BERLIN / 75 JAHRE KOMISCHE OPER BERLIN – DIE GALA; 23.12.2022
Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!

Das Ensemble. Foto: Barbara Braun
Aus den Trümmern des ehemaligen Metropol Theaters erstand wie ein schöner Phönix aus der Asche die Komische Oper Berlin. Es sollte ein künstlerisches Pendant zur französischen Opéra comique werden. Der Österreicher Walter Felsenstein, der auch ein attraktives Angebot zur Leitung des Wiener Burgtheaters in der Tasche hatte, entschied sich jedoch für die Intendanz dieses im sowjetischen Sektor der Stadt wieder notdürftig zusammengeflickten Hauses, dessen Zuschauerraum glücklicherweise unversehrt blieb. In einem Brief an die Kulturabteilung der sowjetischen Zentralkommandatur vom 9.6.1947 listete er penibel auf, was für die Eröffnung des Hauses unbedingt nötig sein, darunter tausende Meter Kabel, Stoffen, zwei Büros mit Telefonanschluss und Schreibmaschinen. Am 23. Dezember 1947 – einem düsteren Nachkriegsjahr mit besonders kaltem Winter – war es dann so weit: Nach mehrmaligen Verschiebungen konnte die Komische Oper Berlin mit einer Premiere von J. Strauss „Die Fledermaus“ eröffnet werden.
Genau auf den Tag 75 Jahre später eröffnete Dirigent Hendrik Vestmann mit dem bestens disponierten Orchester des Hauses den musikalischen Reigen der Gala mit der einer schmissig-flotten Ouvertüre zur „Fledermaus“. Zuvor hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer die Geschichte resümierenden und die Eigenart des Hauses würdigenden Rede auf die Unverwechselbarkeit jedes einzelnen Menschen und das Grundbedürfnis des Menschen nach Kunst hingewiesen. Nicht zuletzt Musiktheater kann auch in schweren Zeiten über so manche schmerzliche Lebensdelle hinweghelfen.
Die Komische Oper ist deshalb so speziell, weil sie ihre Pforten in der Behrenstrasse für alle offen hält und das Gegenteil eines elitären Betriebs sein will. Das zeigt sich in der besucherfreundlichen Atmosphäre, dem möglichen Besuch ohne spezielle Etikette, der Buntheit des Publikums wie des auf der Bühne Gebotenen. Auch nach der Gala wird nicht nur mit einem kleinen Zirkel an Politikern und Künstlern gefeiert, sondern das gesamte Publikum ist im Foyer zu Sekt und Torte eingeladen. Und auch der Bundespräsident mischte sich wie Intendanten, Musiker und Kultursenator Lederer unter das Volk.
Walter Felsenstein wollte Oper nicht als Konzert mit Kostüm begreifen, sondern hat jede Oper und Operette primär als ein Stück Theater begriffen, wo eine glaubhafte Interaktion der Charaktere auf der Bühne, eine lebensnahe Darstellung im Zentrum standen. Ja, noch mehr: „Musik, die nicht aus dem dargestellten Vorgang wächst, hat nichts mit Theater zu tun, und eine Darstellung, die sich nicht präzise und künstlerisch gültig mit der Musik identifiziert, sollte besser auf Musik verzichten.“ Man kann wirklich sagen, dass die Komische Oper so die Art des Zugangs zu und des Verständnisses von Oper und Musiktheater von Grund auf revolutionierte, was in der Folge auf die ganze Welt ausstrahlte.

