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BERLIN / Komische Oper „COSÍ FAN TUTTE“; erste Aufführung nach der Premiere

Wir sind nicht Phönix! Der Preis von erotischen Fantasien und Verführung

18.03.2023 | Oper international

BERLIN / Komische Oper „COSÍ FAN TUTTE“; erste Aufführung nach der Premiere; 17.3.2023

Wir sind nicht Phönix! Der Preis von erotischen Fantasien und Verführung

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Foto: Monika Rittershaus

„Amor, der mächtige Gott, euretwegen führt er uns hierher“ (Ferrando). Da Ponte führt in seinem ursprünglich als „La scuola degli amanti“ für Salieri verfassten Textbuch eine gemeine Intrige des in Liebesdingen frustrierten Alfonso unter aktiver Beteiligung der ebenso naseweisen wie temperamentvollen und geldgierigen Despina vor. These: „Die Treue der Frauen ist wie der Phönix von Arabien; dass es ihn gibt, behauptet ein jeder, wo er ist, weiß keiner.“ Wie es in der Oper mit den beiden jungen unbedarften und anfangs charakterblassen, sich eine heile Welt vorgaukelnden Liebespaaren weitergeht, wissen wir: es kommt in einer abstrusen Verkleidungs- und Verwechslungskomödie zum (ersehnten) Partnertausch. Das Ende ist ernüchternd und eine jede zieht mit ihrem ursprünglichen Lover vor den Traualtar. Wie solche Ehen in Zukunft aussehen, können wir uns vorstellen.

Dabei agieren die beiden zynischen Intriganten ja nur als Beschleuniger in dieser menschlichen Naturhefe des Begehrens und ewigen Reizes des Neuen, wo es dauernd liebesrauschig gärt und blubbert. Eros ist ein gefährlicher Bursche, dessen Pfeile stets ins Schwärze treffen. Und Sexus gewinnt sowieso immer. Traurig oder nicht, sexuelle Treue war noch nie eine der herausragenden menschlichen Eigenschaften. Eher fliegen die schönen Schmetterlinge, Männer wie Frauen, nicht allzu ungern von Blüte zu Blüte (Cosi fan tutti müsste es eher heißen). Und wo ein Bedarf ist, gibt es auch Angebote, etwa alle möglichen Vermittlungsdienste für alle Geschmäcker und Fetische im Internet. Jede dogmatisierende Moral hat da überhaupt keine Chance oder funktioniert nur noch unter Zwang.

Regisseur Kirill Serebrennikov (Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme) hat 2018 aus dem russischen Gefängnis heraus diese seine erste Mozart-Opernregie für Zürich erarbeitet. Mittlerweile lebt er in Berlin und konnte an der Komischen Oper die Neuinszenierung der Cosi fan tutte/Wiederaufnahme aus Zürich persönlich betreuen. Um es vorwegzunehmen: Sein lebenspraller Ansatz hat in einen großem Theaterabend gemündet, die Produktion ist ein großer Wurf geworden. Dazu verwendet der schlaue Fuchs verschiedene altbewährte Tricks wie die von Frank Castorf eingesetzten Kameras auf der Bühne, um das Geschehen für den Zuseher auch von anderen Perspektiven, wie hier von oben, auf eine Leinwand zu projizieren. Wir sehen in dieser heutige Menschen und deren Gewohnheiten zeigenden Inszenierung zudem Videos, die Arien illustrieren und schicke Interiors, wie sie in jeder Fernsehserie vorkommen. Natürlich nihil nove sub sole, aber das gekonnte Wie macht den Unterschied.

Der geniale Schachzug des Bühnenbilds besteht darin, die Handlung auf zwei Ebenen zu verteilen, wo auf der einen das gezeigt wird, was sonst hinter der Bühne geschieht. Dieses Guckkastensystem ist zwar mit einer überakustischen Projektion der Stimmen verbunden, die dadurch präsenter und ein wenig härter klingen als gewohnt, aber als Theaterfinte und Gashebel für das Tempo der Komödie funktioniert es wunderbar. Schließlich findet das handlungsreiche Stück ja an einem einzigen Tag statt.

Serebrennikov verzichtet auf die 18. Jahrhundert-Verkleidungsmaskerade, sondern lässt als Sempronio und Tizio (unter diesen Namen stellen sich Guglielmo und Ferrando als verkleidete Albaner vor) muskelbepackte Fitnesskerle auftreten, wie sie jeden Abend auch in Berlins berühmtester Stripbar für Frauen „SIXX PAXX“, die mit der heißesten Show Deutschlands mit dem klaren Hinweis „anfassbar“ wirbt, zu finden sind. Dabei lässt es Serebrennikov offen, ob Guglielmo und Ferrando, die angeblich in den Krieg ziehen, damit der Beweis der Untreue angetreten werden kann, wirklich sterben oder ob Aufbahrung und Einäscherung der beiden „Helden“ nur in der Vorstellung der beiden Frauen geschieht. Jedenfalls lässt der Regisseur den Abmarsch zur Armee mit dem Begräbnis synchron (Quintett Nr. 9 und Terzettino „Soave sia il vento“) ablaufen. Auch am Ende der Oper bleibt der Regisseur ambivalent: Da wird geschickt der höllische Bogen zu „Don Giovanni“ (ein Teil der Ouvertüre unterbricht die Partitur der Cosi) gezogen. Genauso teuflisch unwiderstehlich, wie die beiden zielstrebigen Macho-Verführer, die jeden voyeuristischen Candaulismus oder jede Cuckold- Pornofantasie beflügeln könnten, auftauchen, so dampfen sie in einer surrealen Anordnung auch wieder ab und nehmen Silberschmuck und Teppiche mit. Guglielmo und Ferrando sind wieder da. Die orientalische Traumhochzeit wandelt sich zu einer nüchternen „Standesamtlichen“ der zwei ursprünglichen Paare, die illusionsloser und nun lebensklüger nicht sein könnten. Vielleicht kann man sich in Zukunft ja auf offene Beziehungen einigen…

