin aufnimmt, setzt ihre Verführungskünste ein, verhöhnt Paul und provoziert ihn, indem sie mit Maries Haarflechte herumspielt. Außer sich wirft Paul sie nieder und erdrosselt sie. Endlich wacht Paul aus seinem Traum und muss sich eingestehen: „Ein Traum hat mir den Traum zerstört.“
Leider nicht in der Berliner Inszenierung des kanadischen Regisseurs Robert Carsen. Er änderte den Schluss der Oper und lässt Paul von Brigitta und Frank in weißen Kitteln abholen, um ihn wohl in eine Irrenanstalt zu bringen. Es ist immer wieder ärgerlich, dass Regisseure so eigenmächtig handeln und das Ende eines Werks verändern!
Für das ansprechende Bühnenbild, das auch alle Erinnerungsstücke an die verstorbene Marie beinhaltet, wie Kleider, Schminktisch, Fotos und Haarflechte, sorgte Michael Levine, die Kostüme, ein Spiegelbild der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, entwarf Petra Reinhardt. Für die kreative Choreographie der Ballettszenen zeichnete Rebecca Howell verantwortlich, für die in dieser Oper wichtigen Video-Einspielungen der toten Marie Will Duke.
Aus dem starken Sängerensemble ragte der tschechische Tenor Aleš Briscein in der schwierigen Rolle des Paul heraus. Er spielte den träumenden, mehr in der Vergangenheit lebenden Mann auf bewundernde Art und konnte auch stimmlich überzeugen, da er sehr wortdeutlich sang. Genau das fehlte der amerikanischen Sopranistin Sara Jakubiak, die nicht nur die Tänzerin Marietta gab, sondern auch Mariens Erscheinung spielte. Darstellerisch war sie allerdings exzellent – sowohl mimisch als Maria wie auch erotisch als Marietta.
Eindrucksvoll gab der deutsche Bariton Günter Papendell Pauls Freund Frank und Fritz, der Pierrots Lied „Mein Sehnen, mein Wähnen“ mit starker Innigkeit zum Besten gab. Zu diesem Lied ein Zitat des Regisseurs Robert Carsen aus dem informativ gestalteten Programmheft: „Pierrots Lied scheint direkt einer Wiener Operette zu entstammen. Es ist ein nostalgisches Stück aus einer Welt, zu der Paul nicht mehr gehört.“
Pauls Haushälterin Brigitta wurde von der niederländischen Mezzosopranistin Maria Fiselier gefällig gespielt, auch die weiteren Nebenrollen trugen zum guten Gesamteindruck der Vorstellung nicht unwesentlich bei. Victorin, der Boss der Tanztruppe Mariettas, wurde vom australischen Tenor Adrian Strooper dargestellt, die beiden Tänzerinnen Juliette und Lucienne von der britischen Sopranistin Georgina Melville und von der polnischen Mezzosopranistin Marta Mika. Graf Albert lieh der kroatische Tenor Ivan Turšić seine kraftvolle Stimme.
Eher zurückhaltend in Carsens Inszenierung die Chöre (Einstudierung: David Cavelius) und der Kinderchor (Einstudierung: Dagmar Fiebach). Dem stark besetzten Orchester der Komischen Oper Berlin gelang es unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors, des lettischen Dirigenten Ainārs Rubiķis, die vielschichtige, oft romantisch klingende, oft psychologisch anmutende Partitur des Komponisten in allen Nuancen zum Erklingen zu bringen.
Das begeisterte Publikum dankte am Schluss der Vorstellung allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall – Sonderapplaus gab es für die beiden Hauptdarsteller und für den Dirigenten!
Udo Pacolt