TRISTAN UND ISOLDE, Bayreuth 7.8.2015, UCI Kino Gropius Passagen BERLIN
Stell Dir vor, es ist Oper und keiner geht hin!
Und dabei gab es eine sehr sehr spannende Filmversion der ersten beiden Akte zu sehen und zu hören. Der dritte säuft optisch leider im Rembrandt‘schen Dunkel und der Mummenschanzmaschinerie der sieben toten Isolden während Tristans Fieberwehen ab. Aber nun der Reihe nach….
Der heißeste Tag des Jahres ist angekündigt. Berlin stöhnt unter bis zu 40 Grad im Schatten. Rund 15km von Schöneberg entfernt befinden sich die Gropius Passagen, ein an Hässlichkeit und Trostlosigkeit nicht zu überbietendes Einkaufszentrum inmitten von gesichtslosen Wohnblöcken an der Peripherie (Johannesthaler Chaussee) von Berlin. Im Vergleich dazu ist die Lugner City ein architektonisches Meisterwerk. Im Saal 6 spielt man von 16h bis 22h10 Tristan und Isolde, eine Live Übertragung aus Bayreuth mit Christian Thielemann am Pult unter der Regie von Katharina Wagner. Von den 334 Plätzen sind vier ganze Sitze belegt. Zwei nette ältere Damen, von denen die eine mir versichert, dass bei Carmen in 3D der Saal schon mal voll gewesen wäre und ein nach Tourist aussehender junger Mann mit Rucksack. Mit einem Glas Sekt und dem Programm bewaffnet, setze ich mich irgendwo hin. Es gibt es vor der Aufführung noch sogenannte kinoexklusive Vor- und Pausenprogramme mit teils aufschlussreichen Interviews, Blicken hinter die Kulissen und in die Werkstätten. Der renommierte Musikjournalist Axel Brüggemann moderiert die Chose wild schwitzend und auch nicht vor den üblichen Peinlichkeiten gefeit (Herr Thielemann wird auch schon älter wie er zweimal im Interview mit dem wehrhaften Dirigenten betont, na net na na).
Ich möchte jetzt keine klassische Tristan-Opernkritik schreiben, das hat im Online Merker ja schon sehr vortrefflich Werner Häußner über die Vorstellung am 2.8. getan. Sondern die spezifischen Kino-Eindrücke vermitteln. Film über Oper ist ein anderes Genre. Das interessiert mich. Also nachdem ich im ersten Akt zweimal rauslaufen musste, um nach mehr Lautstärke zu verlangen, kam Schwung in die Sache. Mit einer Kameraführung in vollem Hitchcockschem suspense des Giovanni Battista Piranesi nachempfundenen Bühnenbilds im 1. Akt (vgl. sein Bild „Die Zugbrücke“ im Internet… laut Gespräch mit den Bühnenbildnern Schlößmann und Lippert ist jeder Vergleich mit Escher ein „Holzweg“) sieht der mittlerweilen gut gekühlte und klimatisierte Kinobesucher viel glänzendes Stahl in Nahaufnahme. Trepp auf, Trepp ab wie in Elektra geht die Jagd: Stufen, Stege, Brücken, Geländer in einem dreieckigen klaustrischen Innenraum ist die räumliche Metapher für das zueinander Wollen, aber Unvermögen der beiden Protagonisten. Ein Harry Pottersches Zauberlabyrinth, verloren in den Schatten. Und siehe da. Das Konzept von Katharina Wagner (zumindest im Film) geht voll auf. Nicht die hehre Liebe und Suche nach seelischer und geistiger Harmonie steht auf dem Programm, nein, sondern die körperliche, in süchtigem Verlangen aufeinander prallende sexuelle Gier in der Variante Hörigkeit, SM, tierische Lust. Da braucht es keinen Liebestrank mehr, zumindest muss er nicht mehr getrunken werden, schon vorher fallen sich Tristan und Isolde in die Arme, die zuckerlrosa Liebestrank-Flüssigkeit à la Vitamin B 12 Energy Booster wird vielmehr über die ineinander gehakten Finger verschüttet. Fetisch herrscht in diesem 18. Jahrhundert Treppengewirr, wie im Berliner Technotempel Berghain. Am Ende des Liebesduetts halten Tristan und Isolde ihre Hände jeweils fest um den Hals des anderen, wie um sich gegenseitig zu erwürgen oder die sexuelle Lust noch einmal zu steigern, bevor Marke sich erwischt? Die allseits grandiose Singschauspielerin Evelyn Herlitzius und der Tristan unserer Zeit (stammt nicht von mir) Stephen Gould liefern in schweißüberströmenden Nahaufnahmen wahrlich animalisches Theater. Evelyn Herlitzius ist sicherlich mehr Strauss als Wagner Sopran, als Isolde erinnert sie mich ein wenig an die grandiose Helena Braun. Ich finde ihre Gesamtleistung als die spannendste des Abends. So macht Oper Sinn, wenn die Protagonisten mit Regie und Dirigat eins werden, wenn das ganze Stück so intensiv gesungen und verinnerlicht dem Künstler und damit dem Publikum zu Eigen wird, dass bloße Stimmschönheit eben kein Maß an sich mehr sein darf. Der wunderbare Gould, an dem ich selbstverständlich auch nicht herumbeckmessern möchte (und der von der Kritik wesentlich weniger in die Pflicht genommen wurde als Herlitzius) , hat an sich wesentlich mehr vokale Defizite aufzuweisen als Herlitzius (die im ersten Akt das „mit ihr gab ich es Preis“ nicht erwischt und rhythmische Fehler macht): Viele hohe Töne kommen steif und scharf daher und werden nur noch mit schierer Kraft bewältigt. Sei‘s drum. Dennoch was für eindringliche vokale Porträts liefern die beiden, welch lebendige Figuren stehen da in vollem Saft auf der Bühne/Leinwand und zeigen uns einen gar hässlichen Spiegel auf Abhängigkeit, triebhafte Ausweglosigkeit und verstörend archaisch eruptive Urgewalten. Mit Liebe hat das alles folgerichtig nichts zu tun, sondern mit sexueller Fixierung und Todessucht, der Einkerkerung der gepeitscht gefolterten Seelen in ihre eigenen „Ideologien des Rausches“.
