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BERLIN/ Komische Oper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Wiederaufnahme als großer Wagner-Abend

03.10.2016 | Oper

BERLIN / DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Wiederaufnahme, 2.10.2016

Großer Wagner-Abend an der Komischen Oper

Die Komische Oper Berlin hat sich in den letzten Jahren schwerpunktmäßig eher für die leichte Muse entschieden und mit Spoliansky und Bernstein, Oscar Straus oder Paul Abraham reüssiert und auch das Publikum erobert. Aber muss ein Haus mit solch fulminanter „Infrastruktur“ (Chor und Orchester) und so einem tollen Ensemble, das von Händel bis Mozart, Bizet bis Verdi, Mussorgsky bis Dvorak, Prokofiev bis Schönberg alles kann, nicht manchmal die Latte höher legen? Vor allem wenn es eine so lebendige Produktion von Wagners Meistersinger im Repertoire hat wie diejenige von Andreas Homoki aus dem Jahr 2010? Gesagt, getan. Die dem Gedächntnis der früh verstorbenen Ina Kringelborn, die das Evchen in der Premiere gesungen hat,  gewidmete Wiederaufnahme (der Rezensent besuchte die zweite Aufführung der Serie) ist zu einem musikalischen und darstellerischen Triumph der Sonderklasse geworden. Mich hat diese Aufführung ebenso bewegt und künstlerisch fasziniert wie die ganz großen Kaliber in Wien, Bayreuth oder New York. Vielleicht auf eine bestimmte Art noch mehr, weil das Stück als menschliche Komödie präsentiert wird und da der „ernste Part“ einer Liebesgeschichte im Generationengewirr, garniert mit einer diskursiven Auseinandersetzung über das Wesen der Wandlung in Kunst und Alter, ganz besonders kontrastreich zur Geltung kommt.

Das Bühnenbild von Franz Philipp Schlößmann verzichtet ganz auf Kulissen und Prospekte. Im kahlen Bühnenhaus finden sich lediglich stilisierte frei bewegliche Spanplattenhäuser samt Kirchturm ohne Fenster und Schnörkel à la Christkindlmarkt, die Nürnberg symbolisieren sollen. Was anfangs etwas nach, na ja „Ikea“, aussieht, erweist sich aber als dramaturgisch höchst effizient und einleuchtend. Da lässt sich mit der Anordnung der Objekte sowie deren Beleuchtung in Pastellfarben ganz schön viel an Beweglichkeit und frei fließender Theaterlandschaft für die Aktion des Ensembles herzaubern. 

Die musikalische Seite der Aufführung profitiert von einem der besten Ensembles in deutschen Landen, verstärkt durch einige Gäste. Schon bei der Ouvertüre setzt der musikalische Leiter, Gabriel Feltz, die Marker auf eine flüssige, temporeiche, feinnervige und schlanke Wiedergabe. Triefendes Pathos und martiales Teutonentum aller Art bleiben ausgespart. So gewinnen die Meistersinger als Volksoper (so hätte sie wahrscheinlich auch Harnoncourt dirigiert) an menschlicher Nähe, jugendlicher Kraft und tauglichem Spiegel einer Gesellschaft, die sich immer wieder fragen muss, wie sie mit ihren Werten in Zeiten des Wandels umgeht. So etwas Ähnliches erleben wir ja derzeit auf allen Ebenen.