Max Hopp und der Kinderchor der Komischen Oper. Foto: Barbara Braun
Auf Walter Felsenstein folgten Joachim Herz, Harry Kupfer, Andreas Homoki, Barrie Kosky, und nun im 75. Jahr begann die Ko-Intendanz der Österreicherin Susanne Moser und von Philip Bröking (seit 2005 Operndirektor der Komischen Oper), beide dem Haus schon lange leidenschaftlich verbunden.
Für die Gala hat sich Opern- und Filmregisseur Axel Ranisch was ganz Besonderes einfallen lassen. Nicht ein langer Reigen an irgendwelchen Ohrwürmern mit langweiliger Moderation standen auf dem Programm, sondern ein kurzweiliges Pasticcio mit Ausschnitten von die Komische Oper auszeichnenden Werken (Oper, Musical und Operette) sowie historischen Filmdokumenten über den Wiederaufbau, aus einzelnen Inszenierungen des legendären ersten Hausherrn, vielen knackigen Interviews, darunter mit dem Sohn des Gründers der Komischen Oper Berlin, Christoph Felsenstein, der beeindruckenden ehemaligen Primaballerina und jetzigen Chefinspizientin Sabine Franz, dem ehemaligen Chefdirigenten Vladimir Jurowski, mit der überaus witzigen und wortmächtigen Dagmar Reim, eh. Intendantin des Rundfunks Berlin.-Brandenburg oder Johanna Wall, der Chefdramaturgin des Hauses.
Die Schauspieler Stefan Kurt und Max Hopp, der auch den Tevje sang, trugen mit humorvollen Einlagen zu dieser wirklich gelungenen Gala bei.
Das einzigartige Profil der Komischen Oper liegt in der engen Verwebung und dem gemeinsamen Atmen der „vier Herzkammern“ der Oper, nämlich der Technik/Organisation/Administration, der Chorsolisten, des Orchesters, und eines Ensembles, das gewillt ist, auch anspruchsvollsten Anweisungen von Regie und Darstellung Folge zu leisten.
Das Ergebnis solcher Arbeit war an den erstklassigen Musikeinlagen abzulesen, wie dem Chor der Fuchskinder aus Leos Janaceks „Das schlaue Füchslein“ (Chorleitung Dagmar Fiebach), dem Ensemble „Wollt ihr in Freiheit Lüften“ aus der Opéra bouffe „Ritter Blaubart“ von Jacques Offenbach (mehrere Gastspiele der Produktion von Walter Felsenstein brachten der Komischen Oper internationale Reputation), „Ist es Liebe“ aus Jerry Bocks Muscial „Anatevka“, dem Terzettino „Soave sia il vento“ aus Mozarts Oper „Cosí fan tutte“ (Nadja Mchantaf, Susan Zarrabi, Günter Papendell), dem wunderschönen Duett aus Prokofievs Oper „Die Liebe zu drei Orangen“ (Mirka Wagner als Ninetta, Rupert Charlesworth als Prinz), und dem erotisch-ironischen Chanson „Ein kleiner ägyptischer Flirt“ aus der Operette „Die Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus mit Publikumsliebling Dagmar Manzel. Witzig, dass in der ägyptischen Maskerade auch das „Im Feuerstrom der Reben“ aus „Die Fledermaus“ als großes Finale der Gala über die Bühne ging.

Max Hopp. Foto: Barbara Braun
Die 75. Saison wird große Veränderungen für die Komische Oper bringen. Ab Sommer 2023 wird umfassend saniert, modernisiert und erweitert. Bröckelnde Saaldecken, maroden Sanitäranlagen und eine Bühnentechnik, die knirscht und knarzt, sollen bald der Vergangenheit angehören. Das neue Theater wird über eine moderne Theater- und Gebäudetechnik verfügen. Der entstehende Neubau nach Plänen des Büros kadawittfeldarchitektur (mit dem in Leibnitz gebürtigen Stararchitekten Kilian Kada ist ein weiterer enger Österreich-Bezug gegeben) mit Büro- und Proberäumen, Shop, Café und Besucherterrasse auf dem Dach soll ein Ort der Begegnung werden. Bis dahin wird die Komische Oper ab Herbst 2023 ins Schillertheater als Ausweichquartier „vom Dienst“ übersiedeln, aber auch andere Spielstätten erschließen.
Wir wollen der Komischen Oper Berlin herzlich zum Jubiläum und der äußerst gelungenen Gala gratulieren und freuen uns schon riesig auf viele weitere „närrische“, künstlerisch exquisite Abende. Auf dass uns dieses sinnliche Musiktheater mit Anspruch sowie frecher Berliner Leichtigkeit noch lange erhalten bleibt.
Dr. Ingobert Waltenberger

