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BERLIN/ Komische Oper: AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY – makaber und mitreißend

18.10.2021 | Oper international

Berlin/ Komische Oper: „AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY“, makaber und mitreißend, 17.10.2021

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Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Zunächst sind drei Personen auf der Bühne, doch die suchen keinen Autor. Sie haben schon zwei: Bertolt Brecht für den Text und Kurt Weill für die unglaublich vielfältige Musik, die sich durch fast sämtliche Stile entwickelt. Selbst Choräle werden im Lauf des Geschehens gesungen.

Mahagonny ist natürlich Chefsache, und Barrie Kosky hat sich mit dieser Inszenierung selbst einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Schon in seiner Jugend habe ihn diese Oper begeistert und ihn offenbar im Laufe der Jahre nicht losgelassen. Nun hat er sie quasi sendungsbewusst mit deutlichem Engagement auf die Bühne der Komischen Oper gehievt.  

Auch wenn nicht allen diese krasse Brecht-Weill-Mischung zusagen sollte, so kann sich wohl niemand dieser Musik und Koskys Einfällen entziehen. Je mehr die rabiate Genusshandlung fortschreitet, umso stärker wird der Sog, Vor allem durch die Weillschen Musik. 

Das Werk beginnt mit drei Einsamen, schon Polizei bekannten in der Wüste Gestrandeten. Sie haben sich aus dem Staub gemacht und gründen nun im Nowhere die Wüstenstadt Mahagonny. Es sind Nadine Weissmann als die geldgierige Witwe Leokadja Begbick, deren Mezzo in der Höhe manchmal so schrillt klingt wie die Dollars, die als „Spenden“ in ihren Blecheimer fallen.

Ivan Turšić als Fatty, der „Prokurist“, sorgt vermutlich für die Buchhaltung. Jens Larsen, ein hoch gewachsener Dreieinigkeitsmoses mit seinem kräftigen Bass gibt den Ordnungshüter in dieser neuen „Paradiesstadt“.  Dort darf „man“ zwar saufen, raufen und huren, muss aber gewisse Regeln einhalten.

Noch herrscht Friede, ein silbriger Mond erscheint am Himmel, auf Englisch gesungen „The Moon of Alabama“. Sein kaltes Strahlen weckt Melancholie und ist ein erster Fingerzeig, dass in der neuen Traumstadt wohl nicht viel Raum bleibt für Liebe und Harmonie.

Das ganze Geschehen hat Kosky mit Hilfe von Klaus Grünberg, zuständig für Bühnenbild und Licht, optisch zusammengefasst. Die Wände links und rechts laufen dreieckartig – mit der Spitze weit hinten – aufeinander zu. Aus dieser Enge gibt es kein Entrinnen.

Später wird es noch schlimmer, als sich diese Wände in große Spiegel verwandeln, in denen alles mehrfach zu sehen ist. Nichts bleibt verborgen, alle sehen alles. Ein ebenso genialer wie erschreckender Geistesblitz.

Jedenfalls wird dieses neue Paradies in der Wüste zu einem begehrten Ziel. Zumindest für Männer mit Geld, die sich hier schrankenlos ausleben wollen, und auch für Frauen, die ihre Körper für Geld zur Verfügung stellen. Dazu gehört die sehr aparte Jenny Hill, die sich sogleich Jim Mahoney, einen der Neuankömmlinge angelt, obwohl der schlampig gekleidet ist (Kostüme: Klaus Bruns).

Er – Allan Clayton – sowie seine Freunde Jack O’Brien (Philipp Kapeller) , Bill, genannt Sparbüchsenbill (Tom Erik Lie) und Joe, genannt Alaskawolfjoe (Tijl Faveyts) haben sieben Jahre in Alaska geschuftet, wo sie „bei großen Kälten die Bäume fällten.“

Ein Song, den Jim mit seinem schmiegsam strahlenden Tenor öfter singt. In Mahagonny wollen nun er und seine Freunde mit ihrem in Alaska verdienten Geld das Leben genießen. Hinzu kommt noch Adrian Kramer als Tobby Higgins.

