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BERLIN/ Komische Oper: BLAUBART von Jacques Offenbach. Dritte Aufführung der Premierenserie

Offenbachs meisterliche Opéra bouffe dekonstruiert: überwiegend verkopft und vulgär

01.04.2018 | Oper

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Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Chorsolisten. Copyright: Iko Freese/drama_berlin.de / Komische Oper

 

BERLIN / Komische Oper: BLAUBART, 31.3. 2018, dritte Aufführung der Premierenserie

Offenbachs meisterliche Opéra bouffe dekonstruiert: überwiegend verkopft und vulgär

 

Zweite Jubiläumsproduktion der 70 Jahre jungen Komischen Oper

 

„O Offenbach, vor deinem Narrentor wie lahmt die Welt, die deinem Ton verschlossen! Hab‘ einst ich ihren Misston ausgenoßen, ich öffne Blaubarts Grabgesang mein Ohr.“ Karl Kraus (1923)

 

Irgend einmal platzt dem Gevatter Tod der Kragen: „So ein Scheiß hier, alles hopsasa und trallala!“ Diese Worte legt der norwegische Regiestar Stefan Herheim dem russverschmierten Sensenmann in den Mund und liefert damit quasi den Offenbarungseid seiner eigenen Inszenierung. Bei Offenbach gibt es diese Figur zwar nicht, aber was soll‘s. Da der kecken Oper rund um den triebhaften Massenmörder Ritter Blaubart und seines nicht minder mörderischen Alchemisten Popolani allein nicht getraut wird, muss eine Rahmenhandlung her: Eros und Thanatos machen Halt auf ihrer ewigen Reise, schlagen ihren hölzernen Thespiskarren unter allerlei Donner und Versatzstücken aus der Ouvertüre auf und los geht das Spektakel. Ein seltsames Paar, die beiden für Vereinigung und Auflösung Verantwortlichen, die die Geschicke der Menschen lenken. Laut Freud verbinden sich beide Triebe in einer gesunden Beziehung, weshalb am Ende von Blaubart auch die „Ehe für alle“ als das Heilmittel für beide Grenzüberschreitungen gelten darf.

 

Stefan Herheim und sein Team (Clemens Flick – Musik, Alexander Meier-Dörzenbach – Dramaturgie) erstellen ihre eigene Fassung dieser „seit der Uraufführung 1866 in Paris bewusst lustvoll Grenzen von Grauen und Komik, Opernparodie und Sexfarce, Gesellschaftssatire und Abendunterhaltung überschreitenden Opéra bouffe“. Sie wollen viel, sehr viel, jedenfalls sehr  viel mehr als Offenbach und seine Librettisten Henri Meilhac und Ludivic Halévy. Und scheitern daran. Aber nicht nur daran, sondern auch der direkt mögliche Vergleich mit der legendären Inszenierung von Walter Felsenstein an der Komischen (369 Aufführungen), die in der Felsenstein Edition als DVD (Filmversion von 1973) erhältlich ist, aber auch auf Youtube bewundert werden kann, zeigt klar, wer hier der Schmied und wer der Schmiedl ist.

 

Versatzstücke dieser so auf die Textschärfe und Zuspitzung bedachten Arbeit, inspiriert durch Karl Kraus, finden sich auch hier: Besonders die Kostüme von Esther Bialas machen auch das Herheims Blaubart eine Mischung aus Don Giovanni und Don Quichotte, der König Bobèche steckt als armselige Inkarnation der Macht ebenso in einem Strampelanzug und Popolani sieht aus wie Beckmesser aus den Meistersingern. Freilich ist das Changieren zwischen Sprechtheater und Musik ein essentielles Merkmal der Opéra bouffe, nur müssen die Proportionen stimmen.  Timing ist alles am Theater und noch mehr bei Komödien. Und das geht beim neuen Blaubart an der Komischen Oper gründlich ab.

 

Die neue deutsche Textfassung schwankt zwischen zotig, hölzern und derb, oft spätpubertär fäkal, sowie bildungsbürgerlich zitatenreich. Günter Jauch fürs Operettenpublikum halt. Auch an der Musik wurde herumgeflickt was das Zeug hält.  Offenbar hat sich der für die musikalische Bearbeitung zuständige Clemens Flick gesagt, wenn Offenbach Meyerbeer zitiert, so kann ich das auch. Aus der auf Grundlage der Kritischen Edition der Offenbach Edition Keck so erweiterten Fassung wird eine konturenlose Collage. Wir vernehmen mit Staunen die Recyclingversuche aus der Welt der großen Oper wie Tosca, Salome, Aida  oder Siegfried, aber auch Smetanas Moldau oder gar die DDR Hymne. Für Flick heißt Werktreue nach eigener Definition „Geisttreue“ und nicht Notentreue. Was dieser Geist sein soll, bestimmt er klarerweise selbst. Flick erweitert das Offenbachsche Universum nicht nur um Motive aus dessen „Les Brigamds“ „La Fille du Tambourmajor“ und „La Foire de St. Laurent“, die er mit einer Priese „La Danza“ von Rossini würzt, sondern schreibt auch die Verwandlungsmusik in der Ouvertüre selbst. Natürlich dauert die Aufführung mit dem aufwändigen Bühnenbild (der Theaterkarren ist gut für allerlei Verwandlungen) zuletzt 3 1/2 Stunden und zündet erst im dritten Akt so recht. Sei es, weil die Akteure auf der Bühne endlich freigespielt sind oder weil da am meisten und zwar sehr gut gesungen wird. 

