Tom Erik Lie als Grossherzogin. Foto: Monika Rittershaus
BERLIN / Komische Oper „DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN“, Premiere; 31.10.
Gender Comedy mit dem umwerfenden Komödianten Tom Erik Lee als divenhafte versoffene halbsenile Großherzogin
“Wenn man nicht haben kann was man liebt, muss man lieben, was man hat.” Diese finale resignative Einsicht der Großherzogin kann für die gesamte Aufführung gelten. Regisseur und Hausherr Barry Kosky wendet sich vor der Vorstellung an das Publikum mit einer launigen Ansprache und kündigt die Inszenierung als komplette Blödelei an. In jeder Krise sei es besser zu lachen als zu weinen. Wie recht er hat.
Barry Kosky kommt in seiner “Großherzogin von Gerolstein“ ohne Bühnenbild aus. Auch im Orchester gibt es pandemie- und abstandsbedingt nur wenige Musiker, der Klang ist dünn. Beim durch Quarantäne ausfallenden Ballet (Choreographie Damian Czarnecki) behilft man sich mit drei Tänzern und einer Tänzerin. Die Geschichte um eine liebeshungrige in die Jahre gekommene Adelige, die ein Faible für einfache Soldaten hat, funktioniert auch mit wenige Requisiten. Da es keine Regine Crespin mehr gibt, hat Barry Kosky das einzig Richtige getan. Er besetzt die Großherzogin mit dem großartigen Charakterbariton Tom Erik Lee. Das ist der Clou des Abends und die Großherzogin wohl die Rolle seines Lebens.
Jens Larsen . Foto: Monika Rittershaus
Tom Erik Lee, ein fantastischer Beckmesser etwa, gibt ein frivol launisches Luder, eine halbsenile gaga Diva mit ihren Launen und pompösem Gehabe. In weißem Gewande mit Riesenreifrock (die durchwegs spektakulären Kosten stammen von Klaus Bruns) stellt schon in ihrem ersten berühmten Couplet “Ach, wie lieb ich die Soldaten” das Motto des Abends vor. Wie dieses komödiantische Urtier variétéhaft durch die Szene schreitet und ihre eigene Leidenschaft persifliert, ist großes Theater. Mit norwegischem Schmäh, der sich mit der Zeit aber abnutzt, kommandiert sie ihren jämmerlichen Hofstaat.
Der General Brumm mit roter Säufernase und federbuntem wilhelminischem Helm sieht aus wie ein großer Truthahn im Karneval. Jens Larsen kann neben Tom Erik Lee die stärkste vokale Leistung des Abends für sich verbuchen. Sein patschert pummeliger Soldat Fritz (Ivan Tursic), mit der kecken Bauernmagd Wanda (koloratursicher Alma Sadé) verbandelt, ist erotisches Zielobjekt der Großherzogin. Als unbedarftes Muttersöhnchen mit schieflockiger Frisur latscht er umher, bald zum Baron und General befördert. Pech nur, dass das Kerlchen nicht auf die freche Wanda verzichten will. Bald gesellt sich zu den ob der Beförderung verärgerten Hofschranzen (Tijl Fayeyts als Baron Puck) auch die Großherzogin mit ihrem adeligen, aber hässlichen Verehrer Prinz Paul (Christoph Späth). Im Camouflage Flitter geht es ins flotte Finale, von der russischen Dirigentin Alevtina Ioffe zackig und rhythmisch präzise vorexerziert. Christiane Oertel als Baron Greg und die Balletttänzer ergänzen das bekannt spielfreudige Ensemble, auch in dieser Produktion das About für das Gelingen des Stücks.
Die Operette hat im zweiten Drittel einen dramaturgischen Hänger (wenn die Stimmung sich gegen Fritz wendet), den auch Kosky nicht auffangen kann. Der wohl als surreale Touch gedachte ins Norwegische übersetzte Sprechtext der Großherzogin erweist sich hier als lähmende Falle.
Christiane Oertel, Christopp Späth, Jens Larsen, Tijl Fayeyts. Foto: Monika Rittershaus
Ansonsten hat man sich großherzoglich amüsiert und geht etwas benommen und traurig in den nächsten Lockdown.
Ingobert Waltenberger