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BERLIN / Komische Oper: DIE BASSARIDEN. Premiere  

Revidierte und reduzierte Fassung 1992 mit Intermezzo in englischer Originalfassung

13.10.2019 | Oper


Günther Papendell, Sean Pannikar. Foto: Monika Rittershaus

BERLIN / Komische Oper: DIE BASSARIDEN – 13.10.2019, Premiere

 

Revidierte und reduzierte Fassung 1992 mit Intermezzo in englischer Originalfassung

 

Das nach Schoenbergs „Moses und Aaron“ gut aufeinander eingespielte Duo Regisseur Barrie Kosky und Dirigent Vladimir Jurowski kann nun wohl einen weiteren Erfolg auf seine Fahnen heften. Diesmal hält eine antike Tragödie lautvoll und statisch monumental Einzug in die Komische Oper. Barrie Kosky inszeniert ganz klassisch und streng formalistisch Henzes oratorienhaftes Musikdrama in einem Akt und vier Sätzen „Die Bassariden“ nach Hugh Audens und Chester Kallmans Libretto auf die Tragödie „Die Bakchen“ von Euripides. Synchronisiertes Bewegungstheater als Geometrie der vernichtenden Leidenschaften. Nur im Intermezzo (in der Version von 1992 eigentlich gestrichen) darf es in einer langen percussionbrüllenden, schweißtriefenden Tanzsequenz auch ein wenig nach Klamauk und Slapstick aussehen, selbst wenn das in Anbetracht des düsteren Sujets und der trotz Mandolinenklängen wenig sarkastischen Musik kaum zündet. Shostakovich‘ Genie hatte Henze definitiv nicht.

 

Die während der gesamten pausenlos aufgeführten Oper hell erleuchtete Szene im Sinne von „There is no way to hide“ (Bühnenbild Katrin Lea Tag) besteht aus einer dreigeteilten Treppe mit unterschiedlicher Stufenhöhe in hell nordischen Rohholzlook. Links und rechts sitzt das erweiterte Orchester, in der Mitte tummeln sich meist die hervorragend und präzise singenden Chormassen der Komische Oper Berlin erweitert um das Vocalconsort Berlin. Vor dem hoch gelegten Orchester ist noch ein breiter Steg als weitere szenische Ebene für Solisten und das Tanzensemble gelegt. Die Idee des griechischen Amphitheaters ist hiermit optisch gut getroffen.

 

Wir haben es in Henzes Stück mit einer doppelte Familientragödie zu tun: Eine Elektra-Umkehrung in der Herrscherfamilie Thebens, wo die Mutter Agave (in glühender Mezzopracht Tanja-Ariane Baumgartner) und ihre Schwester Autonoe (koloraturgewandt und stratosphärensicher Vera-Lotte Boecker) ihren Sohn und Neffen Pentheus (Hausbariton Günter Papendell endlich wieder in einer für ihn wie maßgeschneiderten Rolle), König von Theben, zu Brei zerhacken trifft auf das Drama des Gottes Dionysos, dessen Verzweiflung über den Tod seiner Mutter Semele ihn in einen Racherausch sondergleichen verfallen lässt. 

 

Dieser Dionysos (sensationell der amerikanische Tenor Sean Panikkar in seiner musikalischen und charismatisch darstellerischen Urgewalt), Vater des antiken Theaters samt Musik, Narration, Chören, rituellen Bewegungen, Tanz, ist aber ein gar dämonischer  Verführer: Politischer Demagogie und Bezirzer des Volkes zugleich, Heils- und Erlösungsversprecher obendrein. Seine Bewunderer, die Bassariden oder Bakchen oder Mänaden folgen ihrem Gott blindlings in Exzessivität, Lust und Kontrollverlust. 

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Günther Papendell und Ensemble. Foto: Monika Rittershaus

 Dass die Oper nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Entgrenzung und Exzess brauchen Bodenhaftung und Vernunft, um nicht tödlich zu enden. Mit scheinbarer Ratio übertreibt es aber auch Pentheus, der mit Keuschheit und mönchischen Gebaren ein guter Herrscher sein will und in diese panikbesessenen Realitätseinengung scheitern muss. Mit Gewalt will er die Bassariden bezwingen, sie einsperren und foltern. Dabei fällt der König selbst auf die Verführung herein, wird in seiner ontologischen Verunsicherung Opfer des Gottes und seiner grausamen Truppe. 