Serebrennikov gelingt der Spagat zwischen wirklich komischen Gags und einem dramatischen Entwicklungsstück über alle Geschlechterklischees hinaus. Er hält sich in all seinen Thesen in realitätsnahem Augenzwinkern akribisch ans Textbuch. In der ausgefeilten Personenregie wird er der komplexen Gefühlslage der Figuren mit einer choreographischen Präzision gerecht. Wir erleben keine Stereotypen auf der Bühnen, sondern sechs völlig unterschiedliche Charaktere, die überhöht durch Mozarts himmlische Musik Projektionsflächen für alle und alles abgeben.

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Foto: Monika Rittershaus

Musiziert wird an dem Abend grosso modo hervorragend. Vor allem Katharina Müller gelingt eine der besten Mozart-Dirigate, die ich je an der Komischen Oper Berlin erlebt habe. Sie schlägt mit dem bestens disponierten Orchester der Komischen Oper Berlin ein flottes, dramaturgisch passendes Tempo an. Vor allem aber legt sie ungemein Wert auf eine – von der historischen Aufführungspraxis geprägten -ausdrucksstarke Artikulation und Transparenz der Instrumente, ohne Fluidität und innere Spannungsbögen zu kurz kommen zu lassen. Die sehr gut austarierte Balance im Orchester kommt vor allem den stets luxuriös aufspielenden Holzbläsern zugute. Wen ich eine kleine Anmerkung hätte: Ein wenig mehr Luft und Rast würde dem Terzettino als auch am Schluss guttun.

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Foto: Monika Rittershaus

Obwohl sich Günter Papendell (Don Alfonso) und Alma Sadé (Despina) als indisponiert haben ansagen lassen, ist davon nichts zu merken. Papendell ist nach dem problematischen Ausflug ins Heldische („Fliegender Holländer“) wieder in seinem angestammten Fach als Kavaliersbariton gelandet und bis auf ein paar verschleppte Tempi unwiderstehlich gut. Wie er den mittels Texto von seiner Freundin verabschiedeten, den Alkohol zugeneigten, weil vom Leben gezeichneten Zyniker bis ins kleinste mimische Detail Kontur gibt, ist ein Ereignis. Alma Sadé darf in jeder Hinsicht als eine Idealbesetzung der Despina gelten, die ich von Sprach- und Lebenswitz, Komik, charmanter Frechheit und schöner Stimme auf eine Stufe mit meinen Lieblings-Despinas aus meinen Wiener Anfängen Renate Holm und Reri Grist stelle. Susan Zarrabi ist eine feminin attraktive, spielfreudige Dorabella mit herrlich strömenden Mezzo, ein flotter Lady Gaga Typ und ein Atout für jedes Mozart Ensemble. Penny Sofroniadou als Fiordiligi fühlt sich mit ihrem leuchtenden, technisch makellos geführten lyrischen Sopran in der Höhe sichtlich wohler als in der unteren Terz der Partie. Sie spielt die zögerlichere und zerrissenere der beiden Frauen in faszinierender Tiefe, in jedem Moment glaubwürdig und berührend. James Newby agiert mit seinem lyrischen, behutsam präsentierten, wiewohl stets klangschönen Bariton als Guglielmo als integrativer Ensemblesänger, seine Arien könnten da und dort eine Profilierung und emotionale Schärfung durchaus vertragen. Tansel Akzeybek als Ferrando mit seinem höhensicheren und gut fokussierten Tenor hat als langjähriges Juwel der Komischen Oper schon in vielen Rollen begeistert. Sein Vortrag und singschauspielerische Präsenz sind exquisit, sein Temperament lässt aber manchmal die stimmlichen Pferde mit ihm durchgehen. Wie gut wäre er erst, wenn er ein wirkliches Pianissimo in der Wiederholung der Liebesbeschwörung „Un’aura amorosa“ durchziehen würde. Amer El-Erwadi als Sempronio und Goran Jurenec als Tizio werden zu Recht in den frenetischen Schlussapplaus mit einbezogen. Als prollige Machoschönheiten sind sie unwiderstehlich komisch fern jeder Peinlichkeit und mischen das schulisch pädagogische Stück mit einer gehörigen Portion Testosteron ordentlich auf.

Fazit: Diese Cosi an der Komischen Oper ist ein Hit. Sie ist die musikalisch und szenisch intensivste Mozart-Aufführung, die ich in den letzten 20 Jahren erlebt habe. Schauen Sie sich das an!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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