Wer bloß schöne Stimmen hören will, kann das in dieser Aufführung aber auch genussvoll tun: Georg Zeppenfeld als König Marke und Christa Mayer als Brangäne liefern stimmtechnisch Vollkommenes, als Darsteller bleiben sie blass. Kurwenal wird vom stolzen Geburtstagskind Iain Paterson mit beeindruckender Höhe, aber etwas weißer Mittellage in roter Perücke gesungen. Alle drei sind von der Regie eher an den Rand gestellt und erfüllen „Funktionen“ in Relation zu Tristan und Isolde, ohne selbst allzu großes Profil entwickeln zu dürfen. Raimund Nolte als Melot und der aus der Komische Oper Berlin stammende Tansel Akzeybek (Hirt, Junger Seemann) ergänzen das große Ensemble vortrefflich.
Wie Pasolinis Teorema schreitet das Stück voran als eine Versuchsanordnung der Geschlechter. Gleich Ratten, deren Verhalten man unter dem Scheinwerfer studiert, beobachten Marke, Melot und ihr in Senfgelb gewandetes grausliches Gefolge das große „Liebesduett“ im zweiten Akt von oben. Der Film zeigt hier besonders, was er im Vergleich zum Theater an visuellem „Mehr“ leisten kann. Man sieht die Protagonisten von oben aus dem Blickwinkel der Macht in ihren eigenen Schatten huschen. Wie für Hamster im Rad ist der Platz eng, nur noch die Schatten verraten eine graue Sehnsucht, dem Publikum wird (wie häufig) folgerichtig der Rücken zugewandt. Ein Experiment im geschlossenen (Folter?) Raum mit beweglichen Gittern und Stangen, das der dominante König steuert und final auch eingreift, um den (voreiligen) Doppelselbstmord von Tristan und Isolde mittels aufgeschlitzter Adern zu vereiteln. Tristan wird gefesselt und seine Augen verbunden, Melot sticht dem so Wehrlosen mit dem Messer kurzerhand in den Rücken.
Der dritte Akt stellt den Fieberwahn als Projektion in Tristans Kopf dar. Hier wird es für das Kino schlicht zu dunkel. In Orangetönen sieht man die Schatten der Gesichter, Tristan träumt sich sieben Isolden (wie Herzog Blaubart), bevor die Echte gerade noch Tristan sterben sieht. Die Statisterie und ein Stuntman feiern hier fröhliche Urständ. Mich stört die optische Festlegung und Visualisierung von Tristans Vorstellungen, was der Musik was nehmen könnte. Wenn nicht ein Dirigent mit im Spiel wäre, der Christian Thielemann heißt. Was er mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele an Differenzierung, aufrauschender Dichte und musikalischer Entäußerung bietet, ist einzigartig. Dabei finde ich, dass sich sein Tristan-Ansatz wirklich geändert hat seit der Wiener Premiere. Es geht ihm weder darum, „den Tiger ,Tristan‘ zu reiten noch zu verhindern, von ihm geritten zu werden“, sondern ihn in den Käfig zu sperren, wenn er zu nah kommt. Was für eine zutreffende Metapher für die Arbeit des Dirigenten. Thielemann ist aber auch begnadeter Improvisator und versichert im Interview, jeden Abend etwas anderes auszuprobieren, andere Akzente zu setzen und auch den Liebestod in Anlehnung an die Regie von Katharina Wagner nun anders (flotter drängend) zu dirigieren. Thielemann steuert das Orchester modern, zwischen analytisch, detailversessen und die Zügel im richtigen Moment laufen lassend. Er unterscheidet sich dadurch wenig von vermeintlichen Antipoden Kirill Petrenko. Thielemann sorgte jedenfalls für Freunde der Musik Wagners für wahrlich aufregendes Musiktheater, Gänsehaut vor allem im dritten Akt garantiert.
Und Evelyn Herlitzius singt einen Liebestod wie im Bilderbuch, blau gewandet wie ein gefallener Engel wird sie von König Marke ins Off geschleppt, physisch zu sterben ist ihr nicht vergönnt.
Katharina Wagner hat mit diesem Tristan für einen der spannendsten Bayreuther Abend der letzten Jahrzehnte gesorgt. Mich haben nur noch der Chereau-Ring, den ich zwei mal live erleben durfte und Kupfers Holländer ähnlich tief bewegt. An den Phonzahlen des Applauses gemessen, hat das auch das Publikum vor Ort ähnlich empfunden.
Ingobert Waltenberger