Und es muss wohl Jims Stimme gewesen sein, so würden wir wohl heute vermuten, dass sich die sehr aparte Jenny Hill –  Alma Sadé – sofort diesem Mann anbietet und ihn nach dem Sex auswählen lässt, wie sie ihr Haar frisieren oder ob sie Unterwäsche unter ihrem Kleid tragen soll.  Diese Worte werden übrigens eher gesprochen als gesungen.

Das sei eine „Anti-Tristan und Isolde“, meint Kosky. Wofür Wagner 40 Minuten gebraucht habe,  hätte es Weill in 1 ½ Minuten komponiert. In Mahagonny will man/frau wohl keine Zeit mit Arien verlieren. Schließlich steht Jenny, eine Frau ohne Illusionen, sogar für Sex mit mehreren Männern im Sekundentakt bereit, was  im Souterrain abläuft und vom Publikum nicht genau beobachtet werden kann.

Geld macht sinnlich oder auch nicht, sind weitere begleitende Sprüche. Mehrfach gesungen wird auch das bekannte. „Wie man sich bettet, so liegt man, und keiner deckt einen zu.“ Diese Weisheit ist nicht auf Brechts Acker gewachsen. In einer Sprüchesammlung von 1515 taucht dieser Alltagsweisheit bereits auf.

Das alles würde nicht viel her machen, gäbe es nicht den großartigen Chor der Komischen Oper, trainiert von David Cavelius, und darüber hinaus auch das  fabelhafte Orchester des Hauses unter der sicheren und stets adäquaten Leitung  von GMD Ainārs Rubiķis. Trotz der guten und sehr guten Solisten sind es diese beide Klangkörper,  die das ganze Geschehen tragen und alle mitreißen.  

Zunächst aber wird das paradiesische Leben durch einen herannahenden Hurrikan gestört, der alle in Angst und Schrecken versetzt. Der Chor bittet sogar in einem Choral Gott ums Überleben. Doch die Stadt hat Glück, der Sturm geht nicht über sie hinweg, und nun gibt es kein Halten mehr.

„Ihr dürft jetzt alles“, befiehlt Jim, und gar zu gerne folgen alle Männer, nun in Strass besetzten, schwarzen Anzügen,  dieser Weisung. Sie tanzen, die ganze Bühne ist in Bewegung, eine von Koskys Regie-Spezialitäten. Andererseits  frisst sich einer an einem frisch geschlachteten Schaf zu Tode.

Ansonsten schicke Herren in hemmungsloser Feierlaune. Sogar Gott will nun in diesem Sündenbabel nach dem Rechten sehen, doch Jens Larsen als Dreieinigkeitsmoses singt ihn hinter einem Vorhang. Gott kann hier ohnehin nichts mehr ausrichten, Mahagonny ist bereits eine Hölle.

Jim, noch immer in seinen schäbigen Klamotten, hat derweil sein ganzes Geld auf den falschen Boxer gesetzt. Der aber stirbt unter den Faustschlägen von Dreieinigkeitsmoses. Jim, nun pleite, labt sich direkt aus der Whisky-Zapfsäule. Als er jedoch den von ihm bestellten Whisky bezahlten soll, hat er keinen Cent mehr in der Tasche. Das aber ist in Mahagonny das größte aller Verbrechen. Sein Verhör erinnert Kosky an das von Jesus vor den Hohen Priestern. Jim als ein unschuldiges Opfer?

Letztendlich will niemand ihn retten. Selbst seine Freunde aus der Alaska-Zeit rücken keinen Dollar für ihn heraus, und so wird er zum Tode verurteilt. Es ist Dreieinigkeitsmoses, der Mann für „Law and Order“, der als erster auf Jim einsticht. Die anderen folgen seinem Beispiel, auch die Frauen.

Nur Jenny Hill, seine Ex-Geliebte, verweigert sich diesem unmenschlichen Tun. Die Scheiben auf der Bühne spiegeln schließlich mehrfach den Toten. Ein düsteres Ende für ihn und für Mahagonny, grauslich und dennoch hinreißend durch die Inszenierung, Kurt Weills Musik  und ihre Interpreten/innen. 

Ursula Wiegand

Weitere Vorstellungen am 21., 23., 29. Oktober.

 

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