 

Natürlich ist die Metapher des Stücks der Mensch an sich, in seiner umfassenden Bedingtheit, der triebhaft und rational zugleich ist, verführbar und reuevoll, exzessiv und dann wieder auf „Diät“. Vor sich selbst wegrennen gibts nicht, daher muss jede/r tief in sich reinschauen und seine persönliche „Zusammensetzung“ oft leidvoll erfahren. Und das oftmals schwierige Sohn-Mutter Verhältnis ist ebenfalls um eine wesentliche Deutung reicher. Das ganze Sammelsurium an Botschaften und philosophischer Konstruktion will sich allerdings nicht so recht zu einem stringenten Drama fügen.

 

Die Musik Henzes ist ein Kaleidoskop vornehmlich der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wagner-Reminiszenzen, sprich Walkürenzitate inklusive. Henze kennt seinen Richard Strauss, Alban Berg, Orff, die Neoklassik eines Stravinsky oder Britten. Dennoch gelingt ihm eine eigenständige musikalische Sprache, von karg und sperrig bis spätromantisch unendlich überfrachtet. Vladimir Jurowski macht das sinfonische Geschehen zum Kampfplatz der Psychologie des Stücks. Wie schon bei der „Frau ohne Schatten“ in der Berliner Philharmonie Anfang September legt Jurowksi größten Wert auf Struktur und Rhythmus; Sanglichkeit und Sinnlichkeit des Klangs interessieren ihn weniger. Daher ermüdet das Fortissimo den Hörer bzw. lässt ihn nach 2h20 Minuten pausenloser Megabeschallung betäubt zurück. Das Orchester der Komischen Oper legt eine technisch tadellose Leistung hin, wenngleich bei gegenüber der Originalfassung schon kleineren Besetzung gelten sollte, weniger ist mehr. 

 

Am Schluss sitzt die wie völlig zugedröhnte Mutter Agave im weißen blutverschmierten Kleidchen mit einem kleinen Plastiksackerl auf dem Boden und entnimmt ihm Haarteile, Sehnen, Knochen und Fleischklumpen. Ihr Vater Cadmus (mit zunehmend brüchiger werdendem Bass Jens Larsen) öffnet ihr die Augen – es ist ein Erwachen im „lauten Licht“ – , als er ihr zeigt, dass die „Schlachtabfälle“ kein erlegter Löwe, sondern die spärlichen Überreste ihres Sohnes Pentheus sind. Dionysos lässt den Palast niederbrennen, die Familie verbannen und erteilt den Befehl, seine noch im Hades sitzende Mutter Semele zu verehren. Denn wisset: „Die Erde bebt, wenn die Götter lachen.“

 

Die Aufführung packt einen letztlich doch. Dank der seziermesserscharfen Qualität der szenischen Umsetzung, der immensen musikalischen und darstellerischen Leistungen von Sean Panikkar und Günter Papendell (preisverdächtig), der Wucht der Chöre und vor allem der Virtuosität und athletischen Kraft des 10-köpfigen Tanzensembles (Choreographie Otto Pichler) ist von einem beeindruckenden, wenngleich nicht lückenlos begeisternden Theaterabend zu berichten.

 

In weitern Rollen sind Ivan Turšić als alter blinder Seher Tiresias in roter Perücke und  in bodenlangem Kleid, Tom Erik Lie als Hauptmann der königlichen Wache und Margarita Nekrasova als Beroe, Amme der Semele und des Pentheus, zu hören. 

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Foto: Monika Rittershaus


Am Ende kurzer heftiger Applaus des mitgenommenen bis erschöpften Publikums. Irgendwo habe ich ein einzelnes Buh gehört…

 

Weitere Aufführungen: 17. und 20. Oktober, 2., 5.und 10. November 2019 und 26. Juni 2020

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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