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Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Johannes Dunz. Copyright: Iko Freese/drama_berlin.de / Komische Oper

 Worum geht es bei Blaubart: Die Schäferin Fleurette (Vera-Lotte Böcker) und ihr Berufskollege Daphnis (Johannes Dunz) lieben einander. Fleurette ist jedoch in Wahrheit die verstoßene Königstochter Hermia. Ihr Vater, König Bobèche (Peter Renz), will das Mädchen aus Thronfolgegründen zurück an den Hof bringen und mit Prinz Saphir, der zufällig der Schäfer Daphnis ist, verheiraten. Parallel dazu sucht Barbe-Bleue (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) seine sechste Frau. Boulotte ( Sarah Ferede) soll die „Glückliche“ sein. Welch Pech aber, dass sie schon kurz nach der Heirat der noch schöneren Fleurette (=Hermia) weichen soll. König Bobèche, der unter der Untreue der Königin Clémentine (Christiane Oertel) leidet, beauftragt seinen Diener Graf Oscar (Philipp Meierhöfer), wieder einmal einen Lover seiner Frau zu töten. Aber hoppala: Popolani (Tom Erik Lie) hat die Frauen mit Zuckerwasser „vergiftet“, Oscar die Männer verschont. Final heiraten alle: Hermia ihren Saphir, Blaubarts Ex-Frauen werden mit den wieder auferstandenen Hofherren verheiratet, Blaubart und Boulette bleiben zusammen. 

 

Den Stil Offenbachs treffen besonders Wolfgang Ablinger-Sperrhacke in der Titelpartie und die famose, einzigartige Christiane Oertel in allerbester Crespin-Manier. Beide reüssieren ganz aus der Sprache heraus in dieser für Offenbach so unnachahmlichen Mischung aus frechem Chanson und verballhorntem Pathos. Die prickelnde Frivolität, das fein Parodistische  kommt hier ganz aus der Phrasierung, aus der Artikulation, den feinen Farbtönen, der Präzision in den kleinen Noten. Für Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, dem derzeit wohl weltbesten Mime (auch seine Hexe in Humperdincks Händel und Gretel in Glyndebourne war ein Hit), ist es das Debüt an der Komischen Oper. Die Rolle des Blaubart hat er schon 2006 in Bregenz in der Regie von Stephan Langridge verkörpert. Ablinger-Sperrhacke ist Pol und musikalisches Zentrum der Aufführung. Rund um ihn agiert das operettenerprobte, wie immer spielfreudige Ensemble der Komischen Oper samt dem großartigen Chor (Einstudierung Jean-Christophe Charron). Bisweilen kann man sich des Eindrucks jedoch nicht erwehren, dass das Ensemble um Nuancen weniger frei und ausgelassen agiert als man dies von anderen Produktionen her gewohnt ist. Da dürfte der Wohlfühlfaktor auf der Bühne in den langen Proben samt Austausch des Dirigenten doch irgendwie gelitten haben. 

 

Dirigent Stefan Soltesz hält mit strenger Hand die Fäden zusammen, das Orchester trifft sowohl in den einfachen Couplets als auch im großen romantischen Duett im dritten Akt den adäquaten Ton. 

 

Das Poetischste und Anrührendste an der Aufführung ist jedoch Rüdiger Frank in der Rolle des Cupido. Wie dieser kleine zerbrechliche Mann und große Schauspieler als feiner Gegenspieler zum harschen Gevatter Tod des Wolfgang Häntsch seine Flügelchen ausbreitet und als blumengekrönter Verführer zum deus ex machina des gesamten Theaters wird, ist oscarreif. Dieser Cupido versucht es halt wieder mit den dummen Menschen, die lieber heiraten und mit ihrem Schwur „Bis dass der Tod euch scheidet“ sich ganz in dessen Hände begeben. Am Ende läuft er dem Tod davon und wird weiter auf Erden seinen Schabernack ohne wirklich große Hoffnung auf Besserung versuchen. Es wird mir als schönstes Bild des Abends in Erinnerung blieben. 

 

Anmerkung: Die Premiere dieser zweiten Jubiläumsproduktion Blaubart in der Inszenierung von Stefan Herheim wurde vom 17. März auf den 23. März 2018 verschoben. Als Grund für die Verschiebung wurden technische und sicherheitstechnische Probleme in Zusammenhang mit dem Bühnenbild genannt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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