Die Seele der Aufführung sind Chor und Protagonisten, mit denen die Abendspielleiter Werner Sauer und Wenzel U. Vöcks wie irre gearbeitet haben müssen. Eine so spielfreudige und eindringliche schauspielerische Darbietung habe ich bei den Meistersingern noch nie erlebt. An erster Stelle ist hier der Hans Sachs des bayreutherfahrenen Isländers Tómas Tómasson zu nennen. Noch immer mit viel Saft in Stimme und Knochen, ist sein Verzicht auf Evchen sowie die künstlerische Tonvorgabe ein Beispiel an Würde und Klugheit. Die komödiantisch gockelhafte Auseinandersetzung mit dem höchst profilierten Beckmesser des Tom Eric Lie, der eine meisterliche Charakterstudie bietet, gehört zu den Höhepunkten der Aufführung. Tómas Tómasson verfügt eher über einen Charakter-, denn wirklichen Heldenbariton. Sein Parlando ist grandios, der Bariton im zornigen Ausbruch faszinierend, die große heldische Linie fehlt ihm allerdings. Gegen Ende der Aufführung zeigt Tómasson stimmliche Ermüdung, im finalen Monolog bröseln einige Höhen. Als Singschauspieler ist Tómasson dennoch eine ganz große Klasse für sich. 

Das kann man auch von Eva Pogner der südafrikanischen Sopranistin Johanni van Osstrum sagen. Sie liefert die stimmlich beste Leistung des Abends. Ob rezitativisch oder im Legato, dramatische Akuti oder große Intervallsprünge, technisch scheint es bei ihrem wohltimbrierten lyrischen Sopran, der zum Spinto tendiert, keine Grenzen zu geben. Der Beginn des Quintetts „Selig wie die Sonne“ klingt überirdisch, für den berühmten „Schwarzkopf-Triller“ im dritten Akt hätte wahrscheinlich sogar deren gestrenge Namensträgerin Applaus gespendet. Kein Wunder, dass die Bayerische Staatsoper diese wunderbare Sängerin, deren Namen man sich merken wird müssen, im November als Figaro Gräfin unter Vertrag hat. 

Der Amerikaner Eric Caves schlägt sich als Walter von Stolzing wacker, wenngleich einige Höhen im Preislied allzu „steif“ ausfallen. Caves verfügt zweifelsohne über ansehnliches heldisches Stimmaterial und eine hohe Bühnenpräsenz. Ob die gestemmten Spitzentöne nicht aber von (reparablen) technischen Problemen zeugen, dass sollte sich der sympathische Sänger, der sich laut seiner Website auf die Siegfriede vorbereitet, vielleicht schon einmal fragen.

Den Rest der Besetzung bestreitet das wunderbare Ensemble der Komischen Oper. Da wird nicht gekleckert, sondern so richtig geklotzt. So ist als Fritz Kothner Günter Papendell, der erfolgreiche junge Don Giovanni des Hauses aufgeboten. Mit prächtigem Barion erklärt er die Tabulatur und führt die Riege der Meister an, die allesamt herrlich eigenprofilierte Typen aus Fleisch und Blut darstellen (Thomas Michael Allen als Kunz Vogelgesang, Carsten Sabrowski als Konrad Nachtigall, Urgestein Peter Renz als Balthasar Zorn, Timothy Oliver als Ulrich Esslinger, Faktotum Christoph Späth als Augustin Moser, Karsten Küsters als Hermann Ortel, Hans-Peter Scheidegger als Hans Schwarz,´sowie Hans-Martin Nau als Hans Foltz). David und Magdalene sind mit Ivan Turšić und Maria Fiselier stimmlich besonders attraktiv besetzt. Jens Larsen orgelt – wie gewohnt  – einen gar väterlich besorgten Veit Pogner.

Der eigentliche große Star der Aufführung ist aber der Chor der Komischen Oper (Einstudierung David Cavelius). Wie sich da jede Stimme zu der großen Einheit des „Wachet auf, es nahet gen der Tag“ fügt, wie rhythmische Präzision und klangliche Pracht einander bedingen, wie Individualität der Typen und Homogenität der Stimmgruppen diese Volksoper erzählen und in Poesie lösen, das kann man sonst vielleicht nur noch in Bayreuth erleben. Bravo!

Der Merker hatte diesmal mit der Kreide keine Qual. Der Jubel am Ende war höchst verdient. Der dankbare Zuschauer darf nur hoffen, dass diese großartige Produktion als Alternative zur Aufführung an der Staatsoper im Schillertheater bald wieder auf dem Spielplan steht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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